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Lesereise Kastilien - Spaniens magische Mitte

Claudia Diemar

 

Verlag Picus, 2012

ISBN 9783711750921 , 132 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

Vom rauen Brotland zum milden Weinland


Der kastilisch-leonesische Teil der Ruta de la Plata


Kastilien, das ist das Land der Steine. Steinige Erde, der die Ernte abgerungen wird. Steine, zu Kastellen aufgetürmt, die sich auf felsigen Anhöhen als Trutzburgen erheben und über die weit gedehnte Landschaft wachen. Gut achthundert Kilometer zieht sich die Ruta de la Plata als vertikale Achse durch Spaniens Westen, verbindet so unterschiedliche Städte wie Gijón und Sevilla, verknüpft Norden und Süden als stetiger Strom von Fahrzeugen und durchquert dabei auch das steinige Kastilien. Via 24 hieß die Traverse bei den Römern, die als Wehr- und Handelsstraße diente. Doch obschon im Norden tatsächlich zu jener Zeit Mineralien, Silber und sogar Gold ausgebeutet wurden, diente die Achse wohl mehr dem Transport von Getreide und anderen landwirtschaftlichen Gütern. Daher ist auch die wohlklingende Namensgebung »Silberstraße« vermutlich eine Fantasiebenennung, wahrscheinlicher ist eine Ableitung vom lateinischen »platea«, was eine öffentliche Straße meint, dem griechischen »plátos«, das etwas Breites bedeutet, oder auch dem arabischen »balath«, einem Hauptweg also.

Der kastilisch-leonesische Teil der historischen Fernstraße beginnt, wenn man von Asturien kommt, spektakulär: Die Straße teilt sich am Pass dem Puerto de Pajares, und wer sich für die Autobahn mit ihrer happigen Gebühr entscheidet, der erlebt jenen perfekt inszenierten Rausch des Fahrens, den man nur von den Werbespots der Automobilindustrie kennt. Die fast leere Piste windet sich mit makellos seidenglatter Decke durch die imposante Landschaft einer Hochebene. Weit läuft der Blick über die wellige Steppe mit einzelnen dekorativen Findlingen. Filigrane Brückenkonstruktionen spiegeln das Sonnenlicht, silbern blinkende Gebirgsseen blenden das Auge. Kein Haus ist zu sehen, kein Zeichen von Zivilisation, allein das schwarze Band der Straße ist Menschenwerk.

León liegt voraus. Die Stadt mit dem kraftstrotzend klingenden Namen hat zwar einen Löwen als Wappentier, ihr Name jedoch ist schlicht die Verkürzung von »Legion« – der VII. römischen Legion, um genau zu sein, die hier einst stationiert war. Ihre Glanzzeit hatte die Stadt vom 10. bis zum 12. Jahrhundert als Hauptstadt des gleichnamigen Königreichs, das vom Atlantik bis zur Rhône reichte.

Alle Wege in León führen zur Kathedrale, wo die Ruta de la Plata und der Jakobsweg nach Santiago de Compostela sich kreuzen. In der Calle Generalísimo Franco, die tatsächlich noch immer so heißt, sind alle paar Schritte glänzende Markierungen ins Pflaster geschlagen: Pilgermuscheln aus Messing, blank gehalten von den Schritten der Passanten. Folgt man ihnen, steht man bald vor der Kirche.

Man staunt, welche Leuchtkraft die zartgelbe Sandsteinfassade in der spätnachmittäglichen Sonne entwickelt. Dann bleibt der Blick an der Uhr haften. Auf leuchtend türkisfarbenem, sternenübersätem Zifferblatt pusten die vier Winde als dickbackige Bengel gegen die Zeiger, die Sonne und Mond tragen. Die drei Portale des Portikus an der Westfassade sind reich mit Figuren geschmückt. Das Tympanon des Mittelportals zeigt das Jüngste Gericht: Christus als Weltenrichter, den Engel mit der Gerechtigkeitswaage, der die Verdammten auf die eine, die Frommen auf die andere Seite weist. Scheusale mit grässlichen Fratzen zermalmen die Gottlosen, Teufelsfiguren werfen arme Sünder in brodelnde Kessel. Es ist ein furioser religionspädagogischer Auftakt, mittelalterlich strenge Zucht des leseunkundigen Volkes. Doch innen kommt es ganz anders. Sind die schweren Türen aufgestemmt, erwartet den Besucher der Rausch eines polychromen Wunders.

Bis zu zwölf Meter hohe Glasfenster lassen kaleidoskopartige Farbspiele funkeln, bei wechselndem Himmel einmal zarte Koloration, dann wieder grelles Technicolor. Eine Endlosschleife jubelnder Barockfanfaren untermalt den Augenblick der Überwältigung. In dieser Kirche hat die Gotik nichts Monumentales. Die Steine, Quader, Mauern, Strebebögen, Pfeiler sind nichts als der filigrane Rahmen für dieses grellbunte, überschäumende Gotteslob. In etwa vierzig Jahren, Rekordzeit für eine Hauptkirche, wurde die frühgotische Kathedrale erbaut, die Elemente französischer Vorbilder in Reims, Poitiers und Chartres vereint. Keine gigantische Kirche, ein wunderbar stilreines architektonisches Kleinod jedoch. Würde das immergleiche Jubellied vom Band nicht allmählich an den Nerven zerren, man wollte dieses Wunder aus Licht und Farbe am liebsten nicht mehr verlassen.

Draußen betteln Zigeunerinnen, es braust der Verkehr. In den angrenzenden Bars fauchen die Espressomaschinen, schwirren die Stimmen derer, die eine copa nach der Arbeit nehmen. Die angrenzende Altstadt wirkt dagegen wie die Kulisse für einen Historienfilm: die Plaza del Mercado trägt die Patina von Jahrhunderten zur Schau. Neben winzigen Gemischtwarenläden stellen Läden ihren bunten Ramsch aus, und in pittoresken Schenken tönt das elektronische Gedudel, mit dem die einarmigen Banditen zum Spielen animieren.

Das »Hotel Paris« nahe der Kathedrale, in dem man zu den fettglänzenden churros noch eine Schokolade erhält, in der tatsächlich der Löffel stecken bleibt, prunkt mit dem Glanz von einst. Unter trägen Deckenventilatoren aus einer anderen Epoche versammeln sich hier die Pensionäre der Stadt, um Zeitung zu lesen oder Domino und Karten zu spielen. Kürzlich wurde die einst schmucke, vom Zahn der Zeit schwarz gegerbte Fassade restauriert – und ist zu einer charmanten Adresse für Reisende geworden.

Wer es sich leisten kann, quartiert sich im Kloster San Marcos am Ufer des Río Bernesga ein. Das ehemalige Pilgerhospital, ein Renaissancebau mit repräsentativer Fassade, beherbergt heute einen parador, der zu den luxuriösesten Hotels Spaniens zählt. Noch immer wacht Santiago als Maurentöter unbeeindruckt über dem Hauptportal, und ebenso unbeeindruckt von den Fünf-Sterne-Zuschauern spielen die alten Männer am Flussufer ihr schwer durchschaubares Turnier mit hölzernen Halbkugeln und Kegeln.

Das dritte kunsthistorische Schaustück der Stadt ist San Isidoro mit dem romanischen Panteón de los Reyes, der mit prachtvollen Fresken geschmückten Grablege der Könige von Kastilien und León. Die reich dekorierte Königsgruft trägt den Beinamen »sixtinische Kapelle der Romanik«. In begrenzter Farbpalette von Rostrot, Kobaltblau, Chromgelb, Ocker, Grau und Schwarz sind biblische Szenen ebenso abgebildet wir eine Art landwirtschaftlicher Kalender mit den von Monat zu Monat wechselnden bäuerlichen Tätigkeiten. Die Gurtbögen und Säulenkapitelle sind mit floralen und geometrischen Motiven dekoriert, die an byzantinische Vorbilder erinnern. Über allem wacht auch hier der Pantokrator in einer wellenförmig eingefassten Mandorla. Das Gewölbe ist niedrig, den Kopf weit in den Nacken gelegt, bewundert man die suggestive Ausgestaltung in ihren satten Farben. Noch Stunden später schmerzt einen das Genick von der ergreifenden Kunstbetrachtung.

Nach León macht die Ruta de la Plata einen Knick und führt in westlicher Richtung – identisch mit dem Jakobspilgerweg – nach Astorga, wo die Römer einst Gold schürften und so nachdrücklich in die Landschaft eingriffen, dass noch heute die Schründe des Tagebaus zu erkennen sind. In der Stadt finden sich römische Mosaiken und Mauerreste. Vor der uralten Apotheke unter den Laubengängen der Plaza Mayor verpflastern zwei Pilger die wundgelaufenen Füße. Astorgas auffälligstes Bauwerk ist der Bischofspalast von Antonio Gaudí, in dem jedoch nie ein geistiger Würdenträger residierte. Die Mischung aus Reminiszenzen an die Gotik und Allegorien auf Burganlagen, wie man sie aus den Entwürfen Disneys kennt, verblüfft mit Glasfenstern grellster Farbgebung und beherbergt heute ein Museum, das sich unter anderem der Geschichte des Jakobswegs zum Apostelgrab in Santiago de Compostela widmet.

Der Weg wendet sich wieder in südöstliche Richtung. Er verlässt die autovía für einen Abstecher nach Valencia de Don Juan, wo sich die Reste der Burg wie eine steilwandige steinerne Chimäre aus dem kargen Hochland drücken. Endlos dehnen sich die Getreidefelder der Meseta unter dem blassblauen Himmel. Einzelne Steineichen und die lang geschwungenen Linien der Stromleitungen und Masten geben der Landschaft Kontur. Kaum mehr als eine Stunde dauert die Fahrt auf der N 630 nach Zamora. Auch hier trifft der vertikale Weg auf eine Horizontallinie.

Der Fluss Duero ist die Grenze zwischen der Tierra del Pan, dem nördlichen Brotland der rauen Meseta, und der Tierra del Vino, dem Weinland, dem milderen Süden Kastiliens.

Zamoras gesamte Altstadt mit ihren Gassen aus dem 12. und 13. Jahrhundert, den schlichten romanischen Kirchen und noblen Renaissancebauten ist unter Denkmalschutz gestellt. Schon Heinrich IV. freilich lobte das Städtchen als »sehr edel und sehr treu«. In der Kirche Santiago de los Caballeros soll El Cid zum Ritter geschlagen worden sein. Im Park vor der Kathedrale mit dem orientalisch anmutenden Schuppendach posiert ein Brautpaar für den Fotografen. Auf der Plaza Mayor gibt es frische Erdmandelmilch. Eine Wanderbühne führt vor stolzen kleinen Spaniern ein Theater auf, das die Erwachsenen nicht minder ergötzt. Vom Kirchplatz von San Cipriano ist ein Storchennest zu sehen, in dem noch die Flaumfedern der Jungen im Stroh hängen. Auf jedem Turm, jedem First finden sich verlassene Nester. Die Vögel sind längst aufgebrochen in wärmere Gefilde.

Es geht weiter nach Süden, ein Katzensprung ist es nach Salamanca, das wir zunächst umfahren, um uns von Süden, von der alten Römerbrücke aus, der gebotenen,...