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Partytime - Geschichten aus den Roaring Twenties

Partytime - Geschichten aus den Roaring Twenties

F. Scott Fitzgerald

 

Verlag Diogenes, 2021

ISBN 9783257612127 , 272 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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18,99 EUR


 

Wer am Samstagabend nach Einbruch der Dunkelheit am ersten Abschlag des Golfplatzes stand, konnte die Fenster des Countryclubs als gelben Streifen über einem sehr schwarzen, welligen Ozean leuchten sehen. Die Wellen dieses Ozeans bestanden sozusagen aus den Köpfen etlicher neugieriger Caddies, einiger besonders vorwitziger Chauffeure sowie der tauben Schwester des Golf‌trainers. Dazu kamen meist ein paar verirrte, zaudernde Wellen, die hätten hineinschwappen können, wenn ihnen danach gewesen wäre; das war der Balkon.

Der erste Rang war drinnen. Er bestand aus einem Kreis von Korbstühlen, die ringsherum die Wände des kombinierten Club- und Ballsaals säumten. Auf den Samstagabendbällen pflegte er überwiegend weiblich besetzt zu sein: ein großes Babel reiferer Damen mit scharfem Auge und eisigem Herzen hinter Lorgnon und stattlichem Busen. Der erste Rang hatte vorwiegend kritische Funktion. Bisweilen bekundete er widerstrebend Bewunderung, niemals aber Beifall, denn unter Damen jenseits der fünfunddreißig gilt es als ausgemacht, dass das junge Volk, das sich im Sommer zum Tanzen versammelt, dies nur mit den schlechtesten Absichten der Welt tut, und wenn man es nicht mit steinernen Blicken bombardiert, wird so manches verirrte Paar in einer Ecke des Ballsaals seltsame, barbarische Intermezzi tanzen, und die attraktiveren, gefährlicheren Mädchen werden sich womöglich in den draußen geparkten Limousinen ahnungsloser ehrbarer Damen küssen lassen.

Und doch ist dieser Kreis von Kritikerinnen der Bühne nicht nah genug, um die Gesichter der Darsteller zu erkennen und die feiner gesponnene Nebenhandlung zu verfolgen. Er kann nur die Nase rümpfen und raunen, Fragen stellen und aus seinen Axiomen befriedigende Schlüsse ziehen, wie etwa jenen, dass jeder junge Mann mit hohem Einkommen das Leben eines gejagten Rebhuhns führt. Für die Dramatik der wechselvollen und oft grausamen Welt der Heranwachsenden hat er letzten Endes kein Verständnis. Nein; Logen, Orchestergraben, Hauptdarsteller und Chor werden von jenem Potpourri aus Gesichtern und Stimmen gebildet, die sich im wehmutsvollen afrikanischen Rhythmus von Dyers Tanzkapelle wiegen.

Von dem sechzehnjährigen Otis Ormonde, der noch zwei Jahre an der Hill School vor sich hat, bis zu G. Reece Stoddard, über dessen heimischem Schreibtisch ein Diplom der Harvard Law School hängt; von der kleinen Madeleine Hogue, der das hochgesteckte Haar oben auf ihrem Kopf immer noch komisch und nicht geheuer vorkommt, bis zu Bessie MacRae, die schon ein wenig zu lange – seit über zehn Jahren –, der Herzschlag jeder Party ist, beherrscht dieses Potpourri nicht nur das Geschehen auf der Bühne, sondern schließt auch diejenigen ein, die allein eines unverstellten Blicks darauf fähig sind.

Mit Tusch und Paukenschlag endet die Musik. Die Paare tauschen ein gekünsteltes, leichtfertiges Lächeln, summen noch einmal spielerisch »la-di-da-da-dum-dum«, und schon übertönt das Geschnatter junger Frauenstimmen den Applaus.

Ein paar enttäuschte Herren, die noch mitten auf der Tanzfläche standen, wo sie eben ein Mädchen hatten abklatschen wollen, zogen lustlos von dannen, denn hier ging es nicht zu wie auf den wilden Weihnachtsbällen – diese sommerlichen Tanzereien, auf denen selbst die jüngeren Ehepaare sich zum nachsichtigen Amüsement ihrer jüngeren Geschwister erhoben und altmodische Walzer oder furchtbare Foxtrotts tanzten, galten bloß als angenehm lau und vergnüglich.

Warren McIntyre, der zwanglos in Yale studierte, war einer der glücklosen Herren, und so tastete er in seiner Jackentasche nach einer Zigarette und schlenderte hinaus auf die große, schummrige Veranda, wo überall Pärchen an den Tischen saßen und die laternenbehängte Nacht mit vagen Wörtern und diesigem Gelächter füllten. Hier und da nickte er einem weniger versunkenen Pärchen zu, und alle naselang erstand ein halbvergessenes Fragment irgendeiner Geschichte in seinem Kopf, denn die Stadt war nicht groß, und jeder gehörte ins Who’s who der Vergangenheit aller anderen. Dort zum Beispiel saßen Jim Strain und Ethel Demorest, die seit drei Jahren heimlich verlobt waren. Alle wussten, dass sie ihn heiraten würde, sobald es ihm gelänge, mehr als zwei Monate dieselbe Arbeitsstelle zu behalten. Aber wie gelangweilt sie beide aussahen und wie müde Ethel Jim manchmal anschaute, als fragte sie sich, warum sie die Ranken ihrer Zuneigung an einer so windzerzausten Pappel hochgezogen hatte.

Warren war neunzehn und bedauerte all seine Freunde, die nicht im Osten aufs College gingen. Doch wie die meisten jungen Männer gab er gewaltig mit den Mädchen seiner Heimatstadt an, solange er selber nicht dort war. Da war zum Beispiel Genevieve Ormonde, die regelmäßig bei den Bällen, Privatpartys und Footballspielen in Princeton, Yale, Williams und Cornell auf‌tauchte; oder die schwarzäugige Roberta Dillon, in ihrer Generation ähnlich berühmt wie Hiram Johnson oder Ty Cobb; und natürlich war da Marjorie Harvey, die nicht nur ein feengleiches Gesicht und ein sagenhaftes, verblüffendes Mundwerk hatte, sondern auch, ganz zu Recht, bewundert wurde, weil sie beim letzten Pumps- und Slipperball in New Haven fünf Räder hintereinander geschlagen hatte.

Warren, der als Junge Marjorie gegenüber gewohnt hatte, war lange Zeit »verrückt nach ihr« gewesen. Manchmal schien sie seine Gefühle mit einer gewissen Dankbarkeit zu erwidern, doch sie hatte ihn ihrem unfehlbaren Test unterzogen und ihm dann feierlich mitgeteilt, sie liebe ihn nicht. Der Test war, dass sie ihn vergaß und sich anderen Jungen zuwandte, sobald sie nicht in seiner Nähe war. Warren fand das entmutigend, zumal Marjorie den ganzen Sommer lang kleine Reisen unternommen hatte und er an den ersten zwei oder drei Tagen nach jeder Rückkehr auf dem Tisch in der Harvey’schen Eingangshalle stapelweise in diversen männlichen Handschriften an sie adressierte Briefe liegen sah. Zu allem Überfluss hatte sie den ganzen August über Besuch von ihrer Cousine Bernice aus Eau Claire, und es schien unmöglich, sich allein mit ihr zu treffen. Immer musste er erst jemanden auf‌treiben, der bereit war, sich mit Bernice abzugeben. Je weiter der August voranschritt, umso schwieriger wurde das.

Sosehr Warren Marjorie auch verehrte, Cousine Bernice fehlte, wenn er ehrlich war, der Pep. Mit ihrem dunklen Haar und der frischen Gesichtsfarbe war sie zwar ganz hübsch, doch auf Partys war nichts mit ihr anzufangen. Jeden Samstagabend tanzte er Marjorie zuliebe einen langen, anstrengenden Tanz mit ihr, aber er hatte sich in ihrer Gesellschaft immer nur gelangweilt.

»Warren« – eine leise Stimme dicht hinter ihm unterbrach ihn in seinen Gedanken. Er drehte sich um und blickte in Marjories Gesicht, lebhaft und strahlend wie immer. Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter, und er begann fast unmerklich zu leuchten.

»Warren«, flüsterte sie, »tu mir einen Gefallen – tanz mit Bernice. Sie kommt schon seit einer Stunde nicht von dem kleinen Otis Ormonde los.«

Warrens Leuchten erlosch.

»Ja – natürlich«, sagte er halbherzig.

»Es macht dir doch nichts aus, oder? Ich passe auch auf, dass du nicht bei ihr hängenbleibst.«

»Schon in Ordnung.«

Marjorie lächelte – jenes Lächeln, das Dank genug war.

»Du bist ein Engel, tausend Dank.«

Seufzend schaute der Engel sich auf der Veranda um, doch Bernice und Otis waren nicht in Sicht. Er schlenderte wieder hinein, und dort, vor der Damengarderobe, entdeckte er Otis inmitten einer Gruppe junger Männer, die sich vor Lachen bogen. Otis schwang ein Holzscheit, das er in der Hand hatte, und hielt flammende Reden.

»Sie ist da drinnen und richtet sich das Haar«, verkündete er aufgeregt. »Ich warte hier, um noch eine Stunde mit ihr zu tanzen.«

Erneutes Gelächter.

»Warum tanzt ihr nicht auch mal mit ihr?«, rief Otis empört. »Über etwas mehr Abwechslung würde sie sich freuen.«

»Wieso denn, Otis«, sagte einer seiner Freunde, »du bist doch gerade erst mit ihr warm geworden.«

»Wozu das Holzscheit, Otis?«, fragte Warren lächelnd.

»Das Holzscheit? Ach, das hier? Das ist ein Knüppel. Wenn sie rauskommt, zieh ich ihr eins über und prügel sie wieder rein.«

Warren ließ sich auf ein Kanapee fallen und johlte vor Vergnügen.

»Keine Sorge, Otis«, brachte er schließlich heraus. »Ich erlöse dich dieses Mal.«

Otis simulierte einen plötzlichen Ohnmachtsanfall und reichte Warren das Holzscheit.

»Falls du’s brauchst, Alter«, sagte er heiser.

Wie schön oder blitzgescheit ein Mädchen auch sein mag, der Ruf, nicht oft abgeklatscht zu werden, bringt sie auf jedem Ball in eine schlechte Position. Vielleicht ist den jungen Männern ihre Gesellschaft sogar lieber als die der Schmetterlinge, mit denen sie im Laufe eines Abends ein halbes Dutzend Mal tanzen, doch die Jugend dieser vom Jazz genährten Generation hat ein rastloses Temperament, und der Gedanke, mehr als einen vollständigen Foxtrott mit demselben Mädchen aufs Parkett zu legen, ist ihnen unangenehm, um nicht zu sagen zuwider. Kommt es zu mehreren Tänzen, einschließlich der Pausen, kann das Mädchen ziemlich sicher sein, dass ihr der junge Mann, einmal erlöst, nie wieder auf den störrischen Zehen herumtrampeln wird.

Warren tanzte den ganzen nächsten Tanz mit Bernice und begleitete sie...