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Red Rabbit - Thriller

Tom Clancy

 

Verlag Heyne, 2012

ISBN 9783641085797 , 736 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

1. Kapitel


VORAHNUNGEN UND TRÄUME


»Wann fängst du an, Jack?«, fragte Cathy und legte sich zu ihm ins Bett.

Er war froh, dass es sein eigenes Bett war. So luxuriös das New Yorker Hotel auch gewesen sein mochte, es war und blieb ihm fremd, und überhaupt hatte er genug von seinem Schwiegervater, seiner Penthouse-Wohnung an der Park Avenue und seiner schrecklich aufgeblasenen Art. Okay, Joe Miller hatte gut neunzig Millionen auf der Bank und in diversen Depots, ein Vermögen, das unter der neuen Präsidentschaft noch kräftig zunahm, aber es reichte jetzt langsam.

»Übermorgen«, antwortete er. »Ich will nach der Mittagspause mal kurz vorbeischauen, nur um mir einen ersten Überblick zu verschaffen.«

»Du solltest ein bisschen Schlaf nachholen«, sagte sie.

Genau da saß der Haken, wenn man mit einer Ärztin verheiratet war, dachte Jack so manches Mal. Einer solchen Frau ließ sich nicht viel verheimlichen. Sie hatte mit einer sanften Handberührung Körpertemperatur, Pulsfrequenz und wer weiß was noch erfasst, ließ aber von ihrer Diagnose genauso wenig durchblicken wie ein Pokerprofi von seinem Blatt.

»Ja, es war ein langer Tag.« In New York war es gerade erst kurz vor fünf am Nachmittag, doch sein »Tag« hatte um einiges länger gedauert als normale vierundzwanzig Stunden. Es wäre wirklich besser, wenn er lernen würde, im Flugzeug zu schlafen. Nicht, dass er unbequem gesessen hätte. Er hatte das vom Staat bezahlte Ticket zu einem Ticket für die erste Klasse umgetauscht und die Differenz aus eigener Tasche dazugezahlt, aber das würde er durch die Vielflieger-Bonuspunkte schon bald wieder zurückgewonnen haben. Großartig, dachte Jack. Auf den Flughäfen von Heathrow und Dulles war er demnächst bestimmt bekannt wie ein bunter Hund. Nun, immerhin hatte er einen neuen schwarzen Diplomatenpass, blieb also vor den üblichen Sicherheitskontrollen und dergleichen verschont. Offiziell war er der US-Botschaft Grosvenor Square in London zugeteilt, gleich gegenüber jenem Gebäude, in dem Eisenhower während des Zweiten Weltkriegs ein eigenes Büro unterhielt. Seinem diplomatischen Status verdankte Ryan eine Reihe von Vollmachten, die ihn über die Gesetze stellten und gewissermaßen zum Supermann machten. Er würde jetzt ein Kilo Heroin nach England schmuggeln können, und die Zollbeamten dürften seine Koffer ohne sein Einverständnis nicht einmal berühren. Mit dem Hinweis auf seine Sonderrechte als Diplomat und dem Vorwand, in Eile zu sein, würde er ihnen dieses Einverständnis einfach vorenthalten können. Es war ein offenes Geheimnis, dass sich Diplomaten über kleinliche Zollpflichten stets hinwegsetzen – was selbst nach Ryans katholischen Moralbegriffen eine allenfalls lässliche Sünde war und somit verzeihlich.

Das typische Durcheinander in einem übermüdeten Kopf, dachte er. Cathy würde es sich nie erlauben, in einem solchen Zustand ihre Arbeit auszuüben. Allerdings hatte sie als Ärztin im Praktikum endlose Stunden ununterbrochen Dienst tun müssen – weil sie unter anderem auch lernen sollte, wichtige Entscheidungen unter Stress zu treffen –, und Jack fragte sich, wie viele Patienten wohl im Zuge solcher Ausbildungspraktiken schon zu Schaden gekommen waren. Wenn ein pfiffiger Anwalt dahinterkäme, wie sich da Geld herausschlagen ließe …

Cathy – auf dem Plastikschild an ihrem weißen Kittel stand: Dr. Caroline Ryan, M. D., FACS – hatte sich in dieser Phase der Ausbildung geradezu aufreiben müssen, und Jack war damals ständig in Sorge gewesen, ihr könnte auf dem Nachhauseweg in ihrem kleinen Porsche etwas zustoßen – nach sechsunddreißig Arbeitsstunden in der Geburtshilfe, der Pädiatrie oder der allgemeinen Chirurgie, Fachgebieten, die sie nur mäßig interessant fand, aber dennoch kennen lernen musste, um approbiert zu werden. Nun, immerhin hatte sie dort auch genug gelernt, um ihn und seine lädierte Schulter an jenem Nachmittag vor dem Buckingham Palace auf die Schnelle zu verarzten und so zu verhindern, dass er vor ihren und den Augen seiner Tochter verblutete. Das wäre für alle Beteiligten ziemlich schmachvoll gewesen, besonders aber für die Briten. Ob ich auch posthum noch in den Ritterstand erhoben worden wäre? fragte er sich und schmunzelte. Dann, nach neununddreißig Stunden ohne Schlaf, schloss er endlich die Augen.

 

»Ich hoffe, es gefällt ihm da drüben«, sagte Judge Moore zum Abschluss der allabendlichen Teambesprechung.

»Unsere Cousins sind ausgesprochen gastfreundlich«, erwiderte James Greer. »Und Basil wird ein guter Lehrer sein.«

Ritter sagte nichts. Für einen Mann vom CIA, zumal einen Mitarbeiter des Nachrichtendienstes, war Ryan, dieser Amateur, enorm populär. Ihm, Ritter, kam es so vor, als wackele die nachrichtendienstliche Abteilung als Schwanz mit dem Hund, nämlich der Einsatzabteilung. Zugegeben, Jim Greer war ein guter Mann und zuverlässiger Kollege, aber er war kein Spion im Einsatz, also das, was die Agency – im Unterschied zum Kongress – wirklich brauchte. So viel war Arthur Moore immerhin klar. Aber wenn auf dem Kapitolhügel das Wort »Agent im Einsatz« fiel, schreckten die Abgeordneten, die ihren Segen zu geben hatten, zurück wie Dracula angesichts eines Kruzifixes, und alle verzogen das Gesicht. Dann war es an der Zeit, dass Klartext geredet wurde.

»Wie viel darf er wissen? Was glauben Sie?«, fragte der DDO, der stellvertretende Einsatz-Direktor.

»Basil betrachtet ihn als meinen persönlichen Vertreter«, antwortete Judge Moore, nachdem er einen Moment lang nachgedacht hatte. »Das heißt, was man uns an Informationen mitteilt, wird auch er erfahren dürfen.«

»Die werden sich Ryan zur Brust nehmen«, warnte Ritter, »und nach Belieben ausquetschen. Und er weiß nicht, wie er sich dagegen wehren kann.«

»Dazu hab ich ihm schon einiges gesagt«, entgegnete Greer, der als DDO natürlich auf dem Laufenden war. Ritter aber konnte ziemlich grantig werden, wenn ihm etwas nicht passte. Greer fragte sich, wie wohl seine Mutter mit ihm zurechtgekommen war. »Unterschätzen Sie ihn nicht, Bob. Er ist sehr gescheit. Ich wette mit Ihnen um ein Abendessen, dass er über die Briten mehr herausfindet als die über ihn.«

»Kunststück«, schnaubte der stellvertretende Einsatz-Direktor.

»Um ein Essen in Snyder’s Restaurant«, schlug der stellvertretende Leiter des Nachrichtendienstes vor. Für beide gab es kein besseres Steak House als eben Snyder’s, gleich hinter der Key Bridge in Georgetown gelegen.

Judge Arthur Moore, der CIA-Chef, kurz DCI, folgte dem Schlagabtausch mit sichtlichem Vergnügen. Greer wusste, wie er sich Ritter gefügig machen konnte, und Ritter ging ihm tatsächlich immer wieder auf den Leim. Vielleicht lag’s an Greers ausgeprägtem Ostküstenakzent. Texaner wie Bob Ritter (und auch Arthur Moore) wähnten sich allen, die durch die Nase sprachen, haushoch überlegen, vor allem beim Kartenspiel oder dann, wenn eine Flasche Bourbon-Whiskey herumgereicht wurde. Judge Moore war darüber zwar erhaben oder glaubte es zumindest zu sein, hatte aber seinen Spaß daran, die beiden zu beobachten.

»Einverstanden, um ein Abendessen bei Snyder’s.« Ritter streckte die Hand aus. Und für den DCI war es an der Zeit, die Gesprächsleitung wieder an sich zu nehmen.

»Das wäre also geklärt. Kommen wir zum nächsten Punkt, meine Herren. Der Präsident wünscht von mir darüber aufgeklärt zu werden, was in Polen vor sich geht.«

Ritter ließ sich mit der Antwort Zeit. Er hatte zwar einen tüchtigen Mann als Leiter der Außenstelle in Warschau, doch dem standen nur drei Einsatzagenten zur Verfügung, wovon einer ein Neuling war. Allerdings hatten sie eine sehr zuverlässige Quelle an hoher Position in der polnischen Regierung und darüber hinaus mehrere gute Kontakte zum Militär.

»Das ist denen vor Ort selbst noch nicht klar, Arthur. Diese Solidarnosc-Geschichte macht ihnen jedenfalls schwer zu schaffen«, berichtete der DDO.

»Am Ende wird ihnen Moskau diktieren, was zu tun ist«, pflichtete Greer bei. »Aber auch Moskau weiß nicht weiter.«

Moore setzte seine Lesebrille ab und rieb sich die Augen. »Tja, wenn man ihnen offen die Stirn bietet, sind sie ratlos. Stalin hätte alles kurzerhand niedergemacht, aber der jetzigen Riege fehlt dazu die Chuzpe – dem Himmel sei Dank.«

»Im Kollektiv zu regieren kehrt bei den Einzelnen die Feigheit hervor, und Breschnew hat einfach nicht mehr das Zeug zum Führen. Nach dem, was man so hört, muss er sich sogar auf dem Weg zur Toilette an die Hand nehmen lassen.« Das war natürlich leicht übertrieben, aber es gefiel Ritter, über eine schwächelnde sowjetische Regierung Witze zu reißen.

»Was hat uns KARDINAL zu vermelden?« Moore bezog sich auf den CIA-Spitzenagenten im Kreml, die rechte Hand des Verteidigungsministers Dimitri Fedorowitsch Ustinow. Sein Name lautete Michail Semjonowitsch Filitow, doch für die wenigen eingeweihten Männer vom CIA war er schlicht und einfach der KARDINAL.

»Seinen Worten nach hat Ustinow die Hoffnung aufgegeben, dass das Politbüro irgendetwas Sinnvolles hervorbringen könnte, ehe nicht ein anderer an der Spitze steht. Leonid ist seinem Amt nicht mehr gewachsen. Das weiß jeder, auch der Mann auf der Straße. Fernsehbilder lassen sich schlecht beschönigen.«

»Wie lange wird er’s noch machen?«

Allgemeines Schulterzucken. Dann antwortete Greer: »Ich hab mit Ärzten gesprochen. Die sagen, es könnte sein, dass...