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Heldensturz - Die Legenden des Raben 6 - Roman

James Barclay, Rainer Michael Rahn

 

Verlag Heyne, 2012

ISBN 9783641087081 , 368 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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6,99 EUR


 

Zweites Kapitel


Die Cursyrd erwarteten sie schon, ehe das nervöse Pferd vor den ersten Wagen gespannt wurde. Seit sie mitten in der Nacht begonnen hatten, die fünfzehn Wagen zu beladen, von denen einige kaum mehr waren als primitive gedeckte Anhänger, trafen auch die Feinde ihre Vorbereitungen. Auum hatte daran keinen Zweifel. Es war nur die Frage, wer beim ersten Tageslicht die bessere Taktik einsetzen konnte.

Für die Menschen und Al-Arynaar, die bei den Einweisungen nicht genau hingehört hatten, musste der Anblick erschreckend sein. Seelenfresser schwebten um den Schutzschild und warteten auf den Moment, in dem er aufgelöst werden sollte. Sie drängten sich vor dem Haupttor und boten dem Auge ein entsetzliches Kaleidoskop von Farben dar. Auch über den Straßensperren schwebten sie, und auf die Straße hatten sie menschliche Sklaven als zusätzliche Hindernisse getrieben. Dabei stießen sie eine Kakophonie von Lauten aus, die zwischen den Gebäuden des Kollegs und in der Luft hallten und auch der tapfersten Seele einen Schauder über den Rücken jagten.

»Läufer sollen jedes Pferd begleiten!«, rief Rebraal. »Kutscher, ihr sitzt auf und stellt die Wagen im Hof bereit. Freie Magier, auf die Wagen. Achtet auf die Grenzen der Kalträume. Los jetzt!«

Auums Atem stand in der kalten Luft als Dampfwolke vor seinem Mund und vermischte sich mit dem Atem der hundertachtzig Magier und zweihundertzwanzig Krieger der Al-Arynaar, der Kollegwächter und der freien Julatsaner. Er drehte sich einmal um sich selbst. Die Pferde trugen Scheuklappen und wurden aus den Ställen in den Hof geführt. Immer zwei wurden vor jeden Wagen gespannt. Die Tiere waren launisch, und so stellten sich Elfen zu ihnen, flüsterten ihnen beruhigende Worte ins Ohr und streichelten ihnen die Nüstern und Hälse.

Vor der ersten Gruppe von fünf Wagen hatten sich dreißig Al-Arynaar-Magier und fünfzig Krieger versammelt. Sie bildeten die Vorhut und sollten für den ersten Wagen den Weg freiräumen und wenn möglich sogar eine Bresche in die Reihen der Cursyrd schlagen, die sich vor dem Tor versammelt hatten. In jedem der Wagen, die immer zu zweit nebeneinander fahren sollten, saßen sechs menschliche Magier und sechs Krieger der Menschen und Elfen. Die Magier sollten nach vorn einen Kaltraum aufbauen, sobald sie den Schutz des Kollegs verlassen hatten. Neben den Wagen sollten Elfenkrieger und weitere Magier laufen, einige andere hockten schon auf den Wagendächern und schirmten sie gegen Angriffe aus der Luft ab.

Auf die erste Abteilung sollten zwei weitere folgen, die fast identisch aufgebaut waren. Die wenigen freien Pferde waren an die Wagen der zweiten Abteilung gebunden. Auch sie trugen Scheuklappen, und in der Nähe liefen Elfen, die darauf vorbereitet waren, ihre Riemen durchzuschneiden, falls sie durchgehen sollten.

Sie hatten alles getan, was sie tun konnten. Auum war so zufrieden, wie er es angesichts der Umstände nur sein konnte. Er und seine Tai würden die Nachhut bilden, weil ihrer Ansicht nach dort die Gefahr, Magier zu verlieren, am größten war. Im Augenblick saßen die Magier noch schwer bewacht im Keller und hielten die Kalträume aufrecht. Sie mussten ihre Schutzräume bald verlassen.

Es lag in der Natur der Sache, dass für jeden Kaltraum jeweils drei Magier gebraucht wurden, damit der Spruch stabil blieb. Unter normalen Bedingungen, sofern man überhaupt von Normalität sprechen konnte, würden sich die ablösenden Magier nahtlos einfügen und die Konstruktion speisen, sodass stets ein makelloser Schirm erhalten blieb. Wenn sich alle drei Magier gleichzeitig bewegten, würde der Spruch unweigerlich zusammenbrechen.

Der Moment der größten Gefahr war nahe. An fünf Stellen warteten jeweils drei Kaltraum-Magier darauf, dass sie sich in Bewegung setzen konnten. Sie sollten in einer bestimmten Reihenfolge ihre Sprüche fallen lassen und unter dem Schutz der Al-Arynaar zu den vorher festgelegten Wagen rennen. Drei der Trios hatten keine großen Probleme, sie kamen gut hinüber, denn ihre Wagen standen in der Nähe. Sie konnten die Sprüche aufgeben, ohne irgendjemanden außer sich selbst zu gefährden. Nachdem die entsprechenden Bereiche des Kollegs geräumt waren, konnten sie ihren Standort verlassen, und die Cursyrd mochten das Gelände dann übernehmen.

Für die beiden letzten Gruppen sah die Sache völlig anders aus. Ihre Sprüche schützten den Hof und das Haupttor, und da die Magier, die schon im Hof in den Wagen saßen, ihre Sprüche erst wirken und die Strukturen neu aufbauen konnten, wenn sie wieder Verbindung zum Mana hatten, würde es eine gewisse Zeitspanne geben, kurz zwar, aber dennoch sehr gefährlich, in der kein Schutzschirm zur Verfügung stand. Alle im Kolleg wussten es, und auch die Cursyrd hatten dies begriffen. Genau darauf warteten sie.

Auum ließ sich Zeit. Dreimal bekam er Meldungen, dass bestimmte Bereiche des Kollegs geräumt waren, und dreimal wurden die zugehörigen Kalträume aufgegeben, damit die Magier unter dem Schutz der noch stehenden Hülle zu ihren Wagen rennen konnten. Zuerst waren das Refektorium und der Vortragssaal an der Reihe, als Zweites das Herz und die Bibliothek, schließlich die persönlichen Gemächer, Zimmer und Büros. Die Cursyrd versuchten gar nicht erst, die Magier zu jagen, die für diese Bereiche verantwortlich gewesen waren. Das war nicht nötig. Sie sollten eine bessere Gelegenheit bekommen.

Drei Wagen, die zur dritten Abteilung gehörten, waren schon besetzt. Zwei, von Al-Arynaar umgeben, waren noch leer. Sie standen mitten auf dem Hof, ein gutes Stück von den Stellen entfernt, zu denen die Magier vernünftigerweise hätten rennen müssen. Dila’heth war der Ansicht, dass die Cursyrd ohnehin wussten, wo die Magier sich versteckten, doch alles, was die Cursyrd auch nur für einen Moment auf eine falsche Fährte locken konnte, verschaffte den Verteidigern möglicherweise einen entscheidenden Vorteil.

Schon strömten die Dämonen in die Bereiche des Kollegs, die gerade eben frei geworden waren. Die Kalträume endeten jetzt direkt an den Mauern des Innenhofs, und dort drängten sich die Cursyrd nun, verhöhnten die Julatsaner und verhießen ihnen einen qualvollen Tod. Die Seelenfresser stolzierten durch ihr neues Reich und präsentierten Farben von Dunkelgrün über Purpur und Blau bis Tiefschwarz. Hunderte Exemplare einer winzigen dunkelgrauen Sorte flogen schnatternd über das Kolleg hinweg. Sie stellten für sich genommen keine große Gefahr dar, besaßen allerdings scharfe Krallen und strahlten eine tödliche Kälte aus. Wenn sich genug von ihnen zusammentaten, konnten sie einen Menschen oder einen Elf bezwingen. Weiter oben schwebten die Herren der Dämonen auf ihren Tentakeln und dirigierten ihre Untertanen. Alles in allem waren die Julatsaner im Verhältnis von mindestens zehn zu eins unterlegen.

»Rebraal!«, rief Auum. »Sie sollen sich vorbereiten!«

Die Kakophonie der Dämonenstimmen schwoll zu einem ohrenbetäubenden Lärm an. Die Al-Arynaar und TaiGethen benutzten zur Verständigung untereinander die Zeichensprache und flüsterten Worte in die Ohren der Kutscher, der Pferde und der wenigen menschlichen Schwertkämpfer, die sich weigerten, auf einem Wagen sitzend zu fliehen.

Auum hörte, wie ein Dämon Rebraals Namen rief. Er fuhr herum und schritt bis zur Grenze des Schutzschirms. Dort stand das Ungeheuer, größer als er selbst, die Flügel auf dem Rücken zusammengefaltet, und starrte ihn mit seinem schmalen Gesicht an, verzog den lippenlosen Mund zu einem Grinsen und wechselte die Farbe von Grau nach Grün.

»Rebraal«, schrie das Wesen in einer schlechten Nachahmung von Auums Stimme, »du wirst der Erste sein. Deine Seele wird mir gehören. Komm zu mir, komm nur näher.«

Er winkte Rebraal, der ihn jedoch ganz sicher nicht hören konnte. Dabei stießen seine Arme durch die Hülle des Kaltraums herein. Auum baute sich vor dem Dämon auf, bis dieser sich auf ihn konzentrierte.

»Und du, Elf, kannst uns nicht aufhalten«, zischte der Dämon. »Nun komm schon, ergib dich. Wir wollen uns berühren, dann wirst du erfahren …«

Auum griff blitzschnell zu, packte den Dämon an den Handgelenken und zog ihn in die Hülle hinein. Das Wesen kreischte und riss sich los, stolperte und stürzte. Auum versetzte ihm einen Schlag auf die Brust, zog sein Kurzschwert aus der Scheide und nagelte einen Arm des Dämons am Boden fest. Das Wesen schrie.

»Sei vorsichtig mit deinen Wünschen«, sagte er.

Gleich darauf zückte er seinen Dolch und stieß ihn dem Dämon tief in die Achselhöhle. Das Wesen riss vor Furcht die Augen weit auf. Es bäumte sich noch einmal auf und blieb still liegen. Auum nahm seine Waffen wieder an sich, drehte sich zum Rand des Schutzschirms um und stand mit einer fließenden Bewegung auf.

»Shorth wird euch alle holen.«

Er zog sich einige Schritte zurück, Duele und Evunn waren inzwischen bei ihm und nahmen ihn in die Mitte.

»Wir sind bereit«, sagte Duele.

»Dann wollen wir beten.«

Die Tai knieten nieder. Auum sprach ein kurzes Gebet, in das alle Elfen im Hof einstimmten. Sie sprachen wie mit einer Stimme, und die alten Worte brachten sogar die johlenden und kreischenden Cursyrd zum Schweigen.

»Mit unserem Atem, Yniss, sind wir dein. Mit unserem Leib, Tual, sind wir dein. Mit unseren Seelen, Shorth, sind wir dein. Führt uns, leitet und uns segnet uns, während wir unser Werk vollbringen. So soll es sein.«

Auum hieß seine Gefährten wieder aufstehen.

»Tai, es geht los.«

Die TaiGethen eilten zum Zentrum des Hofs zurück und stellten sich zwischen den beiden Wagen auf, die auf die letzten Magier warteten. Sogleich fanden die Cursyrd ihre Stimmen wieder. Ein fast...