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Allein. Tagebuch eines vernachlässigten Kindes

Christa Schwägerl

 

Verlag acabus Verlag, 2012

ISBN 9783862821143 , 225 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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6,99 EUR


 

Die Sonne scheint. Ich kann nicht mehr schlafen. Meine Beine hüpfen auf und ab und ich sehe den kleinen Staubteilchen zu, wie sie durch die Luft fliegen. Kalle liegt neben mir. Er möchte auch aufstehen. Mama mag das aber nicht. Sie sagt, ich soll warten, bis sie mich weckt. Kalle meint, vielleicht ist Mama auch schon wieder weg. Ich erzähle ihm, dass Mama es mir sagt, wenn sie geht. Ich bin doch schon groß. Ich muss aufpassen, wenn sie nicht da ist. Kalle mag Mama nicht. Einmal habe ich zu Mama gesagt: 'Kalle kann dich nicht leiden!' Da hat sie ihm einen Arm ausgerissen. 'Ich kann deinen Kalle auch nicht leiden', hat sie gesagt, ganz böse war sie. Seitdem sage ich nichts mehr, passe auf, dass sie ihn nicht sieht. Ich brauche Kalle doch. Wen soll ich denn fragen, wenn er nicht mehr da ist? Früher habe ich manchmal Frau Mainka gefragt, aber das soll ich nicht mehr. Ich soll überhaupt nicht rausgehen, wenn Mama nicht da ist, sonst kommen böse Menschen in die Wohnung. Ich soll warten, bis Mama wiederkommt. Aber irgendjemanden muss ich fragen, wenn ich nicht mehr weiter weiß. Natürlich ist mein Bruder Maxi da, aber er kann noch nicht richtig sprechen. Maxi ist noch klein. Ich bin groß. Vielleicht ist Mama wirklich nicht mehr da. Ich werde nur mal kurz nachsehen. Kalle meint auch, ich solle das tun. Aber ihn werde ich hier lassen. Wenn Mama wütend wird, tut sie ihm vielleicht wieder etwas an. Ich steige aus dem Bett und verstecke Kalle unter der schmutzigen Wäsche. Da schaut Mama bestimmt nicht nach. Ich schleiche an Maxis Bett vorbei. Er schläft noch, obwohl ihm die Sonne auf die Nase scheint. Im Flur steige ich über Mamas Rucksack. Die Tür zu ihrem Zimmer ist nicht ganz zu und ich drücke mein Gesicht durch den Spalt. Sie ist noch da. Mein Herz macht einen Sprung. Sie ist wirklich noch da. Das große, rote Simpsons-Shirt ist über den Po hochgerutscht und sie liegt auf dem Bauch quer über das Bett. Meine Mama. Ich schiebe den Kopf noch ein klein wenig weiter nach vorn. Die Tür gibt nach und quietscht. Oje. Mama bewegt sich. Ich drehe mich um und will zurück in mein Zimmer flüchten. Da höre ich ihre heisere Stimme: 'Lena Maria?' Ich bleibe stehen. 'Lenchen, komm zu Mami!' Ich bewege mich nicht. Gott sei Dank habe ich Kalle versteckt. 'Na komm, meine Süße.' Vielleicht ist sie gut aufgelegt. Gestern, als sie nach Hause kam, war sie furchtbar müde. Sie legte sich sofort schlafen und meinte nur, ich solle Maxi ins Bett stecken. Morgen würde sie etwas zu essen kaufen. Bis dahin möchte sie nichts mehr von uns hören. Langsam drehe ich mich um und gehe auf ihr Zimmer zu. Sie streckt sich und gähnt. Als ich in der Tür stehe, klopft sie auf ihre Bettdecke und lächelt. Ich nehme Anlauf, springe auf das Bett und kuschle mich an sie. Sie drückt mich ganz fest und zieht die Decke über uns. Es ist dunkel dort unten und sie fängt an mich zu kitzeln. Ich muss lachen und versuche sie auch zu kitzeln. Aber es gelingt mir nicht, weil ich meine Arme nicht ausstrecken kann. Ich lache, bis mir der Bauch weh tut. Dann drücke ich meine Nase an ihre Haut und rieche ihren Duft. Meine Mama. Sie küsst mich und sagt: 'Wir beide, Lena Maria. Du und ich. Wir beide gehören zusammen.' 'Und Maxi?', frage ich. Von Kalle sage ich lieber nichts. 'Und Maxi, natürlich. Wir gehören zusammen. Aber vor allem du und ich, Lenchen. Du bist meine Große. Maxi versteht ja noch nichts.' Ich fühle mich, als könne ich fliegen. Meine Mama und ich, wir gehören zusammen. Ich habe es gewusst. Ich habe es Kalle ja gesagt, aber er wollte mir nicht glauben, der alte Miesepeter. Was weiß ein Hase schon von meiner Mama und mir?! [...]