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Die Paris-Option - Roman

Robert Ludlum, Gayle Lynds

 

Verlag Heyne, 2012

ISBN 9783641090074 , 624 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

1


Diego Garcia, Indischer Ozean


Auf dem US-Militärstützpunkt von Diego Garcia war es 6 Uhr 54 morgens. Der wachhabende Offizier im Kontrollturm starrte zum Fenster hinaus, wo die Morgensonne die warmen blauen Wellen der Emerald Bay auf der Lagunenseite des wie ein U geformten Atolls beleuchtete, und wünschte sich, seine Schicht wäre zu Ende. Er blinzelte träge, und seine Gedanken begannen zu wandern.

Er und seine Kollegen waren auf diesem strategisch platzierten und äußerst wichtigen Stützpunkt der US Navy mit dem logistischen Support für Luft- und Seeoperationen betraut. Der Lohn dafür war die Insel selbst, ein abgelegener Ort von märchenhafter Schönheit, auf dem träge dahinfließende Routine jeden Ehrgeiz abstumpfte.

Er erwog gerade, ob er gleich nach Dienstschluss in der Lagune schwimmen sollte, als eine Minute später, um 6 Uhr 55, der Kontrollturm den Kontakt mit der gesamten zurzeit in der Luft befindlichen Flotte von B-1B, B-52, AWACS, P-3 Orion und U-2-Maschinen auf einer Vielzahl von Einsätzen verlor, darunter auch einigen äußerst wichtigen und durchaus nicht routinemäßigen Aufklärungs- und U-Boot-Überwachungsflügen.

Die tropische Lagune war aus seinen Gedanken sofort wie weggewischt. Er brüllte Befehle, stieß einen Techniker von einer der Konsolen weg und schaltete auf Diagnose. Alle blickten wie gebannt auf die Displays und Bildschirme und gaben sich alle Mühe, das Geschehen wieder unter Kontrolle zu bringen.

Doch da war nichts zu machen. Um 6 Uhr 58 verständigte er in einem Zustand mühsam kontrollierter Panik den kommandierenden Offizier des Stützpunkts.

Um 6 Uhr 59 informierte der kommandierende Offizier das Pentagon.

Und dann, völlig unerklärlich, war um 7 Uhr, exakt fünf Minuten nach dem Abbrechen aller Verbindungen, auf die Sekunde genau der Kontakt zu sämtlichen Flugzeugen wiederhergestellt.

Fort Collins, Colorado
Dienstag, 6. Mai


Über der weiten Prärie im Osten ging die Sonne auf und tauchte den Foothills Campus der Colorado State University in goldenes Licht. Jonathan (»Jon«) Smith, M. D., saß in einem modernst ausgestatteten Labor in einem unauffälligen Gebäude, spähte in ein Binokular-Mikroskop und schob bedächtig eine feine Glasnadel zurecht. Er praktizierte den unsichtbaren Tropfen einer Flüssigkeit auf eine flache Glasscheibe, die nicht größer als eine Nadelspitze war. Unter dem hochauflösenden Mikroskop erinnerte die Scheibe verblüffend  – und obwohl das eigentlich unmöglich war – an einen elektronischen Schaltkreis.

Smith drehte kaum merkbar an einer Stellschraube und stellte das Bild schärfer. »Gut«, murmelte er und lächelte dann. »Es besteht Hoffnung.«

Smith war Experte für Virologie und Molekularbiologie und zugleich medizinischer Offizier der Army – Lieutenant Colonel, um es genau zu sagen – und kurzzeitig hier zwischen den rauschenden Fichten und den sanften Vorbergen Colorados im CDC, dem Zentrum für Seuchenkontrolle, stationiert. Das militärische Forschungsinstitut für Infektionskrankheiten, USAMRIID, hatte ihn inoffiziell an die Universität »ausgeliehen«, um ihm die Möglichkeit zu geben, sich an der mit dem Virenwachstum befassten Grundlagenforschung zu beteiligen.

Nur dass Viren mit dem, was er an diesem frühen Morgen unter seinem Mikroskop beobachtete, nicht das Geringste zu tun hatten. USAMRIID war das führende militärische Forschungsinstitut, sein hoch gelobtes ziviles Pendant das CDC. Normalerweise herrschte zwischen den beiden Instituten heftige Rivalität. Aber nicht hier und nicht jetzt, und die Arbeiten, die in diesem Laboratorium durchgeführt wurden, standen auch nur in sehr peripherer Beziehung zur Medizin.

Smith gehörte einem wenig bekannten CDC-USAMRIID-Forschungsteam an, das an dem weltweiten Wettstreit um die Entwicklung des ersten molekularen – oder DNS-Computers der Welt teilnahm, was eine ganz neuartige Kombination zwischen der Biologie und der Computerwissenschaft erforderte, ein Konzept, das den Wissenschaftler in Smith faszinierte und eine Herausforderung für seine reiche Erfahrung auf dem Feld der Mikrobiologie darstellte. Was ihn zu dieser frühen Stunde in sein Labor geführt hatte, war seine Hoffnung auf einen Durchbruch bei der Entwicklung molekularer Schaltkreise aufgrund spezieller organischer Polymere, die er und andere Forscher in ständiger Arbeit rund um die Uhr entwickelt hatten.

Wenn ihren Bemühungen Erfolg beschieden war, würde es möglich sein, ihre Epoche machenden DNS-Schaltkreise viele Male neu zu konfigurieren, und damit würden sie ihrem Ziel einen Schritt näher kommen, Silizium, das derzeitige Schlüsselelement der Computertechnik, überflüssig zu machen. Und das war gut so. Die Computerindustrie hatte sich ohnehin den Grenzen der Siliziumtechnologie angenähert, und biologische Komponenten stellten den logischen – wenn auch schwierigen  – nächsten Schritt dar. Sobald es einmal möglich sein würde, DNS-Computer zu bauen, sollten diese wesentlich leistungsfähiger sein, als man sich das in der Öffentlichkeit gemeinhin vorstellte. Und an diesem Punkt setzte das Interesse des Militärs und damit das von USAMRIID ein.

Smith hatte, fasziniert von diesem Forschungsvorhaben, sofort seine Fühler ausgestreckt und sich, unmittelbar nachdem er von diesem geheimen Gemeinschaftsprojekt des CDC und des USAMRIID gehört hatte, eine Einladung beschafft. Jetzt stürzte er sich in diesen Technologiewettbewerb, wo die Zukunft vielleicht nur die Breite eines Atoms entfernt war.

»Hey, Jon.« Larry Schulenberg, ein Zellbiologe von hohem wissenschaftlichem Rang und einer der Kollegen in dem Projekt, kam in seinem Rollstuhl in das Labor gerollt. »Haben Sie das vom Pasteur-Institut gehört?«

Smith blickte von seinem Mikroskop auf. »Ich habe nicht mal gehört, wie Sie die Tür aufgemacht haben.« Dann bemerkte er Larrys düsteren Gesichtsausdruck. »Das Pasteur-Institut ?«, wiederholte er. »Warum? Was ist passiert?« Ebenso wie USAMRIID und das CDC gehörte auch das Pasteur-Institut zur Spitzenklasse der in diesem Bereich tätigen Institutionen.

Schulenberg, ein Mann um die fünfzig, war tief gebräunt; er pflegte sich den Schädel glatt zu rasieren und trug einen kleinen Diamanten im Ohr. Seine Schultern waren von den vielen mit Gehhilfen verbrachten Jahren mit dicken Muskelpaketen versehen. Jetzt klang seine Stimme ernst. »Eine Explosion. Schlimme Sache. Es hat ein paar Tote gegeben.« Er hatte einen Stapel Ausdrucke im Schoß und reichte dem Kollegen einen davon.

Jon schnappte nach dem Papier. »Mein Gott ... Wie ist das passiert? Ein Laborunfall?«

»Das glaubt die französische Polizei nicht. Vielleicht eine Bombe. Man überprüft gerade ehemalige Angestellte.« Larry drehte seinen Stuhl herum und rollte wieder auf die Tür zu. »Ich dachte, das würde Sie interessieren. Jim Thrane in Porton Down hat mir ein E-Mail geschickt, und daraufhin hab ich mir die Sache heruntergeladen. Ich will nachsehen, wer sonst noch da ist. Das interessiert bestimmt alle.«

»Danke.« Während die Tür sich hinter Schulenberg schloss, überflog Smith das Blatt, das der ihm gegeben hatte. Er hatte das Gefühl, sein Magen würde sich umdrehen, und er las die kurze Notiz ein zweites Mal ...

Explosion im Pasteur-Institut zerstört Labor


Paris – Eine gewaltige Explosion hat in der vergangenen Nacht um 22 Uhr 52 in dem berühmten Pasteur-Institut mindestens zwölf Todesopfer gefordert und ein dreistöckiges Gebäude mit Büros und Laborräumen zum Einsturz gebracht. Vier Überlebende konnten in kritischem Zustand geborgen werden. Die Suche nach weiteren Opfern wird in den Trümmern fortgesetzt.

Ermittler der Brandschutzbehörden erklären, dass Hinweise auf Sprengstoff gefunden wurden. Bis jetzt haben sich weder Einzelpersonen noch Gruppen zu der Tat bekannt. Die Untersuchungen werden fortgeführt, und es wird gegen in letzter Zeit entlassene Angestellte ermittelt. Unter den Überlebenden, die bis jetzt identifiziert werden konnten, befindet sich Martin Zellerbach, Ph. D., ein Computerwissenschaftler aus den Vereinigten Staaten, der Kopfverletzungen erlitten hat ...

Smith hatte das Gefühl, sein Herz würde stocken. Martin Zellerbach, Ph. D., ein Computerwissenschaftler aus den Vereinigten Staaten, der Kopfverletzungen erlitten hat. Marty? Während seine Hand das Papier zerknüllte, tauchte vor seinem inneren Auge das Gesicht seines alten Freundes auf. Das schiefe Lächeln, die durchdringend blickenden grünen Augen, die vergnügt blitzen und im nächsten Augenblick in weite Ferne blicken konnten, als würden sie einen Punkt draußen im Weltraum fixieren. Ein kleiner rundlicher Mann mit unsicherem Gang, so als ob er nie gelernt hätte, seine Beine richtig zu bewegen – Marty litt unter dem Asperger-Syndrom, einer Störung im motorischen Nervensystem, die man dem weniger gefährlichen Bereich des Autismus zuordnete und zu deren Symptomen Zwangsvorstellungen, hohe Intelligenz und ein hochgradiger Mangel an kommunikativen und sozialen Fähigkeiten sowie ein phänomenales Talent in einem speziellen Bereich gehörten  – bei ihm Mathematik und Elektronik. Marty war tatsächlich das, was man als Computergenie zu bezeichnen pflegte.

Smith spürte, wie ihm ein würgender Kloß in die Kehle stieg. Kopfverletzungen. Wie schwer mochten Martys Verletzungen sein? Der Artikel erwähnte davon nichts. Smith zog sein Handy heraus, in das ein spezieller Zerhacker integriert war, und wählte eine Nummer in Washington.

Er und Marty waren zusammen in Iowa aufgewachsen, wo er Marty vor den Hänseleien seiner Mitschüler und sogar vor einigen...