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Kein Mann fürs Leben - Roman

Evelyn Holst

 

Verlag Diana Verlag, 2009

ISBN 9783641031503 , 384 Seiten

Format ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,99 EUR


 

KAPITEL 1
Angie Winter fluchte leise vor sich hin, als sie aus dem Auto stieg und die Straße entlangging. Warum um alles in der Welt hatte sie sich auch ausgerechnet heute Abend in das enge, schwarze Strickkleid gezwängt? Sich mit der vagen Erinnerung zufriedengegeben, dass es ihr einmal perfekt gepasst hatte? Weshalb war ihr nur in den Sinn gekommen, wie jung und sehr sexy sie sich einst darin gefühlt hatte? So jung und sexy, wie sie sich auch heute Abend fühlen wollte. Doch nun sah sie aus wie eine Birne im Wäschesack.
Stichwort Klassentreffen! Das erste seit fünfundzwanzig Jahren. Organisiert von Volker Pippmann, dem Oberstreber von damals, der nie bei sich abschreiben ließ. Immer seine Hand mit den abgekauten Nägeln wie zufällig auf der Klassenarbeit, die fetten Finger weit auseinandergespreizt. Und immer dieses hämische Grinsen dabei. Gehasst hatten sie ihn alle. Sie am meisten. Schließlich hatte er mit seinen Wurstfingern dafür gesorgt, dass sie im Abi nur eine Vier minus in Latein gehabt und es deshalb für den Numerus clausus in Medizin nicht gereicht hatte.
»Tja, errare humanum est«, hatte er gesagt und sie frech angegrinst, als sie sich damals mit einem Abidurchschnitt von 3,5 sehr deprimiert auf den Heimweg gemacht hatte. »Mein Tipp für dich – heirate schnell, solange du noch saftig bist und dein erotischer Marktwert hoch ist«, hatte er ihr noch hinterhergerufen. »Dann bist du gut versorgt und musst dir um Studium und Karriere keine Sorgen machen!«
Sie hatte damals nichts erwidert, seinen gebrauchten, aber blitzblank polierten BMW, ein Geschenk seiner Eltern zum achtzehnten Geburtstag, fest im Blick, ihren Hausschlüssel genauso fest in der Hand. In einem unbeobachteten Moment hatte sie den Wagen umkreist und mit dem Schlüssel ein dickes Herz auf die Kühlerhaube geritzt. Danach hatte sie sich besser gefühlt.
Ob er sich noch daran erinnert?, überlegte Angie, während sie sich bemühte, so flach zu atmen, dass sie ihr schwarzes Strickkleid möglichst wenig spürte. Sie blickte an sich herunter, was ein Fehler war, denn aus dieser Perspektive sah sie plötzlich schwanger aus. Nur ein bisschen, höchstens vierter Monat, aber es reichte, ihre ohnehin in jeder Pore spürbare Unsicherheit bis in die Haarwurzeln hochzutreiben. Mist!
Nichts war ja geeigneter als ein Klassentreffen, um sich panisch alte Fotos anzusehen und deprimiert festzustellen, wie jung und schlank man einmal ausgesehen hatte. Wobei es kein Trost war, dass es ja allen anderen genauso ging.
Als Angie nun die Straße zum hell erleuchteten Restaurant hin überquerte, hoffte sie inständig, dass Volker inzwischen fett, glatzköpfig und arbeitslos war. Sie zog das Kleid, in dem sie sich inzwischen wie eine Bratwurst fühlte, die aus der Pelle platzte, mit einer Hand wieder nach unten. Leider, leider hatte sie zum falschen Kleid auch die falsche Unterwäsche gewählt. Und zwar den einzigen Tanga, den sie besaß. Vor ein paar Wochen hatte sie beschlossen, ihre bequeme Baumwollunterwäsche, in der sie, wie ihre Freundin Nina behauptet hatte, »wie Tante Käthe beziehungsweise wie eine Frau, die seit dreißig Jahren ohne Sex lebt« aussah, komplett auszumisten und sich unten herum drastisch zu verjüngen. Da Angie eine vorsichtige Frau war, die Änderungen im Allgemeinen und drastische ganz besonders eher fürchtete als herbeisehnte, hatte sie sich probeweise einen dunkelroten Tangaslip gekauft. Und den hatte sie heute einweihen wollen.
Sie knipste wie auf Bestellung ein energisches Lächeln an, ignorierte das Zwicken auf Pobackenhöhe und betrat beherzt das Drei Tageszeiten.
»Ich wollte mich nur von Ihnen verabschieden.«
Jochen Winter sah von seinem Schreibtisch hoch und erwiderte das Lächeln der Praktikantin, an deren Namen er sich nicht mehr erinnern konnte. »Hat es Ihnen gefallen bei uns?«, fragte er der Höflichkeit halber, nicht weil es ihn wirklich interessierte.
Als sie »ehrlich gesagt war ich etwas enttäuscht« erwiderte und seinem konsternierten Blick nicht auswich, zuckte er ein wenig zusammen. »Darf ich fragen, warum?«, fühlte Jochen sich bemü ßigt nachzufragen, obwohl trotz der späten Stunde noch jede Menge Arbeit auf ihn wartete. Aber es widerstrebte ihm, dass jemand, der auch nur drei Wochen lang in seiner Firma gearbeitet hatte, Negativwerbung für den Betrieb machen könnte. Praktikanten zu beschäftigen, war einfach nicht besonders rentabel.
»Es gibt mehrere Gründe«, sagte sie, und ihre Stimme klang bedeutungsvoll.
»Die da wären?« Jochen seufzte und warf einen Blick auf den Papierstapel – Rechnungen, Kalkulationen, Steuerunterlagen, die er am liebsten alle mit einer schnellen Handbewegung in den Papierkorb gewischt hätte.
»Ich dachte, Lukullus wäre eine coole Restaurantkette«, meinte die junge Frau, »stattdessen machen Sie Alzheimerkost für Zahnlose in Altenheimen. Total uncool.« Jochen unterdrückte den kurzen Impuls, ihr – batsch, batsch – spontan ein paar Ohrfeigen zu geben. Sie war noch in dem Alter, in dem man sich unsterblich fühlte; dunkel erinnerte er sich daran, dass es ihm selbst einmal so gegangen war.
»Es tut mir leid, dass Sie unter falschen Vorzeichen bei uns angefangen haben«, sagte er, »aber Lukullus hat vor kurzem einen Teil seiner Familienrestaurants verkauft und sich stattdessen auf Seniorenheime und Kindergärten spezia…«
»Ist ja jetzt auch egal«, unterbrach sie ihn und schob ihm einen DIN-A4-Bogen hin. »Hier ist mein Zeugnis, ich hab schon alles ausgefüllt, Sie müssen nur noch unterschreiben.«
Jochen griff zum Kugelschreiber, überflog die Seite und stellte fest, dass das junge Mädchen Enja Wiese hieß, neunzehn Jahre alt war, die ihr gestellten Aufgaben zu seiner »allerhöchsten Zufriedenheit« erledigt hatte und er ihr für die Zukunft, die zu den »größten Hoffnungen« berechtigte, alles Gute und viel Erfolg wünschte.
»Da hat Ihnen mein Bruder ja ein schönes Zeugnis ausgestellt«, meinte er und unterschrieb.
»Das war ich«, sagte Enja. »Ich schreibe diese Dinger immer selbst, schließlich weiß ich ja am besten, was ich kann.«
War ich tatsächlich auch einmal so jung, überlegte Jochen, als er ihr das Zeugnis reichte, so absolut sorglos und unbegründet selbstverliebt? Er sagte: »Viel Glück«, stand auf und reichte ihr die Hand, die sie zu seinem Erstaunen etwas länger als nötig festhielt.
»Es gibt noch einen anderen Grund, weswegen ich enttäuscht war«, sagte sie. »Wollen Sie ihn wissen?«
Dass unsere Damentoilette keinen Schminkspiegel hat? Dass unsere Jungköche alle in festen Händen sind? Jochen grinste. »Unbedingt«, erwiderte er.
»Dass Sie überhaupt nicht gemerkt haben, wie toll ich Sie finde.« Enjas einladender Blick ruhte auf ihm.
Kopfschüttelnd lehnte er ab. »Ich bin geschmeichelt«, meinte er und ging zur Tür. »Aber sicher ist Ihrer Aufmerksamkeit nicht entgangen, dass ich verheiratet bin. Und zwar glücklich. Guten Abend.«
Die junge Frau lächelte. »Man ist so alt, wie man sich fühlt«, sagte sie freundlich, »aber offensichtlich sind Sie schon hundert. Dabei hätten Sie durchaus noch Chancen. Carpe diem, hat mein Lateinlehrer immer gesagt. Knutsch den Tag, sage ich, bevor du alt und grau bist und dich keiner mehr zurückknutscht. Vielen Dank für alles, Herr Winter.«
Damit war sie verschwunden.
Als sich Jochen wieder an seinen Schreibtisch setzte, hatte er das, was Nina, die etwas anstrengende beste Freundin seiner Frau, einen »akuten Seniorenmoment« nannte. Deutlich drastischer ausgedrückt, er fühlte sich alt. Okay, er war zwar erst sechsundvierzig, angeblich die besten Jahre für einen Mann, und dass er noch nicht wie eine vertrocknete Schildkröte aussah, bestätigte ihm sein täglicher Blick in den Spiegel. Trotzdem war er kein Mann, der vor den Tatsachen die Augen verschloss. Und die sagten ihm unmissverständlich, dass es erstens seiner Firma seit der Finanzkrise im letzten Jahr nicht besonders gut ging und dass sich zweitens seine einundzwanzigjährige Ehe mit Angie auch schon seit einiger Zeit wie ein etwas ausgelatschter Filzpantoffel anfühlte: kuschelig, vertraut und bequem, aber nicht besonders attraktiv und sexy.
Er liebte sie von ganzem Herzen, ohne Frage, und bis auf ein einziges Mal im Skiurlaub vor zwölf Jahren, als ihn eine zweistellige Anzahl Obstler so schachmatt gesetzt hatte, dass er sich an nichts erinnern konnte und Angie ihn morgens aus dem Hotelzimmer einer ihm völlig fremden Frau gezogen hatte, hatte er sie auch noch nie betrogen. Sie war die Frau seines Lebens, daran bestand für ihn kein Zweifel, nur manchmal, in bestimmten Momenten, die er für sich behielt, hatte er eine tiefe Sehnsucht nach dem Jochen von früher. Dem Vor-Angie-Jochen. Der, wenn ein junges, hübsches Mädchen wie diese Enja ihm ein derartig eindeutiges Angebot machte, sofort zugegriffen hätte. Der sie auf den Schreibtisch gedrückt und dort auf der Stelle genommen und nicht, lahm und solide, etwas von »glücklich verheiratet« gemurmelt hätte.
Ich bin ein Schwein, dachte Jochen beschämt, Schluss mit diesen Gedanken! Er griff zum Telefon. Vielleicht brauchte Angie gerade jetzt ein bisschen Unterstützung, denn kurz bevor sie zum Klassentreffen aufgebrochen war, hatte sie ihn noch einmal panisch angerufen. »Sag mir sofort, dass ich die beste, schönste, hei ßeste Frau bin, die du jemals gesehen hast«, hatte sie verlangt. »Und sag es so, dass ich es dir auch glaube.«
Nun sprang ihre Mailbox an: »Hier ist Angie Winter. Offensichtlich bin ich nicht erreichbar. Nachrichten bitte nach dem...