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Darf's ein Küsschen mehr sein? - Roman

Rachel Gibson

 

Verlag Goldmann, 2009

ISBN 9783641031978 , 320 Seiten

Format ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,99 EUR


 

Kapitel 1
 

 

Das leuchtend weiße Neonschild über der Mort’s Bar flimmerte und lockte die durstigen Bewohner der Kleinstadt Truly, Idaho, in Scharen an wie eine Insektenlampe. Aber das Mort’s war mehr als nur eine beliebte Kneipe. Mehr als nur ein Ort, an dem man kaltes Coors trinken und sich freitagabends in eine Schlägerei verwickeln lassen konnte. Das Mort’s war eine Institution, ähnlich wie die Alamo Autovermietung. Während andere Geschäfte kamen und gingen, war das Mort’s stets dasselbe geblieben.
Bis vor etwa einem Jahr, als der neue Besitzer den Laden mit eimerweise Farbe und Desinfektionsmittel auf Vordermann gebracht und ein striktes Slipwerfverbot eingeführt hatte. Bis dahin war das Zielen mit Damenhöschen auf die Geweihreihe über der Theke gefördert worden wie eine neue Wettkampfdisziplin. Wenn eine Frau jetzt den Drang dazu verspürte, wurde sie auf dem nackten Arsch hinausgeschleift.
Ach, die guten alten Zeiten.
Völlig immun gegen die unterschwellige Verlockung, die das Licht durch die heraufziehende Dunkelheit aussandte, stand Maddie Jones vor dem Mort’s auf dem Bürgersteig und sah zu dem Leuchtschild auf. Gedämpftes Gemurmel und Musik drangen durch die Risse des alten Gebäudes zwischen »Ace Haushaltswaren« und dem »Panda Restaurant«.
Ein Pärchen in Jeans und Tanktops drängelte sich an Maddie vorbei. Die Tür öffnete sich, und Stimmengewirr und das unverkennbare Banjo-Geklimper von Countrymusik strömten auf die Main Street. Als sich die Tür wieder schloss, stand Maddie immer noch draußen. Sie rückte ihren Handtaschengurt auf der Schulter zurecht und zog den Reißverschluss ihres dicken blauen Pullovers hoch. Da sie vor neunundzwanzig Jahren aus Truly weggezogen war, hatte sie vergessen, wie kalt es hier nachts wurde. Sogar im Juli.
Sie machte Anstalten, die alte Tür zu öffnen, und ließ die Hand wieder sinken. Eine plötzliche Beklommenheit ließ ihr die Haare im Nacken zu Berge stehen und verursachte bei ihr Übelkeit. Dabei hatte sie das schon Dutzende Male getan. Warum also diese Beklommenheit? Wieso jetzt auf einmal?, fragte sie sich, obwohl sie die Antwort kannte. Weil es sie diesmal persönlich betraf, und sobald sie die Tür geöffnet und den ersten Schritt gewagt hatte, gab es kein Zurück mehr.
Wenn ihre Freundinnen sie jetzt sehen könnten, wie sie dort stand, als seien ihre Füße einzementiert, wären sie schockiert. Immerhin hatte sie schon Serienkiller und kaltblütige Mörder interviewt. Doch Spinner mit asozialen Persönlichkeitsstörungen auszufragen war ein Klacks gegen das, was sie in der Mort’s Bar erwartete. Hinter dem »KEIN ZUTRITT UNTER 21«-Schild wartete ihre Vergangenheit, und wie sie in letzter Zeit hatte feststellen müssen, war es viel leichter, in der Vergangenheit anderer zu wühlen als in der eigenen.
»Es hilft ja doch nichts«, murmelte sie unwirsch vor sich hin und griff nach der Türklinke. Sie ärgerte sich über ihre Feigheit, besann sich aber auf ihren eisernen Willen, der ihr ein wenig die Angst nahm. Es würde nichts passieren, was sie nicht wollte. Sie hatte alles unter Kontrolle. Wie immer.
Als sie eintrat, schlugen ihr der dumpfe Beat der Jukebox und der Gestank von Bier und Tabak entgegen. Die Tür schloss sich hinter ihr, und sie blieb stehen, bis sich ihre Augen an das schummerige Licht gewöhnten. Das Mort’s war bloß eine Bar. Wie tausend andere in den Staaten auch, in denen sie schon gewesen war. Nichts Besonderes, nicht einmal das Aufgebot an Geweihen, die über der langen Mahagonitheke hingen, fiel aus dem Rahmen.
Maddie mochte keine Bars. Erst recht keine Cowboybars. Den Zigarettenqualm, das Countrygedudel, die Biersauferei. Aus Cowboys machte sie sich auch nicht viel. Eine gut sitzende Wrangler an einem knackigen Cowboyhintern konnte die albernen Stiefel, die protzigen Gürtelschnallen und die ekligen Kautabakklümpchen nicht ganz wettmachen. Sie stand auf Männer mit Anzügen und italienischen Lederschuhen. Nicht, dass sie in den letzten vier Jahren einen Mann gehabt hätte. Oder auch nur ein Date.
Während sie sich zum einzigen leeren Barhocker mitten an der langen Mahagonitheke durchkämpfte, ließ sie den Blick über die Menschenmenge schweifen. Sie registrierte Cowboyhüte und Truckercaps, diverse Bürstenschnitte und ein oder zwei Vokuhilas. Ihr fielen Pferdeschwänze auf, schulterlange Pagenköpfe und ein paar der schlimmsten Dauerwellen und nach außen geföhnten Ponys, die die Achtzigerjahre überstanden hatten. Was sie jedoch nicht sah, war der Mensch, nach dem sie Ausschau hielt, auch wenn sie nicht damit rechnete, ihn irgendwo an einem Tisch hocken zu sehen.
Sie zwängte sich zwischen einen Mann im blauen T-Shirt und eine Frau mit chemisch überstrapaziertem Haar auf den Barhocker. Hinter der Registrierkasse und den Spirituosen verlief ein Spiegel, so lang wie die Theke selbst, an der zwei Barkeeper Bier zapften und Drinks mixten. Keiner davon war der Besitzer dieses tollen Lokals.
»Die Kleine stand auf AC/DC, wenn ihr wisst, was ich meine«, prahlte der Mann links von ihr, und Maddie nahm an, dass er nicht über Back in Black oder Highway to Hell sprach. Besagter Typ war um die sechzig und hatte eine verbeulte Truckercap auf und einen Bierbauch wie ein Dreißigliterfass. Im Spiegel beobachtete Maddie, wie die Männer, die neben ihm aufgereiht saßen, nickten und dem Bierbauchtypen wie gebannt lauschten.
Einer der Barkeeper legte ihr eine Serviette hin und erkundigte sich nach ihren Wünschen. Er sah aus, als wäre er erst neunzehn, obwohl er mindestens einundzwanzig sein musste. Alt genug, um in dem Sumpf aus Tabakqualm und knietiefer Scheiße Alkohol auszuschenken.
»Saphir Martini. Extra trocken, mit drei Oliven«, sagte sie und überschlug im Kopf den Kohlehydratgehalt der Oliven. Sie zog ihre Handtasche auf den Schoß und sah zu, wie der Barkeeper sich umdrehte und nach den Flaschen mit Gin und Wermut griff.
»Ich hab der Kleinen gesagt, sie kann ihre Freundin ruhig behalten, wenn sie sie ab und zu mal mitbringt«, fügte der Typ zu ihrer Linken hinzu.
»Recht haste!«
»Geile Nummer!«
Andererseits war sie hier in einem Provinznest in Idaho, wo gelegentlich über Nichtigkeiten wie Alkoholgesetze hinweggesehen wurde und manche Leute eine brillante Lügengeschichte für ein eigenständiges Literaturgenre hielten.
Maddie verdrehte die Augen und biss sich auf die Lippe, um ihre Kommentare für sich zu behalten. Sie hatte die Angewohnheit, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, was sie nicht unbedingt für eine schlechte Angewohnheit hielt, aber sie stieß damit nicht immer auf Gegenliebe.
Sie ließ den Blick im Spiegel an der Theke auf und ab schweifen, auch wenn sie es nicht für wahrscheinlicher hielt, den Eigentümer auf einem Barhocker zu entdecken als an einem Tisch. Als sie in der anderen Kneipe in der Stadt angerufen hatte, die ihm gehörte, hatte sie die Auskunft erhalten, dass er heute Abend hier wäre, und so nahm sie an, dass er hinten im Büro saß und die Buchhaltung prüfte. Oder, wenn er wie sein Vater war, den Innenschenkel einer Bardame.
»Ich bezahle grundsätzlich alles«, jammerte die Frau, die Maddie gegenübersaß, ihrer Freundin vor. »Ich hab mir sogar selbst eine Geburtstagskarte gekauft und sie von J. W. unterschreiben lassen, weil ich dachte, dass er sich dann schlecht fühlt und den Wink mit dem Zaunpfahl versteht.«
»Meine Güte.« Maddie konnte sich den Stoßseufzer nicht verkneifen und sah sich die Frau genauer an. Zwischen Flaschen mit Absolut- und Skyy-Wodka konnte sie eine blonde Löwenmähne, rundliche Schultern und große Brüste ausmachen, die aus einem roten, mit Strass verzierten Tanktop quollen.
»Aber er hat sich überhaupt nicht schlecht gefühlt, sondern sich nur beschwert, dass er so kitschige Karten nicht ausstehen kann!« Sie nippte an ihrem mit einem Schirmchen verzierten Glas. »Wenn seine Mutter nächstes Wochenende verreist, soll ich abends vorbeikommen und für ihn kochen.« Sie wischte sich schniefend die feuchten Augen. »Ich überlege, ob ich mich weigern soll.«
Maddies Augenbrauen zogen sich zusammen, und im Nu war ihr ein »Willst du mich verarschen?« rausgerutscht.
»Wie bitte?«, fragte der Barkeeper, der ihr gerade den Drink hinstellte.
Sie schüttelte den Kopf. »Nichts.« Während sie in ihre Handtasche griff und ihr Getränk bezahlte, hämmerte ein Song über einen Honky Tonk Badonkadonk, was zum Teufel das auch sein mochte, aus der leuchtenden Neon-Jukebox und verschmolz mit dem steten Stimmengemurmel.
Maddie schob ihren Pulloverärmel hoch und griff nach dem Martini. Während sie das Glas zum Mund führte, schaute sie auf die Leuchtzeiger ihrer Armbanduhr. Neun. Früher oder später musste sich der Kneipenbesitzer ja blicken lassen. Und wenn nicht, war morgen auch noch ein Tag. Sie trank einen Schluck, und die Gin-Wermut-Mischung wärmte ihren Magen.
Aber sie hoffte schwer, dass er sich eher früher als später blicken ließ. Bevor sie zu viele Martinis intus hatte und vergaß, warum sie hier auf dem Barhocker saß und liebesbedürftige passiv-aggressive Tussis und größenwahnsinnige Kerle belauschte. Auch wenn Leute zu belauschen, deren Leben noch bedauernswerter war als ihr eigenes, manchmal höchst amüsant sein konnte.
Sie stellte ihr Glas wieder auf die Theke. Lauschen war nicht ihre erste Wahl. Normalerweise bevorzugte sie die direkte Herangehensweise: im Leben anderer herumzuwühlen und ohne viel Federlesens ihre schmutzigen kleinen Geheimnisse zu ergründen. Manche Leute gaben ihre...