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Tango Criminale

Till Bastian

 

Verlag Verlag der Criminale, 2002

ISBN 9783935877381 , 179 Seiten

Format PDF, OL

Kopierschutz DRM

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10,60 EUR

  • Der dunkle Spiegel - Historischer Roman
    Cryptonomicon - Roman
    Thai-Juwelen
    Die blaue Hand - Roman
    Bei den drei Eichen - Roman

     

     

     

     

 

 

32 Eine unangenehme Verzögerung (S. 111-112)

Samstag, 22. September, 10 Uhr 20

Es war eine unangenehme Verzögerung, aber es hätte noch wesentlich schlimmer kommen können. Siegmar hatte sich gerade eben mühsam durch das Zimmer gerobbt und war eben dabei, den Spiegel mit dem Kinn oder mit der Nase von dem ihn haltenden Haken abzuheben, damit er zu Boden fallen und zerbrechen würde – in diesem Moment hörte er, wie sich in der Eingangstüre der Diele der Schlüssel drehte. Gott sei Dank ging der Ankömmling, wer immer es war, zunächst eimal geräuschvoll aufs Klo, das gab ihm Zeit, in höchster Eile wieder zu seiner Matratze zurückzuhüpfen und sich völlig atemlos darauf niederfallen zu lassen.

Der Knebel brannte ihm im Mund wie vergiftetes Feuer. Der Mann öffnete jetzt polternd die zweite Türe und knipste das Licht an. Siegmar sah seine Vermutung bestätigt – eine Stahltüre. Dann würde sein Plan also doch funktionieren. Wenn es nicht schon zu spät war. Wenn nicht bereits sein letztes Stündlein geschlagen hatte. Der Mann packte ihn am Pullover und zog ihn brutal nach oben. Dann löste er die Fesseln – Siegmar wäre fast umgefallen, wenn der andere ihn nicht gestützt hätte. »Allmählich wird mir das zu blöd«, murmelte der Typ, aber es schien eine Art Selbstgespräch zu sein.

»Wir kommen auf keinen grünen Zweig so. Diese dumme Abwarterei …« Dann herrschte er Siegmar an: »Schau nicht so blöd aus der Wäsche. Du kannst ein wenig im Zimmer herumlaufen, und dann setzt du dich wieder auf den Schreibtischstuhl da drüben. Alles wie gehabt. Und keine Dummheiten, ja? Sonst setzt es Ohrfeigen …« Sieht nicht so aus, als wolle er mich jetzt gleich umbringen, hatte Siegmar gedacht. Ein letzter Aufschub, mehr brauche ich nicht – vielleicht zwei, drei Stunden. »Was haben Sie eigentlich mit mir vor?«, fragte er leise, während er auf und ab ging.

»Maul halten.« Der Mann zog eine Brezen und eine Milchflasche aus einer braunen Papiertüte hervor und stellte beides auf den Tisch. »Hier ist dein Frühstück. Schluck’s runter, aber schnell. Dann kannst du pissen gehen, und dann wirst du wieder gefesselt. Das habe ich mit dir vor. Aber beeil dich, ich habe es eilig.« Siegmar hätte jubeln können. Er befolgte die Anweisungen des Mannes, so gut und so schnell es ging, und ließ sich danach ohne weitere Fragen und ohne Widerstand fesseln und wieder auf die Matratze legen. Glücklich hörte er die Türen ins Schloss fallen, hörte, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte – erst drinnen, dann draußen. Weg war der Kerl.

Etwa eine Viertelstunde mochte seitdem vergangen sein. Jetzt kommt meine große Stunde, dachte er sich. Nach zehn Minuten hatte er den Spiegel von der Wand gehebelt – er krachte zu Boden und sprang in Scherben, ganz wie beabsichtigt. Mit den Scherben die Fesseln zu zerschneiden, war zwar nicht einfach, aber es ging, auch wenn er sich dabei etliche Schnittwunden holte. Der Boden war blutverschmiert – aber er war frei.

Jetzt kam der vorletzte Akt des Dramas. Er hatte das Deckenlicht angeknipst – eine äußerst trübe Neonröhre, immerhin konnte er sich jetzt im Zimmer orientieren. Er hatte schon vorhin festgestellt, dass dies nicht der ehemalige Verkaufsraum sein konnte – der lag zur Straße hin und hatte ein großes Fenster. Der Raum hier war klein, hatte kein Fenster, sondern nur ein Oberlicht aus Glasbausteinen, vor das man eine Plastikfolie geklebt hatte. Offenbar ein altes Büro oder so etwas. Egal. Die Tür war verschlossen, aber er hätte natürlich versuchen können, sich irgendwie anders einen Weg nach draußen zu bahnen. Doch ihm war klar, dass alles Bemühungen in dieser Richtung nicht anderes gewesen wären als Zeitverschwendung – schiere Zeitverschwendung. Es gab nur einen Weg nach draußen – durch die Türe. Und es gab nur einen, der diese Türe öffnen konnte – der Mann mit dem Schlüssel. Der grobe Kerl mit dem Ledermantel.

Irgendwann musste er ja wiederkommen. Und dann … Doch erst einmal galt es, dafür einige Vorbereitungen zu treffen. Er zog die Zuleitung der Stehlampe aus der Steckdose. Dann schnitt er die Leitung mit einer der Scherben am Fuß der Lampe ab. Die äußere Ummantelung durchtrennte er, ein dreiadriges Kabel kam zum Vorschein. Er sonderte alle drei Stränge säuberlich, trennte die Isolierung ab und spreizte die Enden aus Kupferdraht voneinander ab. Ich muss vorsichtig sein – ein Kurzschluss, und mein Plan ist im Eimer. Die Steckdose war direkt neben der Türe in die Wand eingelassen. Dort kauerte er sich auf den Boden, genau zwischen Türe und Steckdose. Ich muss vorsichtig sein, sagte er sich immer wieder, ganz besonders vorsichtig. Die Strümpfe hatte er sich ausgezogen. Einen hatte er um das Kabel gewickelt, um es besser in der Hand halten zu können. Den anderen Strumpf riss er mit Fingern und Zähnen auseinander, um die Kabelenden besser voneinander zu trennen. Endlich ragten sie einzeln voneinander in die Luft, ein seltsamer Dreizack aus Kupfer.