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Die Gefährtin - Die Tochter des Magiers

Torsten Fink

 

Verlag Blanvalet, 2009

ISBN 9783641030377 , 416 Seiten

Format ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

Prolog


Das Land ertrank im Regen. Schauer auf Schauer zog über den schwarzen Fluss, und ferne Blitze zuckten über den Nachthimmel. Mitten im nächtlichen Strom zeichneten sich die Umrisse einer Siedlung ab, Pfahlbauten, die auf einer Insel dem Regensturm trotzten. Es war still in den Hütten. Niemand erzählte Geschichten, und nirgendwo lachten Kinder, die Siedlung schien nur auf den strömenden Regen zu lauschen. Die letzten Lichter wurden gelöscht, und die Finsternis legte sich schwermütig auf das Dorf. Nur in einem Haus brannte noch Licht. Eine einzelne Kerze kämpfte dort gegen die Schatten. Vor kurzem noch war das Samnath, das Versammlungshaus, voller Menschen gewesen, jetzt waren die Laternen gelöscht und die Menschen gegangen. Nur drei Männer waren zurückgeblieben. Sie saßen im Lichtkreis der schwachen Flamme und starrten schweigend auf ein weißes Tuch, das vor ihnen auf dem Boden ausgebreitet lag. Gelegentlich wehte der Wind feine Regenschleier durch die vielen schmalen Schlitze, die dem Haus als Fenster dienten. Zwölf Schilfrohrstücke lagen auf dem Tuch.
»Schlange, Boot und Mädchen, die Zeichen sind eindeutig«, sagte jetzt der jüngste der drei. Sein Gesicht war gerötet, und seine Hände schwitzten.
Die beiden Älteren schwiegen, einer von ihnen drehte geistesabwesend mit seiner rechten Hand Hanffasern zu einem Seil. Schatten tanzten an der Wand. Wie zum Beweis seiner Behauptung deutete der Jüngere nacheinander auf die Halmstücke zu seinen Füßen. Sie waren mit schwarzen Zeichen versehen. »Schlange, Boot und Mädchen«, wiederholte er. Er wirkte unruhig und seltsam aufgekratzt.
»Wir haben es gesehen«, sagte einer der beiden Älteren seufzend. Sein Haar bildete einen schütteren grauen Kranz um den Schädel. Er sah besorgt aus.
Der Jüngere war nicht zu beruhigen: »Ihr wart dabei, als ich das Schilf geschnitten habe, ihr habt zugesehen, wie ich die heiligen Zeichen auf den Halmen anbrachte. Die Klinge war in der Flamme gereinigt, das Tuch weiß und neu, wie es der Brauch verlangt.«
»Niemand unterstellt dir einen Fehler«, sagte der Grauhaarige wieder.
»Aber warum sind wir dann noch hier?«
Der Dritte, der bisher geschwiegen hatte, beugte sich vor und warf einen langen Blick auf die zwölf Halme. »Es gibt viel zu bedenken«, sagte er. Er hatte dichtes, schlohweißes Haar.
»Bin ich euer Edaling, oder nicht?«, fragte der Jüngste herausfordernd. Sein Blick wirkte unsicher.
»Du bist es«, erwiderte der Graue ruhig, »doch das ist keine kleine Sache. Es gibt viel zu bereden. Und deshalb habe ich euch gebeten zu bleiben.«
Der Weißhaarige wandte den Blick nicht von den Schilfstücken. Drei waren zur Seite gelegt worden. »Bevor wir aber über das reden, was nun zu tun ist, habe ich noch Fragen«, sagte der Weißhaarige.
»Die Zeichen waren eindeutig!«, sagte der Jüngste. In seiner Stimme schwang Trotz mit.
»So ist es, und genau das lässt mich zweifeln«, meinte der Weißhaarige. »Ich frage euch: Wie oft haben wir das Auwara schon befragt? Und wie oft waren die Zeichen so klar? Haben wir sonst nicht stundenlang beraten müssen, um zu verstehen, was das Schilf sagen will?«
»Und immer warst du es, der an meiner Deutung gezweifelt hat«, giftete der Jüngste.
»Beruhige dich, das war schon bei deinem Vater und dessen Vater nicht anders«, sagte der Graue begütigend. »›Immer der Seiler‹, haben sie gesagt, und beklagt, dass seine Gedanken verschlungener seien als die Netze, die er für uns fertigt.«
»Also stört dich, dass du deinem Edaling heute zustimmen musst?«, fragte der Jüngste noch einmal, so als hätte er den Grauen nicht gehört. Sein Gesicht war rot vor Erregung.
»Ich sage nur«, erwiderte der Weißhaarige bedächtig, »dass ich so etwas noch nie erlebt habe.«
»Keiner von uns hat das«, sagte der Graue, »aber von uns hat auch noch keiner erlebt, dass Sie erwacht.«
»So ist es«, sagte der Edaling schnell, »wir alle kennen nur die alten Geschichten. Und keiner von uns wusste, was zu tun ist. Aber das Auwara hat unsere Fragen beantwortet! Eindeutig!«
»Ich kann sehen, was es verlangt, wir alle können das«, erwiderte der Seiler. »Es ist nur so, dass dieses Opfer seit vielen Menschenaltern nicht mehr gebracht wurde.«
Der Edaling sprang erregt auf. »Willst du dich gegen das Auwara stellen?«
Der Graue legte ihm begütigend die Hand auf den Arm und sagte, an den Weißhaarigen gewandt: »Es war nicht nötig, weil Sie sich so lange nicht gezeigt hatte.«
Der Seiler schüttelte den Kopf. »Die Schläferin erwachte zu Zeiten der Väter unserer Großväter. Habt ihr die Geschichten vergessen? Und haben sie da das Blutopfer dargebracht? Nein!«
»Damals hatten sie die Maghai, große Maghai. Aber wen haben wir? Wo ist der mächtige Jalis? Wo die anderen? Sie haben uns verlassen. Wen haben wir noch – außer jenen, die uns die Liebsten sind?«, fragte der Grauhaarige bekümmert.
»Vielleicht sollten wir die Zauberer suchen«, meinte der alte Seiler.
»Maghai! Die Maghai haben behauptet, sie hätten das Unheil für alle Zeiten gebannt!«, zischte der Edaling. »Aber sie haben sich getäuscht – und uns!« Missmutig setzte er sich wieder.
»Das haben sie, und es ist seltsam, dass sie sich darin geirrt haben«, erwiderte der Seiler nachdenklich. Er hatte die Hanffäden zusammengedreht. Jetzt begann er, sie gedankenverloren wieder aufzufasern. »Ich frage mich, was Sie geweckt hat.«
Der Graue zuckte hilflos mit den Schultern. »Wer kann das wissen? Vielleicht der Krieg? Es wird viel Blut vergossen am Ufer des Dhanis. Vielleicht sind es die Toten im Wasser, die Ihren Schlaf stören.«
»Was ist mit dem Schatten, den Dwailis gesehen hat?«, fragte der Seiler.
»Dwailis ist ein verrückter, alter Narr!«, rief der Edaling.
»Das hast du auch gesagt, als er uns vor Ihr warnte, und er war der Erste, der Sie gesehen hat«, erwiderte der Weißhaarige.
»Ich war nicht der Einzige, der ihm nicht geglaubt hat«, rechtfertigte sich der Jüngere verdrossen.
Der Graue schüttelte unwillig den Kopf: »Es ist doch gleich, ob es der Krieg oder etwas anderes war. Die Zermalmerin ist erwacht. Und wir müssen das Unheil, das daraus folgt, ertragen.«
»Unheil? Es kann unser Ende bedeuten. Sie hat lange geschlafen, und sie ist hungrig! Aber wir können das Verhängnis noch abwenden. Nur ist keine Zeit mehr für Bedenken. Wir müssen schnell handeln!«, rief der Jüngste mit vor Erregung zitternder Stimme. »Die Zeichen sind eindeutig! Schlange, Boot und Mädchen.«
»Ist das alles, was dir wichtig ist, deine Zeichen?«, fragte der alte Seiler bitter.
»Ich bin der Edaling! Es ist meine Aufgabe, das Auwara zu legen, Alter, auch wenn dir das nicht gefällt.«
»Bitte, Männer, beruhigt euch«, sagte der Graue. »Ich habe euch gerufen, weil ich weiß, wie kummervoll dieser Weg noch werden wird. Wir, die Ältesten und der Edaling, wir führen dieses Dorf, und wir müssen einig sein, wenn wir zur Versammlung sprechen.«
»Ich habe diesen Streit nicht begonnen«, zischte der Edaling.
»Aber ich erkläre ihn für beendet!«, rief der Graue scharf. Er verlor offenbar die Geduld. »Hört, ihr Männer, die Weissagung der Halmzeichen ist klar. Keiner von uns kann es anders deuten: Das Opfer wird verlangt. Sind wir darin einig?«
»Ich habe kein gutes Gefühl, wenn wir das Auwara in dieser Frage entscheiden lassen«, sagte der Seiler langsam, »aber ich gebe zu, dass ich es auch nicht anders deuten kann.«
»Ah, du siehst ein, dass du dich geirrt hast? Was für ein seltenes Ereignis! Dann müssen wir jetzt bereit sein zu tun, was verlangt wird!«, forderte der Jüngste.
»Er hat Recht, alter Freund«, pflichtete ihm der Grauhaarige bei. »Seit vielen Menschenaltern befragen wir das Schilf und vertrauen den Zeichen. Und in diesem Fall nicht? Bald erscheint der Neue Mond, und dann müssen wir handeln. Worauf sollen wir warten? Schon vier unserer Fischer sind nicht wiedergekehrt. Jetzt wagt sich keiner mehr hinaus auf den Fluss. Vom Ufer werfen sie die Netze aus, und mit den Flussechsen müssen sie darum streiten. Und der Fang ist armselig genug. Es wird nicht mehr lange dauern, und der Hunger sitzt in diesem Dorf an jedem Tisch.«
Der Weißhaarige nickte langsam. »Ich weiß, aber ich fürchte, dass Unheil aus alldem erwächst. Ich werde nicht widersprechen, wenn das Auwara das Opfer einfordert, aber bedenkt, es wird eine unserer Familien treffen, ein Mädchen aus unserer Mitte. Das wird die Ihrigen hart ankommen.«
»Das lässt sich leider nicht vermeiden«, sagte der Edaling...