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Die Feuerreiter Seiner Majestät 03 - Drachenzorn

Naomi Novik

 

Verlag Blanvalet, 2012

ISBN 9783641091811 , 512 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

2


Sie flogen schnell, sehr schnell. Temeraire genoss die Gelegenheit, endlich einmal seine Flügel gründlich auszustrecken, ohne auf langsamere Begleiter Rücksicht nehmen zu müssen. Auch wenn Laurence ihn am Anfang sorgfältig im Auge behielt, waren keinerlei Anzeichen einer Überanstrengung zu entdecken, und seine Schultermuskeln fühlten sich nicht heiß an. So überließ es Laurence nach den ersten paar Tagen ihm selbst, seine Geschwindigkeit zu bestimmen. Verblüffte und neugierige Staatsdiener eilten zu ihrer Begrüßung herbei, wann immer sie in der Nähe einer größeren Stadt landeten, um sich um Nahrung zu kümmern. Bei mehr als einer Gelegenheit war Laurence gezwungen, den schweren, goldenen, drachenbestickten Umhang anzulegen, den ihm der Kaiser geschenkt hatte, um die vielen Fragen und die Forderungen nach Papieren in eifrige Verbeugungen und unterwürfiges Gebaren zu verwandeln. Wenigstens musste er sich nicht unangemessen gekleidet fühlen wie in seiner grünen Übergangsjacke. Mehr und mehr gingen sie dazu über, Siedlungen zu meiden, und kauften Temeraires Mahlzeiten direkt von den Hirten auf den Feldern. Nachts schliefen sie in verlassenen Tempeln, Pavillons, die am Wegesrand standen, und einmal in einem aufgegebenen Militärposten. Die Wände aber hatten zum Teil überdauert, und so spannten sie ihre aneinandergeknoteten Zelte über die Überreste und entzündeten aus den alten, zerborstenen Balken ein Lagerfeuer.

»Nach Norden, entlang den Grenzen von Wudang, nach Luoyang«, sagte Tharkay. Es hatte sich herausgestellt, dass er ein ruhiger, wenig gesprächiger Begleiter war, der ihren Kurs zumeist in der Weise bestimmte, dass er schweigend mit dem Finger auf den Kompass pochte, der an Temeraires Geschirr befestigt war, und es Laurence überließ, die Richtungsanweisung an Temeraire weiterzugeben. Doch als sie in dieser Nacht draußen am Feuer saßen, zeichnete er auf Laurence’ Bitte hin ihren Weg auf den Boden. Temeraire betrachtete gespannt die Skizze. »Und dann wenden wir uns nach Westen in Richtung der alten Hauptstadt Xian.« Die fremdländischen Namen sagten Laurence nichts, und jede Stadt hatte auf sieben verschiedenen Karten sieben verschiedene Schreibweisen. Tharkay hatte nur einen flüchtigen Blick auf die Karten geworfen und sich geweigert, sie zu Rate zu ziehen. Aber Laurence konnte den Verlauf ihrer Reise anhand der Sonne und der Sterne bestimmen, deren Konstellation sich ständig änderte, weil unter Temeraire die Meilen nur so dahinströmten.

Städte und Dörfer reihten sich fast nahtlos aneinander. Kinder rannten Temeraires Schatten hinterher, winkten und riefen mit hohen, nicht zu unterscheidenden Stimmen, bis sie wieder zurückblieben. Flüsse schlängelten sich unter ihnen, und linker Hand ragten die alten, düsteren, vom Moos grün gefleckten Berge auf. An ihre Spitzen klammerten sich hartnäckige Wolken, die sich nicht lösen wollten. Vorbeifliegende Drachen mieden Temeraire und ließen sich respektvoll in niedrigere Luftschichten absinken, um ihm Platz zu machen. Nur einmal stieß einer der windhunddünnen Jadedrachen – kaiserliche Botendrachen, die in Höhen flogen, welche zu kalt und zu dünn für andere Rassen waren – mit einem freudigen Gruß zu ihnen hinab, umflatterte Temeraires Kopf wie ein Kolibri und schoss ebenso rasch wieder hinauf und davon.

Als sie weiter in Richtung Norden flogen, waren die Nächte endlich nicht mehr so heiß und stickig, sondern wurden stattdessen warm und angenehm. Das Jagen war leicht und einträglich, selbst wenn sie nicht an einer der riesigen Nomadenherden vorbeikamen, und alle hatten reichlich zu essen. Als sie nicht einmal mehr eine Tagesreise von Xian entfernt waren, brachen sie ihren Flug vorzeitig ab und schlugen ihr Lager an einem kleinen See auf. Drei prächtige Hirsche wurden als Abendmahlzeit für die Besatzung und für Temeraire am Spieß gebraten. In der Zwischenzeit knabberten die Männer Kekse und frische Früchte, die ihnen ein Bauer gebracht hatte. Granby rief Roland und Dyer zu sich, um mit ihnen im Schein des Feuers Schönschrift zu üben, während Laurence sich ihrer Trigonometrieversuche annahm. Da sie diese jedoch mitten in der Luft niedergeschrieben hatten, während die Schiefertafeln dem Wind schonungslos ausgeliefert waren, stellten sie Laurence vor keine geringe Herausforderung. Er war aber froh zu sehen, dass ihre Berechnungen nicht länger zu Hypotenusen führten, die kürzer als die übrigen Seiten ihrer Dreiecke waren.

Temeraire genoss es, sein Geschirr los zu sein, und sprang sofort in den See. Gebirgsbäche speisten diesen von allen Seiten, und der Grund war mit runden Kieselsteinen bedeckt. Jetzt, Mitte August, war er recht seicht, doch es gelang Temeraire, sich Wasser über den Rücken zu gießen, und mit großer Begeisterung tobte er und rollte sich über die Kiesel. »Das ist so erfrischend! Es ist doch sicher schon Zeit zum Fressen, oder?«, fragte er, als er herauskam, und warf einen vielsagenden Blick auf das über dem Feuer brutzelnde Wild. Die Köche jedoch wedelten drohend mit ihren riesigen Spießhaken in seine Richtung, denn sie waren noch nicht zufrieden mit ihrem Werk.

Temeraire seufzte ein wenig und schüttelte seine Flügel aus, sodass auf sie alle ein kurzer Schauer niederregnete, der das Feuer zischen ließ. Dann machte er es sich neben Laurence am Ufer bequem. »Ich bin sehr froh, dass wir nicht gewartet haben, um auf dem Seeweg zu reisen. Es ist so wunderbar, einfach zu fliegen, erst recht, wenn man meilenweit so schnell fliegen kann, wie man möchte«, sagte er und gähnte.

Laurence blickte zu Boden. Sicherlich wäre es in England nicht möglich, auf diese Art zu fliegen, denn im Laufe einer Woche wie der vergangenen wären sie von einem Ende der Insel bis zum anderen gelangt.

»War dein Bad entspannend?«, fragte er, um das Thema zu wechseln.

»O ja, diese Kiesel waren sehr angenehm«, sagte Temeraire gedankenverloren, »wenn auch nicht ganz so erquickend, wie mit Mei zusammen zu sein.«

Lung Quin Mei, ein bezaubernder, weiblicher Kaiserdrache, war Temeraires intime Partnerin in Peking gewesen. Seit ihrer Abreise hatte Laurence befürchtet, dass sich Temeraire im Stillen nach ihr verzehren würde. Doch diese unvermittelte Erwähnung schien irgendwie unpassend, und auch Temeraires Stimme klang durchaus nicht liebeskrank. Dann sagte Granby: »O je«, stand auf und rief zum Lager hinüber: »Mr. Ferris! Mr. Ferris, bitte sagen Sie den Jungen, sie sollen das Wasser ausschütten und stattdessen frisches aus dem Bach holen.«

»Temeraire!«, sagte Laurence, der blutrot angelaufen war, als er zu verstehen begonnen hatte.

»Was denn?« Temeraire sah ihn verwirrt an. »Nun ja, findest du es nicht angenehmer, mit Jane zusammen zu sein, als …«

Eilig erhob sich Laurence und sagte: »Mr. Granby, bitte rufen Sie die Männer jetzt zum Abendessen«, und tat so, als höre er die kaum verhohlene Heiterkeit in Granbys Stimme nicht, als der mit »Jawohl, Sir« antwortete und davoneilte.

 

Xian war eine alte Stadt, die frühere Hauptstadt des Landes, und erfüllt von den Erinnerungen an bessere Zeiten. Nun verloren sich die vereinzelten Wagen und Reisenden auf den breiten, von Unkraut überwucherten Straßen, die in die Stadt hineinführten. Temeraire flog über hohe, von Gräben umgebene graue Steinmauern, aus denen sich dunkle, leere Pagodentürme erhoben, und sie sahen nur wenige Wachen in Uniformen und einige träge, gähnende Purpurdrachen. Aus der Höhe schien es so, als teilten die Straßen die Stadt in Schachbrettfelder, die von einem Dutzend verschiedenartiger Tempel gesäumt waren: Dicht beieinander waren Minarette neben spitzen Pagodendächern zu erkennen. Schmale Pappeln und uralte Pinien mit zarten Büscheln von grünen Nadeln säumten die Alleen. Auf einem marmornen Platz vor der Hauptpagode wurden sie vom Magistrat der Stadt empfangen, und die versammelten Würdenträger in ihren Umhängen verbeugten sich tief vor ihnen. Vermutlich war die Nachricht von ihrer bevorstehenden Ankunft auf den Flügeln des Jadedrachenkuriers vorausgeeilt. Sie wurden an den Ufern des Wei-Flusses in einen alten Pavillon geführt, der den Blick über wogende Weizenfelder eröffnete. Man bewirtete sie mit heißer Milchsuppe und Hammelfleisch, während drei Schafe am Spieß für Temeraire brieten. Als sie aufbrachen, pflückten die Staatsdiener zum Abschied ein paar Weidenzweige für sie, was ihnen eine gute Heimkehr verhieß.

Zwei Tage später schliefen sie in der Nähe von Tianshui in Höhlen, die in die roten Felsen getrieben worden waren, umringt von schweigenden, ernst blickenden Buddhas, deren Hände und Gesichter sich ihnen aus den Wänden entgegenreckten und deren Kleidung in ewig währende Steinfalten gelegt war. Vor der Höhlenöffnung ging prasselnd der Regen zu Boden. Überlebensgroße Gestalten blickten ihnen durch den beständigen Nebel nach, als sie weiterflogen und dem Fluss oder dessen Nebenarmen ins Herz der Bergregion folgten. Nun befanden sie sich über schmalen, gewundenen Pässen, die kaum breiter als Temeraires Flügelspanne waren. Dieser hatte seinen Spaß daran, in großer Geschwindigkeit hindurchzupreschen und sich so weit wie möglich auszustrecken. Seine Flügelspitzen fegten nur knapp über die krummen Schösslinge hinweg, die fast waagerecht an den Hängen wuchsen. Doch dann pfiff eines Morgens ein unberechenbarer Wind durch einen schmalen Pass und erfasste Temeraire, der eben zu einem neuen Flügelschlag ansetzte, sodass er um ein Haar gegen den Felsen geschleudert worden wäre.

Er kreischte auf, und nur mit einer verzweifelten Schlangenbewegung gelang es ihm, sich in der Luft zu drehen und sich mit den Beinen auf dem beinahe vertikalen Hang abzustützen. Loser Schiefer und Felsgestein gaben...