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Die Bancroft Strategie - Roman

Robert Ludlum

 

Verlag Heyne, 2012

ISBN 9783641093815 , 672 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

Kapitel eins


ROM


Nach alter Überlieferung wurde Rom auf sieben Hügeln erbaut. Der Janiculus, höher als alle anderen, ist der achte. Im Altertum war er dem Kult des Janus geweiht – des Gottes des Ein- und Ausgangs; des Gottes mit den zwei Gesichtern. Todd Belknap würde sie beide brauchen. Im zweiten Stock der Villa an der Via Angelo Masina, einem hoch aufragenden klassizistischen Bau mit ockergelber Stuckfassade und flachen weißen Wandpfeilern, sah der Agent zum fünften Mal in zehn Minuten auf seine Armbanduhr.

Das ist eben dein Job, versicherte er sich im Stillen.

Aber dies entsprach nicht seinem ursprünglichen Plan. Dies entsprach niemands Plan. Er bewegte sich lautlos durch die Eingangshalle, die zum Glück mit solide verfugten Fliesen ausgelegt war; hier gab es kein knarrendes Parkett. Bei der Renovierung war der verrottende Holzboden einer früheren Instandsetzung herausgerissen worden … und wie viele solcher Renovierungen hatte es seit der Fertigstellung im 18. Jahrhundert gegeben? Die auf einem Aquädukt des Trajan erbaute Villa hatte eine illustre Vorgeschichte. Im Jahr 1848, auf dem Höhepunkt der italienischen Einigungsbewegung, hatte sie Garibaldi als Hauptquartier gedient; damals war angeblich ihr Keller zum provisorischen Waffenlager vergrößert worden. Heutzutage diente die Villa wieder militärischen Zwecken, auch wenn diese ruchloser waren: Sie gehörte Chalil Ansari, einem jemenitischen Waffenhändler. Cons-Ops-Analysten hatten nachgewiesen, dass er nicht nur in Südostasien, sondern auch in Afrika zu den größten Lieferanten zählte. Was ihn von anderen in dieser Branche unterschied, war seine Scheu vor der Öffentlichkeit: wie sorgfältig er seine Geschäfte, seinen Aufenthaltsort, seine Identität getarnt hatte. Jedenfalls bisher.

Belknaps Timing hätte nicht besser – oder schlechter – sein können. In den gut zwei Jahrzehnten seines Agentenlebens im Außendienst hatte er gelernt, den glücklichen Zufall zu fürchten, der sich fast zu spät einstellt. Einen hatte er ziemlich zu Beginn seiner Laufbahn in Ostberlin erlebt. Einen weiteren hatte es vor sieben Jahren in Bogotá gegeben. Und hier in Rom war es wieder einmal so weit. Aller guten Dinge sind drei, wie sein guter Freund Jared Rinehart ironisch festgestellt hätte.

Ansari, das wussten sie, stand vor einem riesigen Waffengeschäft, das einen gleichzeitigen Ringtausch zwischen mehreren Beteiligten erforderte. Allen Anzeichen nach war dieses Geschäft unglaublich kompliziert und außerordentlich umfangreich – ein Deal, wie ihn vielleicht nur Chalil Ansari einfädeln konnte. Nach Informationen aus zuverlässiger Quelle sollten die abschließenden Vereinbarungen heute Abend bei einer interkontinentalen Telefonkonferenz getroffen werden. Doch die Verwendung scheinbar harmloser Codebezeichnungen und modernster Verschlüsselung schlossen die gewöhnlichen technischen Entschlüsselungsverfahren aus. Das alles hatte sich durch Belknaps Entdeckung geändert. Gelang es ihm, eine Wanze an der richtigen Stelle anzubringen, würde Consular Operations wertvolle Aufschlüsse darüber erhalten, wie Ansaris Netzwerk funktionierte. Mit etwas Glück würde eine verbrecherische Organisation zerschlagen werden – und ein Händler des Todes, der Milliardenumsätze machte, würde seine gerechte Strafe erhalten.

Das war die gute Nachricht. Die schlechte war, dass Belknap Ansari erst vor wenigen Stunden identifiziert hatte. Keine Zeit für ein koordiniertes Unternehmen. Keine Zeit für die Heranführung von Reserven, für die Ausarbeitung eines von der Zentrale genehmigten Einsatzplans. Ihm blieb nichts anderes übrig, als allein einzugreifen. Diese Gelegenheit durfte nicht ungenützt verstreichen.

Ein auf den Namen Sam Norton ausgestellter und mit einem Clip an seinem Polohemd befestigter Lichtbildausweis identifizierte ihn als einen der Architekten, die mit den abschließenden Renovierungsarbeiten zu tun hatten: als einen Mitarbeiter des englischen Architekturbüros, das die Projektleitung hatte. Damit war er ins Haus gelangt; aber der Ausweis konnte nicht erklären, was er im zweiten Stock zu suchen hatte. Vor allem konnte er sein Eindringen in Ansaris privates Arbeitszimmer nicht rechtfertigen. Wurde er hier ertappt, war alles aus. Das galt auch für den Fall, dass jemand den Wachposten entdeckte, den er mit einem winzigen Carfentanil-Wurfpfeil außer Gefecht gesetzt und in einer Besenkammer auf dem Flur verstaut hatte. Damit wäre das Unternehmen zu Ende gewesen. Das wäre sein Ende gewesen.

Diese Tatsachen akzeptierte Belknap ohne Angst, sondern eher fatalistisch wie Straßenverkehrsvorschriften. Während er sich im Arbeitszimmer des Waffenhändlers umsah, empfand er eine Art operativer Taubheit; er sah sich selbst aus der Perspektive eines körperlosen Beobachters, der weit über ihm schwebte. Das Keramikelement des Kontaktmikrofons ließ sich … wo verstecken? In der Orchideenvase auf dem Schreibtisch. Die Vase würde als natürlicher Verstärker dienen. Selbstverständlich würde der Spürtrupp des Jemeniten sie routinemäßig nach Wanzen absuchen, aber das würde erst morgen früh passieren. Ein Tastaturlogger  – er hatte das neueste Modell – würde alles aufzeichnen, was auf der Tastatur von Ansaris PC geschrieben wurde. In Belknaps Ohrhörer erklang ein leises Piepsen: eine Reaktion auf einen Funkimpuls des winzigen Bewegungsmelders, den Belknap draußen auf dem Korridor versteckt angebracht hatte.

Würde gleich jemand hereinkommen? Das war nicht gut. Gar nicht gut. Eine schlimme Ironie des Schicksals. Er hatte über ein halbes Jahr gebraucht, um Chalil Ansari zu finden. Jetzt bestand die Gefahr, dass Ansari ihn fand.

Verdammt! Ansari hätte nicht so schnell zurückkommen sollen. Belknap sah sich hilflos in dem marokkanisch gefliesten Raum um. Außer einem Schrank mit Lamellentür, der in der Ecke neben dem Schreibtisch stand, gab es hier eigentlich kein Versteck. Keineswegs ideal. Belknap trat rückwärts hinein, ging in die Hocke und zog die Tür wieder zu. In dem Schrank, vor dessen Rückwand ein Regal mit summenden Routern stand, war es unangenehm warm. Er zählte die Sekunden. Der Bewegungsmelder im Miniaturformat, den er auf dem Flur installiert hatte, konnte auf eine Kakerlake oder eine Maus angesprochen haben. Bestimmt war dies ein Fehlalarm.

War es nicht. Jemand betrat das Zimmer. Belknap spähte durch die Lamellen, bis er die Gestalt erkennen konnte. Chalil Ansari: ein Mann, der überall zum Rundlichen neigte. Ein aus Ovalen bestehender Körper, wie im Zeichenunterricht zu Übungszwecken skizziert. Sogar sein kurz geschnittener Vollbart war an den Rändern abgerundet. Seine Lippen, seine Ohren, sein Kinn, seine Wagen waren voll, weich, rund, ausgepolstert. Er trug einen Kaftan aus weißer Seide, das sah Belknap jetzt, der seinen massiven Körper locker umgab. Der Mann trat mit geistesabwesender Miene auf seinen Schreibtisch zu. Nur der Blick des Jemeniten war scharf, suchte den Raum ab wie das wirbelnde Schwert eines Samurais. War Belknap gesehen worden? Er hatte darauf gezählt, in der Dunkelheit des Schranks unentdeckt zu bleiben. Er hatte auf viele weitere Dinge gezählt. Noch eine Fehlkalkulation, dann würde er ausgezählt werden.

Der Jemenit parkte sein Lebendgewicht in dem Ledersessel am Schreibtisch, ließ seine Fingerknöchel knacken und tippte etwas nicht sehr Langes – ohne Zweifel ein Passwort. Belknap hockte weiter unbequem in dem Schrank, der nur eine Wandnische ausfüllte. Seine Knie begannen zu protestieren. Er war jetzt Mitte vierzig, hatte die Geschmeidigkeit seiner Jugend verloren. Aber er durfte sich keine Bewegung erlauben; das Knacken seiner Kniegelenke hätte ihn sofort verraten. Wäre er nur ein paar Minuten früher – oder Ansari ein paar Minuten später – gekommen! Dann wäre der Tastaturlogger installiert gewesen und hätte elektronisch die von den angeschlagenen Tasten erzeugten Impulse aufgezeichnet. Vorerst hatte er nichts Wichtigeres zu tun, als einfach nur zu überleben, das Debakel zu ertragen. Für Einsatzanalysen und -berichte war später noch genügend Zeit.

Der Waffenhändler beugte sich in seinem Sessel nach vorn und tippte angestrengt mehrere Sätze ein. Anscheinend verschickte er E-Mails. Ansari trommelte mit den Fingern auf der Schreibtischplatte, dann drückte er auf einen Knopf auf einem Kästchen mit Furnier aus Rosenholz. Vielleicht organisierte er eine Telefonkonferenz über VoIP. Vielleicht würde die ganze Konferenz wie in einem Chat-Room abgewickelt werden – nur eben mit verschlüsselten Texten. Es gab so vieles, was er hätte herausbekommen können, wäre er nur … Alles Bedauern kam zu spät, aber Belknap ärgerte sich trotzdem über die verpasste Chance.

Er erinnerte sich an seine Hochstimmung vor nicht allzu langer Zeit. Er hatte seine Beute endlich in ihrem Bau aufgespürt. Es war Jared Rinehart gewesen, der ihm als Erster den Spitznamen »Spürhund« gegeben hatte, und dieser wohlverdiente Ehrentitel war ihm geblieben. Obwohl Belknap ein besonderes Talent dafür besaß, untergetauchte Leute, die verschwunden bleiben wollten, aufzuspüren, war ein großer Teil seiner Erfolge  – das wollten seine Kollegen nie glauben, aber er wusste, dass es stimmte – auf reine Beharrlichkeit zurückzuführen.

Jedenfalls hatte er so endlich Chalil Ansari aufgespürt, nachdem ganze Sonderkommissionen mit leeren Händen zurückgekommen waren. Die Bürokraten gruben eifrig, stießen mit ihren Schaufeln auf gewachsenen Fels und gaben die Sache als aussichtslos auf. Das war nicht Belknaps Art. Jede Suche war anders; jede erforderte eine...