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Der Altman-Code - Roman

Robert Ludlum, Gayle Lynds

 

Verlag Heyne, 2012

ISBN 9783641093846 , 624 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

1


Dienstag, 12. September Washington, D. C.


In Washington heißt es, die Regierung wird von Anwälten kontrolliert, aber die Anwälte ihrerseits unterliegen der Kontrolle der Geheimdienste. Die Stadt ist durchzogen von einem Netz von Geheimdiensten, angefangen bei den gleichermaßen legendären Behörden wie CIA und FBI und dem wenig bekannten NRO bis hin zu den so genannten Alphabet Groups in sämtlichen Bereichen von Militär und Regierung, einschließlich so illustrer Ministerien wie den Departments of State und Justice. Zu viele, fand Präsident Samuel Adams Castilla. Und zu sehr im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehend. Rivalitäten waren seit jeher ein Problem. Ein noch größeres Problem war die Weitergabe von Informationen, die unbeabsichtigt Desinformationen enthielten. Dann war da noch die gefährliche Schwerfälligkeit so zahlreicher bürokratischer Apparate.

Das und ein schwelender Konflikt auf internationaler Ebene bereiteten dem Präsidenten Kopfzerbrechen, als sein schwarzer Lincoln Towncar eine schmale Straße am Nordufer des Anacostia River entlangfuhr. Vom Motor war nur ein leises Summen zu hören, die getönten Fenster undurchsichtig. Die Limousine glitt an wild wucherndem Uferbewuchs und beleuchteten Jachthäfen vorbei, bis sie schließlich über die rostigen Schienen eines Nebengleises holperte und in eine belebte Marina bog, die vollständig eingezäunt war. Auf dem Schild am Eingang stand:

ANACOSTIA HOCHSEE-JACHTCLUB
ZUTRITT NUR FÜR MITGLIEDER

Der Jachtclub schien sich durch nichts von all den anderen zu unterscheiden, die östlich des Washington Navy Yard den Fluss säumten. Es war eine Stunde vor Mitternacht.

Nur wenige Meilen oberhalb der Stelle gelegen, wo der Anacostia in den breiten Potomac mündet, lagen in der Marina neben großen hochseetauglichen Motor- und Segeljachten auch die üblichen Sonntagsseglerboote. Präsident Castilla schaute aus seinem Fenster auf die Anleger hinaus, die in das dunkle Wasser ragten. An einigen legten gerade salzverkrustete Hochsee-Jachten an. Die Crews trugen noch Ölzeug. Er sah, dass auf dem Gelände auch fünf Holzbauten unterschiedlicher Größe standen. Sie waren genauso angeordnet, wie man es ihm beschrieben hatte.

Der Lincoln hielt hinter dem größten der beleuchteten Gebäude an einer Stelle, wo er von den Anlegern nicht zu sehen und von der Straße durch dichtes Gehölz verdeckt war. Vier der Männer, die im Lincoln mitgefahren waren, alle in dunklen Anzügen und mit Maschinenpistolen in den Händen, stiegen rasch aus und gruppierten sich um den Wagen. Sie rückten ihre Nachtsichtgeräte zurecht und suchten das Dunkel ab. Schließlich drehte sich einer der vier nach dem Lincoln um und nickte kurz.

Der fünfte Mann, der neben dem Präsidenten gesessen hatte, trug ebenfalls einen dunklen Anzug, war aber mit einer 9mm SIG Sauer bewaffnet. Auf das Zeichen hin reichte ihm der Präsident einen Schlüssel, worauf er von der Limousine zu einem versteckten Seiteneingang des Gebäudes eilte. Er steckte den Schlüssel in ein verborgenes Schloss, öffnete die Tür, drehte sich um und spreizte, die Waffe im Anschlag, die Beine.

Im selben Moment öffnete sich die Autotür, die dem Gebäude am nächsten war. Die Nachtluft war kühl und frisch, durchsetzt von Dieselgestank. Der Präsident stieg aus – ein großer, stämmiger Mann in Chinos und einem legeren Sportsakko. Für einen Mann seiner Größe bewegte er sich flink, als er das Gebäude betrat.

Der fünfte Begleiter schaute sich ein letztes Mal um und folgte ihm mit zwei der vier anderen. Die verbleibenden beiden bezogen Stellung, um den Lincoln und den Seiteneingang zu bewachen.

 

Nathaniel Frederick (»Fred«) Klein, der zerknitterte Chef von Covert-One, saß an einem unaufgeräumten Metallschreibtisch in seinem engen Büro im Innern des Marinagebäudes. Das war die neue Covert-One-Schaltzentrale. Anfangs, vor lediglich vier Jahren, hatte Covert-One über keine formelle Organisationsstruktur oder Bürokratie verfügt, kein richtiges Hauptquartier und keine offiziellen Agenten gehabt. Es war eine lose Ansammlung von Fachleuten auf den unterschiedlichsten Gebieten gewesen, alle mit Geheimdiensterfahrung, die meisten mit militärischem Background und alle ungebunden  – ohne Familien, häusliche Bindungen oder Verpflichtungen, weder temporär noch permanent.

Doch nachdem in der Zwischenzeit drei weltpolitische Krisen die Möglichkeiten des Elitekaders deutlich überstrapaziert hatten, war der Präsident zu der Überzeugung gelangt, dass seine ultrageheime Institution zum einen mehr Personal benötigte, zum anderen aber auch einen festen Sitz, der allerdings auf den Radarschirmen von Pennsylvania Avenue, Capitol Hill und Pentagon nicht zu sehen sein sollte. Das Ergebnis war dieser »private Jachtclub«.

Er verfügte über die unabdingbaren Voraussetzungen für effektive Geheimdienstarbeit: Sieben Tage die Woche war er rund um die Uhr geöffnet und in Betrieb, mit zeitweiligem, aber kontinuierlichem Verkehr vom Wasser wie vom Land, der keinem festen Schema unterworfen war. In der Nähe der Straße und des Nebengleises, aber noch auf dem Gelände gab es einen Hubschrauberlandeplatz, der mehr wie eine unkrautüberwucherte Wiese aussah. Über die ganze Anlage verteilt hatte man die neuesten elektronischen Kommunikationsanlagen installiert, und die Sicherheitsvorkehrungen waren fast unbemerkbar, aber extrem effektiv. Nicht einmal eine Libelle konnte die Umzäunung überfliegen, ohne dass sie einer der Sensoren registrierte.

Klein war allein in seinem Büro. Nur die Geräusche, die sein kleiner Nachtschicht-Mitarbeiterstab machte, drangen gedämpft durch die geschlossene Tür. Er hatte die Augen geschlossen und rieb sich die lange Nase. Seine Brille lag auf dem Schreibtisch. Er sah diesen Abend kein Jahr jünger aus als seine sechzig, seit er die Leitung von Covert-One übernommen hatte, war er merklich gealtert. Sein verschlossen wirkendes Gesicht war von neuen Falten zerfurcht, sein Haaransatz zwei Zentimeter höher gewandert. Eine neue Krise stand kurz vor dem Ausbruch.

Als seine Kopfschmerzen nachließen, setzte er sich zurück, öffnete die Augen, setzte die Brille auf und begann wieder an seiner allgegenwärtigen Pfeife zu paffen. Das Zimmer füllte sich mit Rauchwölkchen, die fast so schnell verschwanden, wie er sie erzeugte, abgesaugt von der starken Lüftungsanlage, die eigens zu diesem Zweck eingebaut worden war.

Auf seinem Schreibtisch lag ein aufgeschlagener Aktenordner, aber er sah ihn nicht an. Stattdessen rauchte er, klopfte mit dem Fuß auf den Boden und blickte alle paar Sekunden auf die Schiffsuhr an der Wand. Endlich öffnete sich links von ihm, unter der Uhr, eine Tür, und ein Mann mit einer SIG Sauer ging durch das Büro zur Außentür, schloss sie ab und stellte sich davor.

Sekunden später kam der Präsident herein. Er setzte sich in den Ledersessel vor Kleins Schreibtisch.

»Danke, Barney«, sagte er zu dem Sicherheitsbeamten. »Ich sage Ihnen Bescheid, wenn ich Sie brauche.«

»Aber Mr. President ...«

»Sie können gehen«, befahl Castilla mit Nachdruck. »Warten Sie draußen. Hier handelt es sich um eine Privatunterhaltung unter alten Freunden.« Zum Teil stimmte das. Er und Fred Klein kannten sich seit dem College.

Jeder Schritt des Sicherheitsbeamten war von Widerstreben begleitet, als er den Raum langsam erneut durchquerte.

Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, blies Klein eine kleine Rauchwolke aus. »Ich hätte auch, wie sonst immer, zu dir kommen können, Sam.«

»Nein.« Sam Castilla schüttelte den Kopf. Die Gläser seiner Titanbrille reflektierten das Deckenlicht mit einem scharfen Blitzen. »Bis du mir nicht genau erzählt hast, was es mit diesem chinesischen Frachter auf sich hat – die Dowager Empress, nicht wahr? –, bleibt diese Geschichte unter uns und denen deiner Agenten, die du darauf ansetzt.«

»Sind die Lecks so schlimm?«

»Schlimmer«, sagte der Präsident. »Das Weiße Haus ist ein einziges Sieb. So etwas habe ich noch nie erlebt. Solange meine Leute die Quelle nicht finden können, treffe ich mich hier mit dir.« Der Ausdruck seines lang gezogenen Gesichts war tief besorgt. »Glaubst du, wir haben es hier mit einer zweiten Yinhe zu tun?«

Kleins Gedanken wurden unverzüglich in die Vergangenheit zurückversetzt: In das Jahr 1993, zu einem unangenehmen internationalen Zwischenfall, aus dem Amerika als großer Verlierer hervorgegangen war. Die Yinhe, ein chinesischer Frachter, war von China nach dem Iran unterwegs gewesen. Dem amerikanischen Geheimdienst hatten Berichte vorgelegen, denen zufolge das Schiff Chemikalien an Bord hatte, die zum Bau von Massenvernichtungswaffen verwendet werden konnten. Nachdem über die üblichen diplomatischen Kanäle nichts zu erreichen gewesen war, erteilte Präsident Bill Clinton der US Navy den Auftrag, die Verfolgung des Schiffes aufzunehmen und es nirgendwo landen zu lassen, bis man irgendeine Form von Lösung gefunden hatte.

China wies die Anschuldigungen erbost zurück. Führende Staatsoberhäupter schalteten sich ein. Verbündete erhoben Vorwürfe und Gegenvorwürfe. Und die Medien berichteten weltweit mit Riesenschlagzeilen über die Pattsituation, die sich endlos scheinende zwanzig Tage lang hinzog. Als China schließlich lautstark mit dem Säbel zu rasseln begann, zwang die US Navy die Yinhe auf hoher See zum Beidrehen, und es kamen Inspektoren an Bord des Schiffs. Zur nicht geringen Verlegenheit der Amerikaner entdeckten sie jedoch nichts als landwirtschaftliche Geräte – Pflüge, Schaufeln und kleine Traktoren. Die Informationen waren falsch...