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Der Schwur der Sünderin - Roman

Deana Zinßmeister

 

Verlag Goldmann, 2012

ISBN 9783641093211 , 480 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

Kapitel 1


Mehlbach, ein Dorf in der Kurpfalz, im Sommer 1525

 

Jakob Hofmeister lag in seinem Bett und starrte mit weit aufgerissenen Augen in die Dunkelheit der Schlafstube. »Woher kam das Geräusch?«, murmelte er beunruhigt und lauschte angestrengt. Da es im Haus aber ruhig blieb, schloss er müde die brennenden Augen.

Hofmeister war kaum eingeschlafen, als ein erneuter Laut ihn aufscheuchte und sein Herz schneller klopfen ließ. Hastig setzte er sich hoch und stupste vorsichtig seine neben ihm schlafende Frau an. Sarahs Nachtruhe schien das nicht zu stören, denn sie atmete leise schnarchend ein und aus. Jetzt glaubte Hofmeister sogar verhaltene Stimmen aus dem Stockwerk unter seiner Schlafstube zu hören.

»Sarah!«, flüsterte Jakob aufgeregt und stieß sein Weib an, sodass sie erwachte. »Da ist jemand in der Küche!«

»Das wird die Katze sein, die sich ins Haus geschlichen hat. Schlaf weiter, Jakob«, nuschelte sie und drehte ihm den Rücken zu.

»Das ist nicht die Katze. Ich kann Stimmen unter uns in der Küche hören.«

Ungehalten setzte sich Sarah nun auf und horchte ebenfalls. »Nein, das wird dieser unsägliche Knecht Mathis sein, der sich über das restliche Abendessen hermacht!«, schimpfte sie leise.

»Unfug!«, grummelte Jakob. »Warum sollte Mathis dabei lärmen? Da unten sind mehrere Personen. Ich sag dir, Sarah: Wir haben Einbrecher im Haus!«

Erschrocken zog die Frau die Bettdecke hoch bis zum Kinn, während ihr Mann beherzt das Bett verließ. Jakob griff nach dem Knüppel, der für solch einen Fall in der Ecke neben der Wäschetruhe stand, und öffnete leise die Tür. Vorsichtig streckte er die Nasenspitze durch den Türschlitz. Als er nichts hören konnte, schob er die Tür mit dem blanken Fuß weiter auf, den Prügel mit beiden Händen hoch über den Kopf haltend.

»Was siehst du?«, flüsterte seine Frau.

»Schscht! Sei still!«, wies er sie unwirsch zurecht.

Jakob Hofmeister verließ die Kammer und trat auf den dunklen Flur hinaus. Als die Dielenbretter unter seinen nackten Füßen knarrten, zuckte er zusammen, und als Sarah dicht hinter ihm flüsterte: »Sei vorsichtig!«, hätte er vor Schreck beinahe den Holzknüppel fallen gelassen.

»Geh zurück ins Bett!«, zischte er seiner Frau zu.

»Bist du des Wahnsinns? Ich bleibe nicht allein in der Schlafstube!« , antwortete sie und zog das dünne Betttuch, das sie sich um die Schultern gelegt hatte, fester um sich. Schritt für Schritt pirschten beide zur Treppe und verharrten vor der obersten Stufe. Alles im Haus schien ruhig zu sein. Achselzuckend wollte Jakob zurückgehen, als Topfklappern aus der Küche drang.

»Jetzt reicht es! Dem Knecht werde ich die Ohren langziehen. Sich nachts in die Küche zu schleichen und die Vorräte zu essen. Wo gibt es denn so was?«, brummte Sarah und wollte an Jakob vorbeistürmen, doch er hielt sie am Arm fest.

»Ich glaube nicht, dass es Mathis ist. Lass uns vorsichtig an der Türe lauschen, um sicherzugehen«, hielt Jakob seine Frau zurück und stieg die Treppe nach unten.

Vor der Küchentür ließ Jakob den Knüppel entkräftet zu Boden sinken. Sein kranker Arm schmerzte. Er rieb sich den Unterarm und gab Sarah ein Zeichen, ihr Ohr gegen die Tür zu pressen. Mit angehaltenem Atem lauschte seine Frau und wich dann erschrocken zurück. Verängstigt flüsterte sie: »Du hast Recht, Jakob! Es sind tatsächlich Einbrecher in der Küche! Lass uns die Knechte wecken.«

Jakob stimmte nickend zu und wies sie mit einer Kopfbewegung an, sich leise davonzuschleichen, als die Tür geöffnet wurde. Erschrocken hob Jakob den Knüppel in die Höhe. Im Lichtschein, der aus der Küche auf den dunklen Gang fiel, erkannte Jakob, wer vor ihm stand. »Jesus und Maria!«, rief er und ließ den Prügel fallen, sodass der hart auf den Boden aufschlug. Sarah hielt sich die Hand vor den Mund, um nicht laut aufzuschreien.

»Jesus und Maria!«, flüsterte Jakob erneut und umarmte seinen Bruder Peter. Zaghaft lächelnd musterte er ihn. »Gott sei gedankt. Ihr seid wohlbehalten zurückgekommen.«

»Du wolltest uns wohl mit einer Tracht Prügel willkommen heißen?«, lachte Peter und zeigte auf den Schlagstock.

»Unfug! Wir dachten, dass Einbrecher im Haus wären«, erklärte Jakob verlegen und zog glücklich den Bruder erneut an sich. Über Peters Schulter hinweg blickte Jakob in die Küche und erkannte seine Schwester sowie zwei fremde Männer, die abseits standen. Jakob löste sich von seinem Bruder und ging auf Anna Maria zu, um sie voller Freude an sich zu ziehen. »Gott hat dich zu ihnen geleitet, sodass du sie nach Hause bringen konntest.«

Anna Maria konnte nur mit Mühe die Tränen zurückhalten. Fest presste sie ihr Gesicht gegen die Brust des ältesten Bruders, sodass der lachend rief: »Lass nach, Schwesterherz! Ich bekomme kaum noch Luft.« Jakob umfasste mit beiden Händen ihr Gesicht, und mit einem verräterischen Schimmer in den Augen flüsterte er: »Vater wäre stolz auf dich!«

Anna Marias Stirn kräuselte sich. »Was heißt ›wäre‹? Ist Vater etwas zugestoßen?«, fragte sie bestürzt. Doch im gleichen Augenblick wurde ihr bewusst, dass es ihrem Vater gutgehen musste. Er hat sich nicht von mir im Traum verabschiedet, also lebt er, dachte sie.

»Ich hoffe, dass Vater noch lebt, obwohl ich nichts von ihm gehört habe, seit er vor geraumer Zeit aufgebrochen ist, um erneut zu pilgern.«

»Als ich damals losmarschierte, um unsere Brüder zu finden, hatte er aber doch mich an seiner Stelle losgeschickt …«, sagte Anna Maria nachdenklich. Dann wurde ihr Ton ärgerlich. »Wie kann er unbesorgt wallfahren, wenn drei seiner Kinder in die Fremde gezogen sind?«

»Auch für uns kam Vaters Entscheidung, auf Pilgerreise zu gehen, unerwartet. Zuerst habe ich ihn nicht verstanden. Dann kam mir der Gedanke, dass Vater diese Reise auf sich genommen hat, um Gott zu bitten, es möge euch unterwegs nichts geschehen. Ich vermute, dass der fremde Besucher ihm dazu geraten hat.«

»Welcher Fremde?«

Jakob zuckte mit den Schultern. »Es ist schon einige Monate her. Vater hatte im Hof mit unserem kleinen Bruder Nikolaus geschimpft, weil er sich eine nicht gedeckte Sau von Bauer Glöckner hatte andrehen lassen. Aufgescheucht durch den Lärm trat ich ans Fenster und sah einen fremden Mann auf Vater zugehen. Zuerst dachte ich, dass der Fremde Böses wollte, doch Vater schien ihn zu kennen. Ich konnte nicht verstehen, was sie miteinander sprachen. Beide verschwanden für einige Zeit in der guten Stube. Es war bereits Melkzeit, als der Fremde von dannen zog. Vater hat ihn noch ein Stück des Weges begleitet. Als sie am Stall vorbeikamen, konnte ich hören, wie Vater den Mann Kilian nannte.«

Erschrocken weiteten sich Anna Marias Augen, doch sie sagte kein Wort. Sarah war inzwischen in die Küche getreten, um Schwager und Schwägerin willkommen zu heißen. Neugierig sah die Bäuerin die zwei fremden Männer an, die ihr stumm grüßend zunickten.

»Wo ist Matthias?«, fragte Sarah.

Jetzt schweifte auch Jakobs Blick suchend umher. »Ja, wo ist Matthias? Hat er sich schlafen gelegt, ohne uns zu begrüßen?«, fragte er lachend.

Plötzlich wurde es still in der Küche. Immer noch lächelnd sah Jakob seine Geschwister an. Als sie ihre Lider niederschlugen, um seinem Blick auszuweichen, wusste er von einem Herzschlag zum nächsten, dass sein jüngerer Bruder nicht mehr lebte. Jakobs Beine zitterten, und er musste sich setzen.

Sarah sah das bleiche Gesicht ihres Mannes, und da ahnte auch sie, dass ihr Schwager Matthias nicht wiederkommen würde. Fassungslos setzte sie sich neben Jakob und drückte seine Hand, die er ihr entzog. Jakob sah zuerst Anna Maria, dann Peter an. »Was ist passiert?«, fragte er.

Anna Maria und Peter setzten sich schweigend auf die Bank hinter dem blankgescheuerten Holztisch. Keiner wagte den anderen anzuschauen. Für einen Augenblick vergrub Peter sein Gesicht in beiden Händen und sagte dann mit leiser Stimme: »Das ist eine lange Geschichte!«

»Wir haben Zeit. Erzähl!«, forderte Jakob ihn auf.

 

Peter blickte Anna Maria an, die ihm stumm zunickte. Er begann zu berichten: »Damals, als Matthias und ich unseren Heimatort Mehlbach verließen, um in der Fremde für die Rechte der Bauern zu kämpfen, ahnten wir nicht, was uns erwarten würde. Wir sind blind und unerfahren in eine Welt marschiert, von der wir kaum etwas wussten.«

»Euer Vater hätte euch nicht ziehen lassen dürfen!«, presste Sarah bitter hervor.

Doch Peter schüttelte den Kopf. »Uns hätte nichts und niemand aufhalten können, Schwägerin! Wir waren überzeugt, diesen Krieg gewinnen zu können.«

»Krieg?«, fragte Jakob irritiert. »Es war doch nur ein Aufstand, der dem Adel und dem Klerus bedeuten sollte, dass die Zeiten der Unterdrückung der Bauern vorbei sind.«

»Das glaubten wir zuerst auch«, sagte Peter und schüttelte leicht den Kopf. »Wir sind frohen Mutes losgezogen. Selbst als wir erkannten, dass die Anführer der Bauernaufstände ihre Ziele mit dem Schwert erreichen wollten, konnte uns nichts aufhalten. Als Matthias und ich einige Tage unterwegs waren, trafen wir auf andere Burschen, denen wir uns anschlossen. Im Laufe des gemeinsamen Marschierens verließen uns manche von ihnen, um ihre eigenen Ziele zu verfolgen. Andere kamen hinzu, sodass es nie langweilig wurde und wir Mehlbach und unsere Familie nicht vermissten. Irgendwann waren wir noch zu fünft. Matthias und ich, Michael, Johannes und Friedrich, der hier mit uns am Tisch sitzt.« Dabei zeigte er auf den jungen Mann. Jakob nickte ihm stumm zu. Sein Blick schweifte über den...