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Herzensjunge

Carmen Korn

 

Verlag cbt Jugendbücher, 2009

ISBN 9783641037307 , 253 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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5,99 EUR


 

Ich bin gerade dabei, ein neues Leben anzufangen. Der letzte Versuch ist ziemlich versickert. In Ahornsirup versickert. Kaum hatte ich vor, eine Elfe zu werden und nur noch Äpfel und Quark und Vollkornbrot zu essen, kam Oma daher und hat sich in unsere Küche gestellt und Pfannkuchen gemacht. Pfannkuchen mit Ahornsirup. »Kleine Verwöhne«, hat sie gesagt. Kleine Verwöhne, viele Kalorien.
Neue Leben haben einfach was mit Ernährung zu tun. Das stand auch in der Zeitschrift, für die Mama ihre Kitschgeschichten schreibt. Da war ein großer Artikel, wie man seinem Leben eine wirkliche Wende gibt. »Schönheit kann man essen«, stand da. Vitamine ohne Ende. Vollkorn. Ab und zu ein Löffel Kieselerde. Und wenn man sich erst einmal schön gegessen hätte, würde alles ganz von selbst gehen, und dann winkte nicht nur eine Karriere, sondern auch der Traumprinz.
Ich habe noch nie einen Freund gehabt.
Nein. Das stimmt so nicht. Natürlich habe ich Freunde gehabt. Im Kindergarten. Olli und Tobi. Mit den beiden bin ich auch eingeschult worden. Das hat sich dann aber auseinandergelebt. In der siebten Klasse kam ein Junge dazu, der aus Leipzig hergezogen war. Der hat mir gefallen. Doch er blieb nur ein halbes Jahr, denn sein Vater hatte anderswo einen noch besseren Job gefunden. Nicht dass es mir an Männern in meinem Leben fehlt. Da ist Papa und da sind mein großer Bruder Andreas und mein kleiner Bruder Adrian. Die habe ich ja auch alle doll lieb. Doch mir fehlt so was ganz Besonderes fürs Herz. Eine große Liebe.
Höre ich da Oma im Flur? Hoffentlich bringt sie keinen Kuchen mit. Ich will durchhalten. Im kommenden Januar werde ich vierzehn. Noch drei Monate. Bis dahin will ich schön sein. Eine schöne Elfe. Kann man eine Elfe sein, wenn man mit dreizehn schon eins sechsundsiebzig groß ist? Die Jungen in meiner Klasse sind alle kleiner als ich. Doch von ihnen eignet sich auch keiner, meine große Liebe zu werden. Die haben ja nur ihre Computerspiele im Kopf. Einfach noch zu kindisch, diese Jungs. Ist auch nichts anderes als Cowboy-und-Indianer-Geheul, was die da auf dem Schirm haben. Immer geht's nur ums Kämpfen.
Andreas hat das auch alles gespielt. Das hörte erst vor einem halben Jahr auf, als er auf einmal eine Freundin hatte. Da war er schon fast sechzehn. Jungen sind eben Spätzünder. Ganz anders als wir Frauen.
Na ja. An Hannas Reifezustand habe ich allerdings auch berechtigte Zweifel. Hanna, die beste aller Freundinnen. Ruht gerade ein bisschen, diese Freundschaft. Seit sie sich verknallt hat. In den bescheuertsten Typen auf dem Erdball. Immer eine große Lippe. Ein totaler Angeber.
»Toni. Oma hat Torte mitgebracht.«
Das darf doch nicht wahr sein. Wollen die mich mästen? Ich steuere ja auf ein glattes Large zu. Kleidergröße Large. Gott o Gott. Mama ist auch schon dicker geworden. Nur Oma bleibt eine Bohnenstange. Die Länge habe ich von ihr. Hätte nichts dagegen, auch so dünn zu sein wie sie. Dünn mit Brüsten. Jetzt muss ich nur sagen, dass Adrian mein Stück haben kann. Dann ist die Versuchung an mir vorübergegangen. »Adrian kann mein Stück haben.« Mein kleiner Bruder wird im Februar sechs. Da muss man noch futtern und wachsen.
»Ist genug für alle da, Toni. Du magst doch so gern Haselnusstorte.«
Die Stimme meiner Großmutter. Oma gibt nicht so leicht auf. Liebes neues Leben. Morgen fange ich dich ganz bestimmt an.

»Sieben Sekunden im Mund. Sieben Stunden im Magen. Sieben Jahre auf den Hüften.« Das hat Papa gesagt, als er gestern in die Küche kam und uns Torte essen sah. Papa ist ein Asket. Das sind Leute, die sich ziemlich viel verkneifen. Ich kann gar nicht verstehen, wie Papa Omas Sohn sein kann. Die ist das genaue Gegenteil. Gönnt sich gerne was. Nicht nur Süßes. Auch mal einen Schnaps. Und schicke Klamotten.
In Omas Wohnung gibt es einen alten Schrank aus Kirschbaumholz. Ein großer Kasten. Früher habe ich beim Versteckspiel dadrin gesessen und vor mir hat es Andreas getan und heute tut es Adrian. Kann gut sein, dass Papa als Kind sich auch darin versteckt hat. Wir würden alle vier in den Schrank passen. Dabei sind haufenweise Kleider drin. Die hat Oma getragen, als sie jung war. In den Sechzigerjahren. Oma tut immer, als sei das eine ganz wilde Zeit gewesen. Doch die Klamotten sind wirklich schräg. Westen, auf denen kleine Spiegel genäht sind. Flatterröcke, so durchsichtig, dass Mama mir verbieten würde, damit auf die Straße zu gehen. Eigentlich könnte ich mal einen davon anziehen. Mit Leggings drunter. Oma hat gesagt, ich dürfe mir was aussuchen.
Heute in der großen Pause ist Hanna auf mich zugekommen, gerade als ich in ein Stück Kohlrabi beißen wollte. Sie sah ziemlich kaputt aus und sagte, sie müsse dringend mit mir reden. Wir haben uns im Balzac verabredet. In einer halben Stunde treffen wir uns da auf eine Karamellmilch. Halt. Ich sollte besser den Ingwertee mit Zitronengras nehmen. Passiert viel zu leicht, dass man in alte Gewohnheiten fällt.
Endlich mal wieder mit Hanna reden, ohne ihren Herzallerliebsten um uns herumstreichen zu haben! Kalli habe ich schon länger nicht mehr auf dem Schulhof gesehen. Vielleicht ist er krank. Hat Hanna darum mal wieder Zeit für mich? Irgendwas bedrückt sie. Ich kenne sie schließlich schon länger als mein halbes Leben. Da kann sie mir nichts vormachen. Ob Kalli mit ihr Schluss gemacht hat? Das wäre ein Segen. Ich vermisse Hanna. Klar, ich sitze jeden Tag mit ihr im Klassenzimmer. Doch sonst findet kaum noch was statt bei uns. Wenn ich vorschlage, ins Kino zu gehen, dann hat sie den Film schon mit Kalli gesehen. Vorige Woche habe ich einfach mal bei ihr vor der Tür gestanden und geklingelt. Ihre Mutter machte auf und hat sich echt gefreut über meinen Besuch. »Hanna ist in ihrem Zimmer«, hat sie gesagt, »geh nur hinein.« Dass Kalli auch in dem Zimmer war, hatte Hannas Mutter wohl verdrängt. Ich öffne die Tür und sehe die beiden eng aneinandergedrückt auf dem rosa Sofa sitzen, auf dem Hanna und ich immer saßen, wenn wir GZSZ guckten.