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Drachenelfen - Die Windgängerin - Drachenelfen Band 2

Bernhard Hennen

 

Verlag Heyne, 2012

ISBN 9783641064952 , 880 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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14,99 EUR


 

Der gefallene Meister

Nandalee hob aufmerksam den Kopf. Der Wind hatte gedreht. Das Wispern der Blätter änderte den Ton. Es erschien ihr drängender, als wollten die Geister des Waldes sie warnen. Ein neuer Geruch lag in der Luft. Nach Rauch, Waffenfett und ungewaschenen Kleidern.

Aus den Augenwinkeln sah die Elfe zwei Schatten, die sich lautlos durch den Wald bewegten. Fast waren sie eins mit den dunklen Stämmen und der Nacht. Auch sie rochen nach Rauch. Und nach dem Ruß, mit dem sie sich die Gesichter und die Hände eingerieben hatten, um noch mehr den Schatten zu gleichen.

Ihre Gefährten, Cullayn und Tylwyth, gaben ihr ein Zeichen weiter vorzurücken. Die beiden Maurawan gehörten zu den Elfen, die im alten Wald südlich des Albenhauptes lebten. Ihr Volk galt als eigenbrötlerisch und reizbar. Selbst die Trolle vermieden es, mit den Maurawan zu streiten, und fürchteten ihre Überfälle. Nandalee war nicht begeistert gewesen, als man ihr die beiden für ihre Mission zur Seite gestellt hatte. Sie waren keine Drachenelfen, sondern gehörten zu den Spähern der Blauen Halle. Diese Eskorte war ein Zugeständnis Nachtatems an die übrigen Himmelsschlangen, die nicht duldeten, dass diese wichtige Mission allein einer seiner Getreuen anvertraut wurde. Und obendrein noch der einzigen Elfe, in deren Gedanken sie nicht lesen konnten.

Cullayn, der ältere der beiden Maurawan, trat an ihre Seite.

»Ich habe sie gerochen«, sagte sie, damit keine Missverständnisse aufkamen. Es war nicht die Art der Maurawan, viel zu reden, was den Umgang mit ihnen nicht leichter machte.

Cullayn nickte knapp.

Nandalee war dankbar, dass er die Kapuze seines Umhangs tief in die Stirn gezogen hatte. Sein Antlitz war entstellt, und es fiel ihr schwer, ihm ins Gesicht zu blicken. Es wirkte verrutscht. Nichts war mehr ganz an dem Ort, an dem es sein sollte, so als habe man ihm Haut und Fleisch vom Schädel abgezogen und dann nicht mehr an die richtige Stelle bekommen. Angeblich war Cullayn als junger Krieger vom Keulenhieb eines Trolls getroffen worden. Dass er überhaupt überlebt hatte, war ein Wunder. Ein Wunder, das er selbst wohl jeden Tag verfluchte, vermutete Nandalee.

»Was glaubst du, wie viele es sind?«

Ohne zu zögern, ballte er die rechte Faust, streckte alle Finger aus, ballte die Faust ein zweites Mal und spreizte Zeige- und Mittelfinger ab.

»Sieben?« Sie musterte ihn ungläubig. Sie wusste, dass es mehrere Zwerge sein mussten. Die Duftnote war zu stark für einen gewesen. Aber sie hätte niemals eine genaue Zahl benennen können. Scherzte Cullayn etwa? Bislang hatte sie ihn für völlig humorlos gehalten. Ein Fehler? Auch seine Freundschaft zu Tylwyth, den man hinter seinem Rücken den Schönen nannte, war ungewöhnlich. Tylwyth war in ziemlich allem das genaue Gegenteil von Cullayn. Er war gutaussehend und legte für einen Maurawan außergewöhnlich großes Augenmerk auf seine Kleidung. Cullayn hingegen wirkte abgerissen. Seine knielangen, weichen Lederstiefel waren mehrfach geflickt. Die linke Sohle hatte sich halb gelöst und wurde von Lederriemen gehalten, die um den Stiefel gewickelt waren. Er trug einen Lendenschurz undefinierbarer, dunkler Farbe, dazu eine speckige Lederweste mit etlichen aufgenähten Taschen. Sein weiter Kapuzenumhang war so oft gewaschen, dass die ehemals dunkelgrüne Farbe zu einem scheckigen Muster zwischen Grün und Grau verkommen war. Doch was zählten solche Äußerlichkeiten schon, wenn man ohnehin die meiste Zeit mit dem Wald verschmolz. Nandalee kannte keinen anderen Elfen, der es Cullayn darin gleichtun konnte. Vielleicht wob der Maurawan unbewusst Magie? Vielleicht hatte es mit seinem entstellten Gesicht zu tun? Er wollte schon seit Langem nicht gesehen werden. Und er hatte einen guten Grund dazu.

»Folgen wir den Zwergen«, entschied sie. Seit sie auf dem Berg waren, hatten sie zwei Mal Holzfäller beobachtet. Ansonsten war es ruhig.

Cullayn nickte. Kaum einen Herzschlag später war er wieder in den Schatten verschwunden.

Nandalee nahm erneut Witterung auf. Cullayn schien keinen eigenen Geruch zu haben. Ihn konnte sie hier nicht wahrnehmen. Er roch wie der Wald. Er war der Wald, dachte sie und lächelte. Ganz anders als die Zwerge. Ob die Zwerge etwas ahnten? Wussten sie, dass Elfen hier waren? Nandalee stieg über einen zersplitterten Ast hinweg. Der Wald hier auf dem Berg war nicht gesund. Es gab zu viele Fichten und Kiefern. Wahrscheinlich hatten die Zwerge die schnell wachsenden Bäume gepflanzt, um den Holzbedarf ihrer Stadt zu stillen, die tief verborgen im Berg lag.

Unvermittelt entdeckte Nandalee die Fährte der Zwerge. Abdrücke der plumpen, großen Füße in dem Teppich aus Kiefernnadeln, der den Waldboden bedeckte. Mit einem Schaudern dachte sie an die Zeit zurück, in der sie selbst in einem Zwergenkörper gefangen gewesen war. Wie eine Betrunkene war sie kurz nach der Verwandlung durch die Tunnel der Tiefen Stadt getaumelt. Der Gedanke an den ungelenken, gedrungenen Körper erfüllte sie mit Schrecken. Sie dachte an all die Monde, die sie in der Pyramide im Jadegarten gefangen gewesen war. Lebendig begraben!

Nandalee hob den Blick zu den Fichtenwipfeln, die sich sanft im Wind wiegten. Sie lauschte dem Lied der Bäume, atmete den Duft des Harzes. Der Gestank nach den verschwitzten Kleidern der Zwerge war kaum noch wahrzunehmen, ganz als wolle der Wald selbst die Erinnerung an sie tilgen.

Nandalee folgte weiter der Spur. Man hätte blind sein müssen, um sie zu verfehlen. Zwergen nachzustellen war keine Herausforderung, dachte sie mit einem Anflug von Ärger. Selbst ihre Freundin Bidayn würde diese Fährte nicht verlieren, obwohl sie in der Wildnis hilflos wie ein Kind war. Bidayn hatte Nandalee überrascht, als sie sich für diese Mission freiwillig gemeldet hatte. Nachdem sie auf Nangog verletzt worden war, hätte Nandalee nicht erwartet, dass die Zauberweberin sich so bald wieder in Gefahr begeben würde. Bidayn war … Nandalee verharrte. Etwas stimmte nicht. Da war etwas im Dunkel. Dicht vor ihrem Gesicht. Mondlicht hatte sich daran gebrochen. Ein Faden, fein wie Spinnweben. Doch er war schwarz wie die Nacht.

Sie duckte sich. Witterte. Der Harzgeruch überlagerte alle anderen Düfte. Zu stark, selbst für einen Fichtenhain! Nandalee schloss die Augen und konzentrierte sich ganz auf ihren Geruchssinn. Sie versuchte das zu verdrängen, was sie am stärksten bestürmte. Sie roch einen Dachs, ganz in der Nähe. Rebhühner. Hasenkötel. Rosshaar. Wachs …

Sie schlug die Augen auf. Der spinnwebfeine Faden war ein Rosshaar. Nein, wahrscheinlich mehrere. Sie waren zusammengeknotet und mit Wachs eingerieben. Nandalee atmete schwer aus. Das war knapp gewesen. Sehr knapp! Was wohl geschehen würde, wenn das Haar zerriss? Sie und die beiden Maurawan hatten in dieser Nacht schon etliche Fallen gefunden. Schwere Fußangeln, die einem den Knöchel zertrümmerten, wenn sie zuschnappten, eine Grube voll angespitzter Pfähle. Sie alle waren plump und leicht zu entdecken gewesen. Diese hier war anders. Das Haar war etwa auf Schulterhöhe gespannt. Ein Zwerg konnte diese Falle nicht versehentlich auslösen. Sie war für größere Geschöpfe ersonnen worden. Nandalee versuchte zu entdecken, wohin das Rosshaar führte. Es verschwand zwischen Kiefernästen.

Das plötzliche Gefühl, angestarrt zu werden, ließ sie herumfahren. Da war jemand im Dunkel unter den Fichten. Tylwyth? Der Schatten winkte ihr zu. Rufen konnte er nicht, solange ungewiss war, wie nahe ihnen die Zwerge waren. Sie konnten überall …Plötzlich fügte sich für Nandalee alles zusammen. Die plumpen Fallen, die Fährte, die man nicht übersehen konnte. Sie waren hierher gelockt worden! Wer ein Stück neben der auffälligen Fährte durch den Wald lief, der musste geradewegs in diese Falle laufen. Das schwarze Rosshaar wäre selbst am hellen Nachmittag so gut wie unsichtbar, denn das Dach der Fichtenäste war so dicht verwoben, dass hier stets Zwielicht herrschte.

Sie hatten die Zwerge unterschätzt. Sie ahnten, dass die Drachen und mit ihnen die Drachenelfen kommen würden. Das war naheliegend, bei dem, was sie getan hatten. Die Ermordung des Schwebenden Meisters konnte nicht ungesühnt bleiben.

Tylwyth kam auf sie zu. Er wirkte ungeduldig, winkte ihr. Sie gab ihm ein Zeichen, stehen zu bleiben, aber er ignorierte es. Sie musste ihn aufhalten. Nandalee ließ alle Vorsicht fahren. »Bleib …«

Äste splitterten. Die Wipfel rings um den Maurawan wogten wie von Sturmwind gepeitscht. Tylwyth warf sich zu Boden und rollte zur Seite ab. Ein fassgroßer Baumstumpf, gespickt mit angespitzten Ästen, schwang über ihn hinweg und verschwand in der Dunkelheit. Keinen Herzschlag später schnellten Bretter mit fingerlangen Nägeln aus dem Waldboden. Der Maurawan sprang auf. Nur ein Hechtsprung rettete ihn vor dem zurückschwingenden Baumstumpf.

Nandalee eilte ihm entgegen. Dabei folgte sie in geducktem Lauf der Fährte der Zwerge. Dort, wo sie gegangen waren, konnte es keine Fallen geben. Zumindest nicht in Zwergenhöhe.

Tylwyth kauerte mit schreckensweiten Augen vor einem Baumstamm. Seine linke Hand war verletzt, die enge, graue Wildlederhose voller Schmutz und Blut. Von seiner selbstsicheren Eleganz war wenig geblieben.

»Schlimm?«

Er blickte auf. In seinem rußgeschwärzten Gesicht erschienen ihr seine Augen unnatürlich hell. Die blaugraue Iris war von einem schwarzen...