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Der neue Aktienberater - Kritische Empfehlungen für Anfänger und Fortgeschrittene

Uwe Lang

 

Verlag Campus Verlag, 2003

ISBN 9783593400280 , 213 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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12,99 EUR

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Der Sittenverfall an der Börse


Wenn dies alles so gestimmt hätte, dann hätte man ja vor Kursstürzen wie in den Jahren 2001 und 2002 keine Angst zu haben brauchen. Oder doch? In Zeiten einer allgemeinen Aktieneuphorie redet es sich leicht von »Buy and Hold« (»Kaufen und liegen lassen«). Wenn es aber dann wirklich kracht an den Börsen, stellen sich schnell Zweifel ein, ob es in den nächsten Jahren überhaupt wieder aufwärts geht, ob nicht Wirtschaft und Börse in einem Sumpf von Schuldenkrise und Depression versinken. Abb. 1 gibt ein anschauliches Beispiel.

Abbildung 1: Kursentwicklung Deutsche Telekom 1996 bis 2002

Es war die Aktie der Deutschen Telekom, die seit 1996 in der deutschen Bevölkerung größeres Interesse für diese Anlageform geweckt hatte. War der Ausgabekurs um rund 14 Euro im Jahre 1996 noch einigermaßen fair, wurden die Anleger später durch viel Werbung regelrecht zum Kauf dieser Aktie geködert. Wer seinerzeit bei der Neuemission der Telekom-Tochter T-Online (April 2000) keine Aktien bekommen hatte, wurde angeschrieben, er würde stattdessen bei der Telekom-Neuemission im Juni 2000 berücksichtigt, zu 63 Euro – als ob dies sonderlich günstig gewesen wäre. Viele Aktionäre meinten wohl, ihnen würde hier ein Geschenk präsentiert. Im Juni 2002 war die Telekom-Aktie an der Börse unter 9 Euro zu haben.

Schwer geschadet hat allen Weltbörsen Folgendes: Die meisten US-Gewinnzahlen waren in den 90er Jahren so stark geschönt, dass sie in den Bilanzen danach nur noch schwer zu überbieten waren. Jetzt wurde immer klarer, warum die US-Aktien stärker gestiegen waren als in Europa, obwohl die USA nicht wirklich ein höheres Produktivitätswachstum aufzuweisen hatten. Manipulierte Bilanzierungsmethoden führten zu aufgeblähten Gewinnen und damit weit überhöhten Aktienkursen. Wie eine Zitrone wurden US-Unternehmensbilanzen ausgepresst, damit die Topmanager zu Traumgehältern gelangen konnten. Ihre Jahreseinkommen in zweistelliger Millionenhöhe waren – dem eng ausgelegten Shareholder-Value-Prinzip folgend – an den Unternehmensgewinn oder den Börsenkurs gekoppelt. Im Grunde handelten viele von ihnen nach dem Motto »Nach mir die Sintflut«. Nach solchen Manipulationen ließen sich Zahlen nicht mehr weiter verdrehen, ohne dass es auffiel. Enron und Worldcom waren die ersten Großkonzerne, die danach einräumen mussten, zahlungsunfähig zu sein.

Immer klarer wurde, dass die Weltbörsen im Grunde unter den Folgen eines »Sittenverfalls« auf dem Gebiet der Wirtschaft litten, wie das manager magazin in seiner Juni-Ausgabe 2002 mit Recht formulierte. Was den Kleinanlegern im Jahre 2000 angetan wurde, als die Kurse hoch waren, war in der Börsengeschichte beispiellos. Finanzdienstleister und Wirtschaftslenker in den Großunternehmen fabrizierten mit falschen Versprechungen einen Scherbenhaufen und zerstörten massiv Vertrauen. Wie insbesondere die Kleinaktionäre rücksichtslos behandelt wurden, dafür ein Beispiel: Die Deutsche Bank empfahl ihren Anlegern am 6. August 2001 Telekom-Aktien zum Kauf. Schon am nächsten Tag begann sie für den Großkunden Hutchison Whampoa mit massiven Telekom-Verkäufen. Mit Recht war man bei der Telekom über das Verhalten der Deutschen Bank empört. Der Skandal bestand darin, eine Kaufempfehlung just einen Tag vor einer großen Verkaufsabwicklung (44 Millionen Stück Telekom-Aktien!) auf den Markt kommen zu lassen. Wer noch immer nicht wusste, dass Kleinanleger den Großbanken vor allem als Abnehmer für Finanzprodukte wichtig sind und ansonsten auf sie keine große Rücksicht genommen wird, konnte jetzt wieder einiges dazulernen. Denn so offenkundig anlegerfeindlich hatte sich bisher noch keine Großbank bei der Empfehlung einer Standardaktie verhalten. Bisher kannte man dies nur vom Neuen Markt, wo sich bereits fast alle Großbanken Skandale geleistet hatten. Hier hatten Berater die Anleger auf die Fonds verwiesen, deren »professionelles Management« durch eine gute Streuung dafür sorgen werde, dass keine Baisse allzu hart ausfallen werde. Das war die Theorie – und die Praxis? 70 bis 90 Prozent Verlust waren bei den Neuen-Markt-Fonds die Regel.

Eine Frage des Vertrauens

Wirtschaft und Handel leben im Grunde genommen davon, dass man sich gegenseitig vertrauen kann. Vertrauen heißt nicht nur, dass Rechnungen pünktlich bezahlt werden, sondern auch, dass Auskünfte richtig sind und Versprechungen eingehalten werden. Wer seine Kunden und Geschäftspartner nur noch als Hilfsmittel zum »Raffen« ansieht, sägt sich den Ast ab, auf dem er selbst sitzt.

Vertrauen ist ein Wirtschaftsfaktor, der gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. In den meisten Ländern ist es im Laufe der vergangenen Jahre deutlich zurückgegangen. Mit einer schlichten Meinungsumfrage »Vertrauen Sie den meisten Menschen?« ist es möglich zu erkennen, ob die nötige Grundlage für eine funktionierende Wirtschaft in einem Land vorhanden ist. Am meisten Vertrauen besteht noch in Norwegen, Schweden, den Niederlanden, Kanada und Finnland. Schlimm bestellt ist es in den USA, Italien, Großbritannien, Spanien, Frankreich, der Türkei und Brasilien. Deutschland liegt etwa in der Mitte.

Was die Aktionäre am meisten verstimmte, war das Frisieren von Bilanzen durch die Konzerne. Aber ein Sittenverfall ist auch sichtbar in der Zunahme der Schmiergeldzahlungen, in Preisabsprachen, in ruppigen Marketingmethoden, im Übervorteilen von Kleinaktionären bei Übernahmen, im Abzocken von unbedarften Privatanlegern durch immer mehr Fonds und im Ausplündern von Großunternehmen durch ihre Topmanager. »Raubtier-Kapitalismus« nannte dies der Spiegel in seiner Ausgabe vom 8. Juli 2002.

Wenigstens berichteten die Medien jetzt darüber, und das Bewusstsein, dass man den Finanzdienstleistungsunternehmen und Unternehmensführern stärker auf die Finger sehen muss, hat sich inzwischen verschärft. Viele Jahre hatte kaum jemand vor der Erfolglosigkeit und dem ungenierten Absahnen der meisten Fonds gewarnt. Jetzt kamen die Fakten endlich in der Presse auf den Tisch. Auch die Selbstbedienung der Topmanager an den Unternehmensvermögen wurde angeprangert, nachdem es jahrelang immer hieß, Kritik daran sei nur eine »Neidkampagne«. Es ist nicht in Ordnung, wenn Vorstandsmitglieder zum Beispiel neben einem Grundgehalt von vier Millionen Euro im Jahr noch zusätzliche Einkünfte von sieben Millionen über so genannte »Optionen« beziehen, die ihre Wirkung bereits dann garantieren, wenn der Aktienkurs von einem tiefen Niveau aus um 20 bis 30 Prozent steigt. Michael Adams, Professor für Wirtschaftsrecht in Hamburg, wies im Spiegel am 27. Mai 2002 darauf hin, »dass sich die Manager leistungslos bereichern«.

Wolfgang Kaden, Chefredakteur des manager magazin, klagte in der Juni-Ausgabe 2002: »Die Selbstbedienung ist das Ergebnis von Machtmissbrauch. ... Aus der Leistungsgesellschaft, so scheint’s, hat sich inzwischen eine Raffgesellschaft entwickelt, in der es außer der Mehrung des eigenen Vermögens keine Wertmaßstäbe mehr gibt.«

Kleinaktionäre als Opfer

Aktionäre haben es nicht leicht. Sie müssen sich immer wieder vorwerfen lassen, sie beteiligten sich an »ausbeuterischen kapitalistischen Systemen«. Das ist allerdings sehr kurz gedacht. Auch Gelder von Sparbüchern fließen in den Wirtschaftskreislauf ein. Kein Sparer hat es in der Hand, wem seine Bank mit seinen Einlagen Kredite erteilt.

Die Kritiker übersehen, dass die Kleinaktionäre oft selbst übervorteilt werden! Der schlimmste Skandal besteht darin, dass oft für das Geld der Anleger in Fonds keine entsprechende Leistung geboten wird und sie ständig falsch beraten werden (»Jetzt unsere Telekom-Aktien, unsere Optionen, unsere Turbozertifikate kaufen!«), ständig zum Einzahlen aufgefordert wird (»Kaufen Sie unsere fondsgebundene Altersvorsorgeversicherung mit erstklassigen Fonds! Unsere Topleute sind laufend im Einsatz für Sie!«) und Finanzinstitute daran glänzend verdienen!

Dass Kleinaktionäre nur als Zahler erwünscht sind, ist schon an den monatlichen Millionen-Gehältern der Topmanager der AGs zu sehen. Diese werden weder demokratisch geregelt, noch werden sie durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Zwar gehört eine AG nicht dem Vorstand, sondern den Aktionären. Aber wen interessiert das? In den Aufsichtsräten sitzen ebenfalls nur Topmanager, die schon ihre Gründe haben, astronomische Gehälter zu genehmigen!

Staatsanwälte greifen wegen »Untreue« ja erst dann ein, wenn es zu bunt getrieben wird, wie bei der Übernahme des Mannesmann-Konzerns durch Vodafone, wo nicht nur die Spitzenleute zweistellige Millionenbeträge extra kassierten, sondern auch noch Aufsichtsräte und frühere, mittlerweile pensionierte Manager reich bedacht wurden. Wohlgemerkt, diese Prämien werden für angeblich besondere Leistungen gezahlt! Dass die Konzerne Vodafone und Mannesmann durch die Fusion mehr kaputtgemacht als gefördert wurden, interessiert nicht. Der Kleinaktionär durfte bei seiner letzten Mannesmann-Hauptversammlung ein wenig schimpfen und Entlastungen verweigern, was aber niemanden störte und absolut folgenlos ist.

Als Beispiel für Kursmanipulationen sei nur der Fall »Kurt Ochner« erwähnt. Um ihren guten Ruf zu wahren, hat die angesehene Schweizer Bank Julius Bär ihren bisherigen Top-Fondsmanager Kurt Ochner im Jahr 2001 entlassen. Als Grund wurde angegeben, er habe sehr viel Zeit für Dinge aufgewendet, die nicht Bestandteil des Fondsmanager-Geschäfts seien. Das ist milde formuliert. Tatsächlich waren von seinem Wohlwollen zahlreiche Unternehmen der Neuen Märkte abhängig...