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Unterhaltung als Eigensinn - Eine ostdeutsche Mediengeschichte

Wolfgang Mühl-Benninghaus

 

Verlag Campus Verlag, 2012

ISBN 9783593418414 , 370 Seiten

Format PDF, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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46,99 EUR

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Seit dem 19. Jahrhundert erschien eine unübersehbare Vielfalt von Publikationen zur deutschen Kulturgeschichte. So unterschiedlich ihre Aussagen und Schwerpunksetzungen im Einzelnen auch waren und sind, so eint sie doch die fast ausschließlich ablehnende Haltung bzw. deren weitgehende Ignoranz gegenüber historischen Unterhaltungsangeboten. Diese wurden, anders sind die Defizite nicht erklärbar, von den jeweiligen Autoren nicht als Bestandteil deutscher Kultur betrachtet.

Die wenigen Bücher, die von diesem Prinzip abwichen, konzentrieren sich ausschließlich auf die medialen Angebote, die jedoch oft unter Verzicht auf die Darstellung der konkreten Gegebenheiten analysiert wurden. Deshalb werfen diese Darstellungen teilweise mehr Fragen auf, als sie beantworten. Beispielhaft für diese Behauptung steht die umfangreiche Kulturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland von Jost Hermand. Der Autor nähert sich seinem Thema mit einem sehr breiten Kulturverständnis. Es ermöglicht ihm, innerhalb des konstatierten 'kulturellen Pluralismus' der 'massenverbreiteten Kunst' bzw. den 'Unterhaltungs- und Zerstreuungsmedien' einen breiten Raum zu geben. In Ansätzen verfolgt er auch die Verflechtungen zwischen den einzelnen Medien, um so dem Phänomen des zunehmenden Medienverbunds gerecht zu werden. Die ideologischen Perspektiven jedoch stehen für Hermand dabei fest: 'Die bundesrepublikanischen Massenmedien' erwiesen sich spätestens seit Ende der fünfziger Jahre als 'die effektivsten Manipulationsorgane, die es je gegeben hat und die in Wirkung selbst die Opiumfunktion älterer Religionen weit übertrafen'. Im Folgenden verschwinden beim Autor fast alle Differenzierungen. Selbst die Programme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks stehen für ihn seit der zweiten Hälfte der 1950er Jahre für den zunehmenden Kulturverfall der gesamten Gesellschaft:

'Wenn man mehrere Jahrgänge der Zeitschrift ?Hör zu? aus den fünfziger Jahren durchblättert, ist man überrascht, welches hohe Kulturbewusstsein diese Sender anfangs vertraten. [...] Doch je größer die Hörbeteiligung wurde, je schärfer der Rundfunk mit anderen Massenmedien wie den Illustrierten, der Heftchenliteratur und dann dem Fernsehen konkurrieren musste, je weiter die Erfahrung der Kriegs- und Nachkriegszeit abrückte, desto größer wurde der Anteil der reinen Unterhaltungsprogramme [...] Während zu Anfang selbst die anspruchsvolle Musik, ob nun in Form neuer Funkopern oder schönbergisierender Orchesterstücke, eine lebhafte Unterstützung erfuhr, wurden die Musikprogramme der ARD-Stationen schon in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre, zum Teil aus Konkurrenz mit Radio Luxemburg und dem us-amerikanischen Soldatensender AFN, die vorwiegend Pop-, Rock- und Jazzmusik brachten, immer anspruchsloser und wandten sich vor allem an jene Bevölkerungsschichten, die vom Radio lediglich ein beschwingt-dudelndes Hintergrundgeräusch erwarteten.'

Diese Einstellungen sind nicht nur, wie die vorliegende Monographie nachweisen kann, mehr als 200 Jahre alten, spezifisch deutschen Denktraditionen geschuldet. Es fehlen darüber bis heute auch Forschungen im deutschen Sprachraum, die sich mit den verschiedenen Facetten von Unterhaltungsangeboten beschäftigen, sie zusammenführen und in größere Zusammenhänge einbetten. Diese Behauptung stützt sich nicht nur auf die Kulturgeschichtsschreibung, sondern ist auch durch andere historische Ansätze wie etwa Studien zur Geschichte von Jugendkulturen zu belegen. Befunde wie die Feststellung, die 'Musikkultur der 80er Jahre erweist sich als allgemeinstes Mittel jugendlicher Selbstdarstellung' sind zwar eindeutig, aber es fehlen weitergehende historische Dimensionen. So sucht man etwa vergeblich nach Darstellungen jener Elemente, gegen die sich die erwähnten Formen von Selbstpräsentation wenden. Gleichzeitig fehlen Beschreibungen der konkreten musikalischen Inhalte, weil sich die Aufmerksamkeit der Autoren auf die Rezipientenseite beschränkt.

Deshalb befinden sich in diesem wissenschaftlichen Umfeld oft nur vage Bemerkungen zu den Programminhalten und zu den veränderten Erwartungshaltungen von Jugendlichen an Unterhaltungsangebote. So schreibt etwa Fischer-Kowalski: 'Wie aus der Geschichte der Popmusik hervorgeht, verbannten die meisten Radiosender die provokante, sexuelle, unkultivierte Musik für viele Jahre aus ihren Programmen; europäische Jugendliche mussten Radio Luxemburg einschalten, um überhaupt Rockmusik zu hören.' Diesen Gedanken erweitert Zinnecker, wenn er ausführt: 'In den Anfangsjahren jugendspezifischer Musik aus dem Kulturimport der USA war es für die Jugendlichen nicht leicht, sich Zugang dazu zu verschaffen.' Die Medien 'versuchten zunächst, den Einfluss der jugendkulturellen Musik und der entsprechenden Filme zu bremsen. [...] Der Geschäftssinn der Kulturindustrie - genauer: die Zwänge kapitalistischer Konkurrenz - halfen schließlich über anfängliche Bedenken hinweg, als die Nachfrage auf Jugendseite unübersehbar wurde.' Der über mehr als 150 Jahre alte negativ konnotierte Zusammenhang von Geld und Unterhaltung wird hier zwar weiter fortgeschrieben, es fehlen aber genauere Beschreibungen, wie sich die einzelnen Jugendkulturen entwickelten, von wem sie sich absetzten und wie sich ihre Unterhaltungsangebote herausbildeten und sich zu den bereits vorhandenen verhielten.