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Sportzuschauer

Bernd Strauß

 

Verlag Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2012

ISBN 9783840922626 , 246 Seiten

Format PDF, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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26,99 EUR


 

Eine kurze Kulturgeschichte der Sportzuschauer
Michael Krüger

Sport beinhaltet sowohl die eigene sportliche Aktivität als auch das Zuschauen beim Sport. Dies war im Prinzip schon immer so, aber in den verschiedenen historischen Epochen haben sich sowohl die aktiven als auch die passiven, konsumtiven Formen des Sporttreibens erheblich verändert. Nach knappen theoretischen Vorüberlegungen wird im Zeitraffer – von der Antike bis in die Gegenwart – dieses komplexe Verhältnis von Selbermachen und Zuschauen beschrieben und beleuchtet. Ein wichtiger Aspekt, der im Übrigen schon in der Frühzeit eine wichtige Rolle spielte, ist dabei die Vorbildwirkung, die vom aktiven Sport auf den Zuschauer erwartet oder erhofft wird. Im modernen olympischen Sport ist sie im 20. Jahrhundert zu einem pädagogischen Grundsatz erhoben worden.

1 Sport erleben – theoretische Vorbemerkungen

Der hohe Erlebniswert des Sports ist nicht nur ein wesentlicher Grund für die aktive Beteiligung am Sport, die seit dem Aufkommen und der Verbreitung des modernen Sports ständig zugenommen hat, wenn man den Statistiken Glauben schenken mag, sondern vor allem für das Zusehen und Konsumieren von Sport; angefangen beim direkten, unmittelbaren, authentischen Zuschauen, „Sport-Live“ sozusagen, bis hin zu den zahlreichen indirekten, vermittelten Formen des Sport-Erlebens über Zeitungen und andere Medien, heute auch das Internet. Auf dieses Merkmal postmoderner Kultur und Unterhaltung, in denen der Sport eine zentrale Rolle spielt, hat insbesondere Gerhard Schulze mit seinem Buch „Die Erlebnisgesellschaft“ (1992) hingewiesen. Über diese Medien kann das Sportereignis potenziert erlebt oder nacherlebt werden. Selbst wenn das erste Interesse an einem sportlichen Ereignis durch das Wissen über den Ausgang des Spiels oder eines Wettkampfs gelöst ist, bieten Presse, Funk, Fernsehen und Internet die Möglichkeit des gesteigerten Nacherlebens eines „Events“, das offensichtlich zusätzliche Erlebnisqualitäten bietet.

Viele Menschen wollen im Sport und beim Zusehen von sportlichen Wettkämpfen und Veranstaltungen etwas Aufregendes und Spannendes erleben. Warum gehen so viele Leute ins Stadion, wurde bekanntlich der legendäre Bundestrainer Sepp Herberger gefragt: „Weil se net wisse, wie’s ausgeht“, war seine lapidare Antwort. Das ist bestimmt richtig, aber auch nur die halbe Wahrheit, weil sich die Leute sogar immer noch für Sport interessieren, selbst wenn sie das Ergebnis schon kennen. Sie wollen die Spannung des offenen Ausgangs erleben, aber sie ergötzen sich auch an den „Dramen“, die sich im Sport abspielen und genießen die Leidenschaften, die sich in Spiel und Sport Bahn brechen; und dies selbst in medial aufbereiteten, häufig auch fiktiven und redundanten Formen. Im Sport können die Menschen, wie dies schon Aristoteles in seiner Theorie der antiken Tragödie geschrieben hatte, Helden siegen und verlieren, leben und auch sterben sehen; sei es, weil sie sich selbst und ihr Leben darin erkennen, oder auch, weil sie dort Spannungszustände und Abenteuer kennenlernen, denen sie sich nie selbst aussetzen würden, Leistungen bewundern können, zu denen sie nie fähig wären und Gefühle erleben, die in der Intensität, wie sie im Sport gespürt werden können, im normalen Leben nicht möglich sind.

Ob und inwiefern es tatsächlich zutrifft, dass Sportzuschauer wie im Theater eine „Katharsis“, eine Reinigung oder Läuterung, erfahren, wie dies Aristoteles behauptet hatte, sei dahin gestellt, fest steht jedoch, dass sportliche Schauspiele zu allen Zeiten von mehr oder weniger großen Massen von Zuschauern begeistert, mit viel Lust und Leidenschaft besucht werden.

Im Laufe der Geschichte haben sowohl Inhalte und Formen sportlich-athletischer Kämpfe und Wettkämpfe als auch die Kultur des Zusehens erhebliche Veränderungen erfahren, wie Allen Guttmann (1986) in seiner wegweisenden Geschichte der Sportzuschauer „Sports Spectators“ aufzeigte. Guttmanns Buch bildet daher eine wesentliche Grundlage dieses Beitrags. In den folgenden Ausführungen können, in annähernd chronologischer Ordnung, nur einige wenige und zugleich typische Elemente dieser Kulturgeschichte des Sportzuschauens behandelt werden. Sie stehen unter dem Leitgedanken des Soziologen und Historikers Norbert Elias, der in der Entwicklung des Sports den „Prozess der Zivilisation“ zu verdeutlichen versuchte und dabei die Sportzuschauer mit einbezog. Elias schreibt: „Die Kampfund Angriffslust findet z.B. einen gesellschaftlich erlaubten Ausdruck im sportlichen Wettkampf“, im „Prozess der Zivilisation“. „Und sie äußert sich vor allem im ‚Zusehen‘, etwa im Zusehen bei Boxkämpfen, in der tagtraumartigen Identifizierung mit einigen Wenigen, denen ein gemäßigter und genau geregelter Spielraum zur Entladung solcher Affekte gegeben wird. Und dieses Ausleben von Affekten im Zusehen oder selbst im bloßen Hören, etwa eines Radio-Berichts, ist ein besonders charakteristischer Zug der zivilisierten Gesellschaft. Er ist mitbestimmend für die Entwicklung von Buch und Theater, entscheidend für die Rolle des Kinos in unserer Welt.