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Maskenspiel - Der erste Katinka-Palfy-Krimi

Friederike Schmöe

 

Verlag Gmeiner-Verlag, 2009

ISBN 9783839231760 , 309 Seiten

5. Auflage

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

2. Der Auftrag


Am nächsten Morgen erreichte Katinka halbwegs ausgeschlafen ihr Büro in der Hasengasse mit dem unbestimmten Gefühl, dass etwas geschehen würde. Frühlingszeit war Aufbruchszeit. Auf dem Weg durch die Lange Straße war sie mehrmals zwischen all den frühlingshaft bunt gekleideten Leuten stecken geblieben. Kaum grüßte der Lenz, schlichen die Leute wie die Schnecken und blockierten die Fahrradwege. Beinahe wäre Katinka mit einem Neufundländerhund zusammengestoßen, dessen Besitzer irgendwas von Tierschutz grummelte. Katinka gab eins drauf, vermied den sehnsuchtsvollen Blick in den Optikerladen gegenüber, wo sie vor immerhin schon drei Jahren ihre jetzige Brille gekauft hatte, verdrängte den Gedanken an Kontaktlinsen, die sie sich nicht leisten konnte, nahm den Weg durch die Austraße und bog endlich in die Hasengasse ein.

Nachlässig lehnte sie ihr Rad an die Wand, schloss auf und drückte gegen die Tür. Täglich schleifte sie mit dem gleichen heimtückischen Geräusch über den Boden.

15 Quadratmeter, ein Schreibtisch, Telefon, 2 Besuchersessel, ein Bürostuhl, rückenfreundlich, ein großer Terminplaner an der Wand, ein Hochglanz-Dalí-Poster, ein Plakat über eine Ausstellung der Harry-Potter-Illustratorin Sabine Willharm in der Villa Dessauer, ein Ikea-Kleiderständer und das obligatorische Regal mit juristischen Nachschlagewerken empfingen sie in der Hasengasse 2a. Katinka warf ihre Jacke in den kleinen Nebenraum, wo sich neben einem Spülbecken, Wasserkocher, einem Geschirrschränkchen und dem Faxgerät auch der Ausgang zum gemeinschaftlichen Korridor befand, an dessen Ende die Toilette lag, ein Etagenklo, übrig geblieben aus alter Zeit. Sie checkte Anrufbeantworter und Fax, aber natürlich hatte niemand angerufen oder geschrieben. Routinemäßig kontrollierte sie das Waffenschränkchen, in dem sie ihre Beretta 9000 S aufbewahrte, setzte dann Wasser auf, um sich einen Tee zu kochen, und machte es sich so gut es ging auf dem Schreibtischstuhl bequem. Seit einigen Wochen schon quälte sie sich durch einen Wälzer über moderne psychologische Gesprächsverfahren in der Ermittlungsarbeit. Das Buch war ihr von ihrem ehemaligen Mentor Julius Liebitz empfohlen worden. Eigentlich schätzte sie seine Meinung. Doch während Katinka nun die Seiten umblätterte, hatte sie immer mehr den Eindruck, nutzlose und obendrein völlig belanglose Ratschläge zu bekommen, um die sie nicht gebeten hatte. Sie stand auf dem Standpunkt, durch Intuition mehr Geheimnisse aufspüren zu können als durch unterkühlte Analyse, aber Tom war da ganz anderer Meinung. Er vertrat die Auffassung, dass das emotionslose Zerlegen eines Problems sein Verständnis nur fördere. Die Wahrnehmung durch Intuition könne ja dann folgen. Katinka blickte auf die Überschrift von Kapitel 3: Pathologische Persönlichkeitsveränderungen. Schon spürte sie, wie sie am liebsten wegdämmern würde. Der typische Sachbucheffekt. Frustriert legte sie das Buch weg und goss sich Tee auf.

Das Telefon klingelte.

Katinka starrte den Apparat entsetzt an. Noch niemand hatte diese Nummer in den letzten Wochen und Monaten gewählt. Tom und ihre Bekannten erreichten sie über ihr Handy. Katinka stellte die Tasse ab und merkte, dass ihre Hand zitterte.

»Palfy, private Ermittlungen, grüß Gott?«

»Hauke von Recken. Tag, Frau Palfy. Sie kennen mich noch?«

»Herr von Recken!« Katinka musste schlucken. Klar, sie kannte ihn noch, wie könnte sie ihn vergessen, noch dazu bei diesem Namen!

»Das ist wirklich eine Überraschung«, ergänzte sie. Allerweltssatz, stichelte die Kontrollwespe.

»Das freut mich zu hören«, reagierte er sonor mit seinem stark westdeutsch geprägten Akzent. »Wie geht es Ihnen?«

Katinka zögerte. Ihr ehemaliger Archäologieprofessor war ihr immer der sympathischste unter den Dozenten gewesen. Unprätentiös und weitgehend frei von Dünkel, was ihn deutlich von seinen akademischen Mitstreitern unterschied. Er hatte ihr nach dem Examen angeboten, zu promovieren, aber sie hatte nach einigen Nächten des Nachdenkens abgelehnt.

»Danke. Sehr gut. Und Ihnen?«

Sie hoffte, er würde ihrer Stimme die Irritation nicht anhören. Vielleicht sollte ich doch noch promovieren, überlegte sie, denn Zeit habe ich bei meiner momentanen Auftragslage ja mehr als genug.

»Auch gut. Aber tauschen wir keine Höflichkeiten aus. Sie kennen meine Einstellung: Es ist schade, dass Sie die Universität verlassen haben!«

»Ich nehme das als Kompliment«, erwiderte Katinka, die sich allmählich fasste. »Aber sicherlich rufen Sie nicht an, um mir meine Einstellung zur Welt des Elfenbeinturms unter die Nase zu reiben?«

Hauke von Recken lachte. Es war dieses unterschwellige, amüsierte Lachen, das er gerne und häufig zu Gehör brachte, und das Katinka, wie sie nun feststellte, richtig vermisst hatte.

»Selbstverständlich nicht. Wie sollte ich Sie jemals umstimmen? Sie sind ja hartnäckig wie ein gut durchgebratenes Steak.«

Auch seine Ausdrucksweisen hatte Katinka immer sehr witzig gefunden. Im Augenblick hatte sie allerdings den Eindruck, dass er in seiner versucht scherzhaften Selbstdarstellung übertrieb. Es konnte allerdings auch daran liegen, dass sie den Unijargon einfach nicht mehr gewohnt war.

»Nein, im Ernst, Frau Palfy«, machte er weiter. »Ich rufe Sie an in Ihrer neuen Eigenschaft als … Detektivin.« Er ließ sich das Wort auf der Zunge zergehen.

»Tatsächlich?« Katinka hielt den Atem an. In ihrer Fantasie sah sie schon ein paar Dozenten mit Messern im Rücken vor Hauke von Reckens Bürotür liegen. »Worum geht es denn?«

»An der Uni gibt es Probleme«, sagte der Archäologieprofessor. Katinka konnte förmlich vor sich sehen, wie er beim Telefonieren die Rundung seiner Fingernägel kontrollierte. »Nicht bei mir am Lehrstuhl, überhaupt nicht bei uns oder den Historikern … na ja, Sie kennen ja unsere kleine Welt.« Er pausierte gekonnt und steigerte Katinkas Spannung ins Unermessliche.

»Jedenfalls, ein Kollege von mir, Romanist, hat Schwierigkeiten an seinem Lehrstuhl. Es geschehen eigenartige Dinge dort.«

Katinka zog ihr Notizbuch zu sich heran und angelte einen Bleistift aus dem Gurkenglas mit Schreibutensilien.

»Welcher Lehrstuhl?«, fragte sie.

»Ich höre, Sie beißen an. Erinnern Sie sich? Bei den Ausgrabungspraktika? Ich musste nur eine ungefähre Beschreibung des Projektes abgeben, und schon waren Sie Feuer und Flamme.«

»Welcher Lehrstuhl?«, wiederholte Katinka. »Romanisten gibt es doch mehrere an der Uni, oder?«

»In der Tat«, antwortete Hauke von Recken. Er schien zu spüren, dass Katinka auf Plaudereien zu ihrer studentischen Vergangenheit keinen größeren Wert legte.

»Professor Doktor Milo Laubach«, sagte er, und Katinka schrieb sich den Namen rasch auf. »Er ist Linguist, hat für die Zauberfee der Literatur also wenig übrig. Milo ist eine sehr bekannte Figur unter den romanistischen Philologen dieser Welt. Er ist geschätzter Herausgeber einflussreicher Publikationen, Sie wissen schon. Kennen Sie ihn?«

»Noch nicht«, gab Katinka zurück. All diese Lobpreisungen waren ihr sofort suspekt. »Was genau sind die Probleme?«

»An seinem Lehrstuhl verschwinden Sachen«, sagte Professor von Recken. Katinka ließ enttäuscht den Bleistift sinken.

»Es verschwinden Sachen?«

»Ja, nicht Radiergummis oder die Kaffeekasse, sondern richtig wichtige Dinge. Datenbestände auf den Computern werden gelöscht, Disketten gestohlen, CDs unbrauchbar gemacht. Niemand kann sich vorstellen, wer dahinter steckt, und meinem Kollegen fehlt, wie soll ich sagen, ein wenig der Überblick«

»In welcher Hinsicht?«

»Er hat etliche Mitarbeiter«, sagte Hauke von Recken und räusperte sich. »Ich will das jetzt nicht kommentieren, aber Milo hat es offensichtlich geschafft, trotz Sparzwängen auf einige Fetttröge zuzugreifen. Er hat zwei Assistentenstellen, eine Vollzeitsekretärin, Projektmitarbeiter, Tutoren, studentische Hilfskräfte … alles, was wir anderen uns wünschen, aber nie bekommen.«

Katinka stöhnte im Stillen. Hier flammte sie wieder auf, die Akademikerneurose, Nervenplage ihrer Studienzeit. Subtile Anschuldigungen, Missgunst, Neid. Immer schwang in der Kritik, die vermeintlich auf die sachliche Ebene bezogen schien, persönliche Animosität mit und die Feststellung, selber der Beste zu sein, besser als alle anderen, wenn diese große Wahrheit auch noch nicht die Welt ausreichend zu durchdringen vermocht hatte.

»Professor Laubach hat seine eigenen Mitarbeiter im Verdacht, kommt aber nicht dahinter, wer Disketten stiehlt, ist das korrekt?«

»So habe ich es auch verstanden. Na ja, kürzlich tagte der Promotionsausschuss, dem ich als Vorsitzender angehöre.« Von Recken machte eine Kunstpause, um Katinkas Lob bezüglich seiner zahlreichen Aktivitäten einzusammeln, aber es kam nichts. Also fuhr er fort: »Laubach erzählte mir bei einem Kaffee, was sich bei ihm am Lehrstuhl tut. Er hat seine Räume ja auch so weit ab vom Schuss, an der Weide, gleich bei der Konzerthalle. Weit genug entfernt, um den guten Milo und seine Mannschaft nicht allzu oft zu Gesicht zu bekommen.«

»Ist dies ein Auftrag an mich?«

»Brauchen Sie einen?«, kam es zurück.

Katinka legte den Bleistift weg und zählte bis zehn, ehe sie antwortete. Mit einem Mal konnte sie nicht mehr verstehen, dass sie von Recken einmal besonders sympathisch gefunden...