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Killerspiele - Palinskis fünfter Fall

Pierre Emme

 

Verlag Gmeiner-Verlag, 2007

ISBN 9783839233023 , 256 Seiten

8. Auflage

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

2


Donnerstag, 24. Oktober

Als Wiegele kurz nach 8 Uhr sein Büro betrat, lagen die ersten Ergebnisse der Spurensicherung im Fall ›Walter Webernitz‹ bereits auf seinem Schreibtisch. Das war gute Arbeit der Kollegen aus Konstanz gewesen. Gott sei Dank beschränkten sich die Vorbehalte der Polizeidirektion gegen seine Person auf die oberen Etagen, die Kooperation mit der Kriminaltechnik klappte dagegen in aller Regel gut.

Da hatte ein böser Mensch wieder einmal klüger sein wollen als die Polizei, dachte der Hauptkommissar, nachdem er den Bericht gelesen hatte. Aber selbst die klügsten Verbrecher machten immer wieder dumme Fehler. Zum Glück, denn damit lieferten sich die Trottel schließlich selbst der irdischen Gerechtigkeit aus. So auch hier.

Der von den Experten als umgedrehter, hölzerner Schirmständer erkannte Hocker, auf dem der angebliche Selbstmörder dem ersten Anschein nach gestanden haben musste, war vor oder nach der Tat abgewischt worden. Sämtliche Fingerabdrücke, die sich auf so einem Ding mit der Zeit nun einmal ansammelten, waren dadurch beseitigt worden. Selbst wenn die Putzfrau den Ständer am selben Tag auf Hochglanz poliert hätte, hätten sich zumindest die Abdrücke von Walter Webernitz darauf finden müssen. Irgendwie musste das Stück ja ins Badezimmer gekommen sein.

Die einzigen beiden Abdrücke, die am oberen Rand gefunden worden waren, gehörten aber nicht dem Toten, sondern jemand anderem: mit Sicherheit dem Mörder oder einem seiner Komplizen.

Jetzt stand also fest, dass der Herr Konsul sich nicht freiwillig und vor allem auch nicht selbst in eine bessere Welt befördert hatte. Leider hatten die Kollegen keine Antwort auf die Frage nach dem Täter im Zentralcomputer gefunden, die Abdrücke aber an Europol und Interpol weitergeleitet.

Der Bericht enthielt noch einen zweiten eindeutigen Beweis dafür, dass hier ein Mord vorlag. Wie der besonders penible Experte im Labor in Konstanz nachgerechnet hatte, hätte der ›Selbstmörder‹ auf einem mindestens 60 Zentimeter hohen Hocker stehen müssen, um sich die Schlinge um den Hals legen zu können. Der umgedrehte Schirmständer wies aber lediglich eine Höhe von knapp 45 Zentimetern auf.

Da hätte Walter Webernitz schon 15 Zentimeter hoch und dann nach vorne in die Schlinge hineinspringen müssen, dachte Wiegele sarkastisch. Und das wäre wohl ein Fall für das Guinness-Buch der Rekorde gewesen.

Wiegele griff zum Telefon und wählte die Nummer von Dr. Bittner. Nachdem der Anwalt gehört hatte, dass sein Verdacht durch die Fakten bestätigt worden war, erklärte er sich sofort bereit, der Polizei auch ohne richterlichen Befehl Einsicht in das bei ihm hinterlegte Testament zu gewähren. Die beiden Männer vereinbarten einen Termin für den frühen Nachmittag.

Wiegele musste sich um Verstärkung kümmern. Selbst bei größtem Optimismus würde Just nicht vor drei Monaten wieder zum Dienst erscheinen können. Dabei benötigte er außer einem Ersatz für seinen verunglückten, wahrscheinlich sogar einem Mordversuch zum Opfer gefallenen Kollegen noch mindestens zwei weitere, erfahrene Kriminalisten, um beide Fälle mit der erforderlichen Sorgfalt zu verfolgen. Der Mord an Webernitz bedeutete eine echte Herausforderung. Den Anschlag auf Vondermatten nahm er persönlich, seine Verfolgung und möglichst rasche Aufklärung war ihm daher eine persönliche Herzensangelegenheit.

Dann war da auch noch die Sache mit dem ›Narbengesicht‹. Und die mit dem hiesigen Nest der Sippschaft, dem diese miese Type angehörte. Wiegele war sich absolut sicher, dass zumindest der Unfall seines Kollegen damit zu tun haben musste. Wahrscheinlich war Vondermatten dem Mob bereits zu nahe gekommen und musste daher aus dem Verkehr gezogen werden.

Also, es gab jede Menge Arbeit in der nächsten Woche.

Nach zwanzig Minuten intensiven Diskutierens gelang es Wiegele schließlich, Konstanz zu einer vorerst auf drei Tage befristeten Abstellung einer 25-jährigen Kommissaranwärterin bewegen zu können. Helga Martens würde sich gegen Mittag in der Dienststelle Singen melden.

*

Bereits am frühen Morgen hatte die Polizei das Wrack von Vondermattens Golf aus der Schlucht bergen und es zum Technischen Dienst in Freiburg bringen lassen.

Oberwachtmeister Frank Mendel, der seit dem Gespräch mit Wiegele ein persönliches Interesse an dem Fall entwickelt hatte, war selbst noch einmal den Hang am Unfallort hinab geklettert und hatte sich gründlich umgesehen. Aufmerksam hatte er auch das dichte Gestrüpp um den Platz, an dem Vondermatten gefunden worden war, abgesucht. Dennoch war es ein riesiges Glück gewesen, dass die wenigen Strahlen der Sonne gerade in diesem Moment von dem silberfarbenen Gehäuse des kleinen Diktafons reflektiert worden waren, das sich in den dichten Verästelungen eines mittelgroßen Busches verfangen hatte. Vorsichtig hatte er das Gerät aus seiner willkürlichen Halterung gelöst, wobei er peinlich darauf geachtet hatte, eventuell vorhandene Fingerabdrücke nicht zu zerstören. Dann hatte er seinen Fund in ein sauberes Taschentuch gewickelt und eingesteckt.

Der erste, oberflächliche Befund des Kfz-Experten ergab, dass keine technischen Mängel für den Unfall verantwortlich gewesen sein dürften. Es gab auch keinerlei Hinweise darauf, dass Vondermattens Wagen von einem anderen Fahrzeug berührt, dadurch möglicherweise aus der Spur gebracht und von der Fahrbahn gedrängt worden war.

Wie eine Bombe schlug dann allerdings die Meldung der Spurensicherung eine halbe Stunde später ein. In dem völlig deformierten Tankdeckel war etwa drei Zentimeter neben dem Schloss eine Öffnung von der Größe eines 10-Cent-Stücks entdeckt worden. Eine Öffnung, die wie ein Einschussloch aussah.

Da hatte wohl jemand absolut sicher sein wollen, dass das Wrack des abgestürzten Wagens auch wirklich zu brennen beginnen und dass das, was vom Lenker, vom potenziellen Zeugen, noch übrig wäre, von den Flammen beseitigt würde, ging es dem entsetzten Mendel durch den Kopf. So komisch das klingen mochte, aber unter den gegebenen Umständen hatte der Kollege aus Singen wirklich noch Glück gehabt.

Mendels erster Impuls auf diese Erkenntnis war, Wiegele sofort von dieser und den übrigen Entwicklungen des Vormittags zu informieren. Als er aber gerade den verantwortlichen Hauptkommissar um seine Zustimmung bitten wollte, befand sich dieser bereits im Gespräch mit seinem zwischenzeitlich aus Singen eingetroffenen Kollegen.

*

Als Wiegele kurz vor 14 Uhr wieder in sein Büro zurückkam, wartete Kommissaranwärterin Helga Martens bereits auf ihn. Der Hauptkommissar hieß die hoch gewachsene junge Frau herzlich willkommen und dankte für ihre Bereitschaft, ihn so kurzfristig unterstützen zu wollen.

»Leider haben wir jetzt überhaupt keine Zeit, Sie mit der gebotenen Präzision und Sorgfalt in die beiden Fälle einzuführen, mit denen wir es hier zu tun haben«, bedauerte er. »Am besten, Sie kommen jetzt einfach mit zu meiner Besprechung mit Rechtsanwalt Dr. Bittner. Dabei werden Sie gleich die Hälfte dessen erfahren, was Sie unbedingt wissen müssen. Den Rest erzähle ich Ihnen nachher. Ist das in Ordnung für Sie?«

Helga Martens nickte nur stumm, was sonst hätte sie auch tun sollen? Dr. Bittner hatte erfreulicherweise Kaffee und Kuchen vorbereitet, was den beiden Polizisten nur allzu recht war, hatten beide doch seit dem Frühstück nichts mehr gegessen.

Nachdem das peinliche Knurren, das Wiegeles Magen bei der Begrüßung produziert hatte, vorüber und der erste Hunger gestillt war, informierte der Hauptkommissar den Anwalt über den aktuellen Stand.

»Was ich Ihnen jetzt anvertraue, Herr Dr. Bittner, ist Teil einer laufenden Untersuchung und unterliegt daher der Amtsverschwiegenheit. Ich kann es aber verantworten, Ihnen als Organ der Rechtspflege gewisse Informationen zu geben, die Sie benötigen, um uns in der Sache weiterzuhelfen«, eröffnete Wiegele das Gespräch. »Auf den streng vertraulichen Charakter dieser Informationen muss ich Sie ja nicht ausdrücklich hinweisen?«

Der Anwalt bestätigte dies mit einem kurzen Kopfnicken, und Wiegele legte los.

Zunächst informierte er Bittner über das ›Narbengesicht‹ und dessen Observierung sowie über das Schicksal seines jungen Kollegen, »weil ich absolut der Meinung bin, dass der Versuch, Vondermatten aus dem Weg zu räumen und der inzwischen zweifelsfrei als Mord anerkannte Tod Walter Webernitz’ ursächlich zusammenhängen«. Nach Anerkennung heischend blickte sich der Hauptkommissar in der kleinen Runde um. »So viel Zufall an einem Ort wie diesem ist mindestens einer zu viel«, ergänzte er in einer philosophisch etwas verunglückt klingenden Schlussfolgerung.

»Leider kann uns Just ja noch nicht selbst erzählen, was eigentlich vorgefallen ist. Dem Umstand, dass der Akku seines Handys leer war, verdanken wir aber neben dem Kennzeichen des verfolgten Wagens auch einen ausgezeichneten Situationsbericht auf Diktafon.«

Vondermatten hatte in seinen diktierten Notizen die Vermutung geäußert, dass der observierte Mann mit der Narbe im Gesicht zu einer Adresse in oder in der Nähe von Beuren am Ried unterwegs gewesen war. Wahrscheinlich war Vondermatten dann doch entdeckt und in der Folge quer durch die Landschaft gelockt worden, hatte er selbstkritisch angemerkt.

Auf einer kurvigen Nebenstraße hatte dann plötzlich – trotz des schönen Wetters für diese Jahreszeit eher ungewöhnlich – ein Cabrio mit offenem Dach und einem jungen Paar von hinten auf seinen Golf aufgeschlossen. Die neben dem Fahrer sitzende junge Frau war, soweit erkennbar, mit...