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Superhero

Anthony McCarten

 

Verlag Diogenes, 2012

ISBN 9783257602029 , 304 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

9,99 EUR


 

[149] Innen. Onkologie / Krankenhaus. Tag.

Für Donald ist es ein gräßlicher Tag, einer von denen, wo man sich wie ein ausgestopftes Tier fühlt, den allerletzten Gedanken vor dem tödlichen Treffer für immer aufs Gesicht gebannt. Ein halbfertiger Gedanke und ein Gesicht wie eine Jagdtrophäe, festgehalten für alle Zeiten.

ADRIAN: Gibt es etwas, worüber du reden möchtest?

DONALD: Ich schaffe es nicht.

ADRIAN: Das steht doch noch gar nicht fest.

DONALD: Ich schaffe es nicht.

ADRIAN (nachdem er ihn eine Zeitlang angesehen und vergebens gewartet hat, daß er weiterspricht): Was genau willst du damit sagen?

DONALD: Ich mach den Abgang, bevor es richtig losgeht. (Schüttelt den Kopf beim Gedanken an diese himmelschreiende Ungerechtigkeit.) Und wissen Sie, was das schlimmste ist? Das allerschlimmste? Ich sterbe als beknackte Jungfrau. Scheißspiel.

ADRIAN: Du solltest versuchen, den Sex nicht so sehr in den Mittelpunkt zu stellen.

DONALD: Mann, Scheiße. Ich bin vierzehn. Da steht Sex nun mal im Mittelpunkt.

ADRIAN: Gut. Ich weiß. Ich erinnere mich noch, wie das [150] war. Jungs wie du… ihr kriegt ja schon einen Ständer, wenn ihr nur eine Ritze im Pflaster seht.

Donald mustert Adrian mit einer gewissen Hochachtung.

DONALD: Das gefällt mir. Woher haben Sie das? Von Oscar Wilde?

ADRIAN: Von der Wand im Klo.

DONALD: Gefällt mir trotzdem. Aber es stimmt nicht. Wenn ich eine Ritze im Pflaster sehe, kriege ich höchstens ’ne Halblatte.

Adrian lächelt.

DONALD: Können Sie mich jetzt bitte allein lassen? Ich will einfach nur allein sein.

Als Adrian weg ist, überprüft eine Schwester Donalds Chemo-Infusion und geht dann wieder.

Donald wälzt sich im Bett, findet eine weniger unbequeme Position (gar nicht so leicht) und beobachtet den Mann mit dem Luftröhrenschnitt, der heimlich ein paar Zigaretten ins Krankenhaus geschmuggelt hat, obwohl für ihn das die Wurzel allen Übels ist. Der Luftröhrenmann zündet sich eine Zigarette an und hält sie zum Inhalieren an sein – das kann doch nicht wahr sein! – an sein Halsloch, sein Halsloch! Echt kraß, steht in Donalds Denkblase. Das ist echt kraß.

In diesem Augenblick sieht der Luftröhrenmann zu ihm herüber und wirft ihm einen verzweifelten Blick zu – nicht die Spur von Triumph über den gelungenen Trick, nur das traurige Eingeständnis einer übermächtigen Sucht, selbst jetzt noch. Er wird es mit ins Grab nehmen, dieses Laster. Nicht zu ändern.

[151] Über dem Kopf des Mannes sieht Donald eine Blase, darin steht: »!*^X?*@!«

Der Luftröhrenmann hustet und keucht, die armselige Klappe geht auf und zu. Er kann nicht mehr und drückt die Kippe aus. Donald wendet sich angewidert ab.

Innen. Abteilung für Physiotherapie. Tag.

Als Adrian sein Studium aufnahm, wollte er den Menschen helfen. Das war es, was ihn antrieb. Er wollte nützlich sein. Jetzt, nach so vielen Jahren, fragt er sich, was er erreicht hat. In einer Pause zwischen Visiten und Terminen mit ambulanten Patienten steht er am Eingang zur Onkologie, und ihm geht durch den Kopf, wie befriedigend es wäre, wenn er eine Arbeit mit klaren Zielen und greifbaren Resultaten hätte, nicht diesen Beruf mit seinen nie eindeutigen Ergebnissen. Ein Monteur beispielsweise, der eine Waschmaschine repariert: Den Monteur muß man nicht sechs Monate lang einmal wöchentlich konsultieren, er repariert die Maschine, und damit Schluß. Aber Menschen sind keine Maschinen. Adrians Patienten, so unergründlich in ihrer Komplexität, verschwinden einfach aus seinem Blickfeld, wenn er mit ihnen fertig ist, landen entweder auf dem Friedhof oder kehren zurück in ihr normales Leben, und er hat kaum eine Vorstellung, wieviel er ihnen genützt hat. Wer weiß, vielleicht ist er ein Versager, der nicht mehr als ein paar Vergrößerungswerkzeuge anzubieten hat, mit denen seine Patienten ihre Verwirrung klarer und deutlicher erkennen können. Mehr ist die Psychologie nicht. Eine Wissenschaft der Vergrößerung. Das Problem ist… das Problem ist: Je besser das Teleskop, desto mehr Sterne sieht man.

[152] Adrian hält sich abseits und beobachtet Roy in einem Zimmer voller Patienten. Der Meister der guten Laune zieht alle Register und bringt die Alten, die Gebrechlichen, ja sogar die Widerborstigen dazu, mit einem Minibasketball auf einen Papierkorb zu zielen, den er sich vor den Bauch hält. Es dauert nicht lange, bis alle lachen; versteinerte Gesichtsmuskeln erwachen zum Leben, und sie finden zu sich selbst zurück. Roy ist ein Naturtalent. Er versucht nicht zu heilen. Er lacht einfach nur, lacht um des Lachens willen, als gebe es nichts Absurderes als jemanden, der das Leben ernst nimmt.

Adrian wendet sich unbemerkt ab und kehrt zurück in sein Sprechzimmer, wo er die Akte des nächsten Patienten studiert.

Innen. Eßzimmer der Delpes. Abend.

Ein festliches Abendessen. Die Delpes, Adrian und ein weiteres Ehepaar, Larry und Louise, alte Freunde der Delpes. Der Rotwein fließt in Strömen. Solche Abende bei Kerzenlicht, das ist ihr Milieu.

RENATA: Was fehlt ihr?

LARRY: Sie ist nicht glücklich. Stimmt’s, mein Schatz?

LOUISE: Nein, ich bin nicht glücklich. Andererseits – ich war noch nie glücklich, und deshalb… Es ist nicht Larrys Schuld.

LARRY (die Hand auf ihrer Schulter): Das hört man gern. Nicht meine Schuld.

Die anderen lächeln.

LOUISE: Es ist nur… sobald ich ein Problem löse, taucht sofort das nächste auf. Jedesmal.

[153] RENATA: Adrian, Sie sind der Psychologe. Wie kommt das?

ADRIAN: Na ja… (ironisches Lächeln) das Lösen von Problemen hat nichts mit Glücklichsein zu tun.

LARRY: Da hörst du es. Jetzt kommen wir der Sache schon näher.

JIM: Das Lösen von Problemen hat nichts mit Glücklichsein zu tun?

RENATA: Das müssen Sie erklären. Bitte. Bitte!

ADRIAN (lächelnd): Gut, also einfach ausgedrückt…

LARRY: Für mich bitte ganz einfach.

ADRIAN: …können wir nicht all unsere Sorgen gleichzeitig im Auge behalten. Unmöglich. Und das ist gut so. Unser Verstand konzentriert sich im Grunde immer auf eine einzige Sache. Die anderen Sorgen bleiben solange in Wartestellung, immer in der Reihenfolge der Dringlichkeit, so daß die größeren die kleineren verdecken. Die meiste Zeit wissen wir nicht einmal, daß es sie gibt, die weniger wichtigen Sorgen, bis wir die erste bewältigt haben. So funktioniert das. Man löst ein Problem und sieht sofort das nächste in der Reihe, löst das, und schon kommt wiederum das nächste ins Blickfeld. Wer lebt, hat Sorgen und Probleme. Leider ist diese Reihe endlos.

RENATA: Prost! Na toll. (Hebt ihr Glas.) Auf das Leiden ohne Ende!

Sie lachen und lassen die Gläser klingen. Larry und Louise, seit achtzehn Jahren verheiratet, eine Sandkastenfreundschaft. Jim und Renata, seit zwanzig Jahren zusammen. Aber keiner von den vieren ist in diesen Dingen bewandert. Adrian ist der einzige Profi, und auch der hat nur [154] ein Modell zu bieten, eins unter vielen denkbaren, eine Metapher, mit der sie weitermachen können.

LARRY: Moment – das heißt, ich sollte überhaupt nicht versuchen, Probleme zu lösen?

ADRIAN (lächelt): Nicht wenn Sie erwarten, daß Sie das glücklich macht; nein, dann nicht. Aber es gibt ja noch andere Gründe, Probleme zu lösen.

JIM: Meine Güte. Wie sind wir auf dieses Thema gekommen?

ADRIAN (läßt seinen Wein im Glase kreisen, setzt lässig die Aromen frei): Ich persönlich bleibe gern einer guten alten Sorge treu, denn das verhindert, daß ich an Schlimmeres denke. Aber reden wir nicht von meiner Frau.

Alle lachen. Alle außer Louise. Die arme Louise. Ihre Probleme werden ungelöst bleiben bis in alle Ewigkeit.

LOUISE: Sie haben Probleme mit Ihrer Frau?

ADRIAN: Das war ein Witz.

JIM (fröhlich): Und was macht Ihre schöne Frau?

ADRIAN: Die ist immer noch schön.

Innen. Küche der Delpes. Später.

Adrian und Jim unter vier Augen. Strauß-Walzer von nebenan. Gedämpfte Stimmen. Auch die Männer reden leise.

ADRIAN: Wir wissen nicht, wieviel Zeit uns bleibt. Es kann Wochen dauern, bevor er sich mir wirklich öffnet. Und wenn die Behandlung nicht so erfolgreich ist, wie wir uns alle erhoffen, dann… Wollen Sie wirklich, daß er so seine Zeit verbringt? Mit mir?

Das ist genau die Art von Unterhaltung, die Jim sich [155] wünscht. Er will die ungeschönte Wahrheit. Er braucht den Ansturm der Fakten, jetzt wo er anscheinend gezwungen ist, sich das Schlimmste auszumalen.

JIM: Adrian – ich möchte nicht, daß er mit soviel Wut im Bauch stirbt.

Adrian legt Jim die Hand auf die Schulter, ein fester Griff, er gibt ihm Halt – zwei Bergsteiger, und Jim hängt noch prekärer als er in der Steilwand.

JIM:...