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Small World

Martin Suter

 

Verlag Diogenes, 2012

ISBN 9783257600476 , 336 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

[5] 1

Als Konrad Lang zurückkam, stand alles in Flammen, außer dem Holz im Kamin.

Er wohnte in der Koch-Villa auf Korfu etwa vierzig Kilometer nördlich von Kerkira. Sie bestand aus einem verschachtelten Gebäudekomplex, der in Kaskaden aus Zimmern, Gärten, Terrassen und Pools zu einer sandigen Bucht abfiel. Ihr kleiner Strand war nur vom Meer aus zugänglich oder mit einer Art Drahtseilbahn, die durch alle Ebenen der Anlage führte.

Genaugenommen wohnte Konrad Lang nicht in der Villa, sondern im Pförtnerhäuschen, einem kalten, feuchten Maueranbau im Schatten des Pinienwäldchens, das die Einfahrt säumte. Konrad Lang war kein Gast der Villa, sondern so etwas wie ihr Verwalter. Gegen Kost, Unterkunft und eine Pauschale hatte er dafür zu sorgen, daß das Haus auf Abruf für Familienmitglieder und Gäste bereit war. Er hatte die Löhne der Angestellten auszuzahlen und die Rechnungen der Handwerker, die ständig mit Unterhaltsarbeiten beschäftigt waren. Das Salz und die Feuchtigkeit setzten dem Bauwerk zu.

Um die Landwirtschaft, etwas Oliven, Mandeln, Feigen, Orangen und eine kleine Schafherde, kümmerte sich der Pächter.

[6] Während der Wintermonate, die stürmisch, regnerisch und kühl waren, hatte Konrad praktisch nichts zu tun, außer einmal am Tag nach Kassiopi zu fahren und sich mit ein paar Leidensgenossen zu treffen, die den Winter ebenfalls auf der Insel verbrachten: einem alten englischen Antiquitätenhändler, der deutschen Besitzerin einer nicht mehr sehr aktuellen Boutique, einem betagten Maler aus Österreich und einem Westschweizer Paar, das ebenfalls auf eine Villa aufpaßte. Sie schwatzten in einem der wenigen Lokale, die außerhalb der Saison offen hatten, und tranken etwas, meistens zuviel.

Den Rest der Tage brachte er damit zu, sich vor der feuchten Kälte zu schützen, die bis auf die Knochen drang. Die Koch-Villa war, wie viele Ferienvillen auf Korfu, nicht für den Winter gebaut. Das Pförtnerhaus besaß nicht einmal einen Kamin, nur zwei Elektroheizungen, die er aber nicht gleichzeitig einschalten durfte. Sonst sprang die Sicherung heraus.

So kam es, daß er sich an besonders kalten Tagen und manchmal auch Nächten im Living des untersten Gästetrakts aufhielt. Ihm gefiel es dort, weil er sich an dessen Fensterfront wie ein Kapitän auf der Kommandobrücke eines Luxusliners vorkam: unter ihm ein türkisblauer Pool, vor ihm nichts als das gleichmütige Meer. Dazu kamen die Annehmlichkeiten des gut funktionierenden Kamins und des Telefons. Das Pförtnerhaus war ursprünglich das Personalhaus des untersten Gästetrakts gewesen, und er konnte Gespräche nach hier unten verlegen und so tun, als wäre er da, wo er hingehörte. Die Räume der Villa waren für Konrad nach Elvira Senns Weisungen tabu.

[7] Es war Februar. Ein stürmischer Ostwind hatte den ganzen Nachmittag die Palmen gezaust und graue Wolkenfetzen vor die Sonne getrieben. Konrad beschloß, sich mit ein paar Klavierkonzerten im untersten Gästesalon zu verkriechen. Er lud etwas Holz und einen Kanister Benzin auf die Drahtseilbahn und fuhr hinunter.

Das Benzin war nötig, um das Holz in Brand zu setzen. Er hatte vor zwei Wochen eine Ladung Mandelholz bestellt, das lange und heiß brannte, wenn es trocken war. Aber das, was man ihm geliefert hatte, war feucht. Es gab keine andere Methode, es in Brand zu setzen. Nicht sehr elegant, aber sehr wirksam. Konrad hatte es schon Dutzende Male so gemacht.

Er schichtete ein paar Scheite auf, übergoß sie mit Benzin und hielt ein Streichholz dran. Dann fuhr er in der Drahtseilbahn hinauf, um sich in seiner kleinen Küche zwei Flaschen Wein, eine halbvolle Flasche Ouzo, Oliven, Brot und Käse zu holen.

Auf dem Rückweg lief er dem Pächter über den Weg, der ihm eine Stelle an der Mauer zeigen wollte, wo der Salpeter den Verputz zerfressen hatte.

Als Konrad Lang wieder nach unten fuhr, kam ihm Rauch entgegen. Er schrieb das dem Wind zu, der von einem ungewöhnlichen Winkel vom Meer her in den Kamin blies, und machte sich keine Gedanken.

Aber als die Kabine im untersten Gästetrakt hielt, stand alles in Flammen außer dem Holz im Kamin. Es war eines jener Mißgeschicke, die einem passieren, wenn man in Gedanken ist: Er hatte die Scheite in den Kamin geschichtet, aber dann den Stoß neben dem Kamin in Brand gesetzt. Die [8] Flammen hatten während seiner Abwesenheit auf die indonesische Rattan-Sitzgruppe und von dort auf die Ikats an den Wänden übergegriffen.

Vielleicht wäre der Brand noch zu löschen gewesen, wenn nicht genau in dem Moment, als Konrad Lang die Kabine verlassen wollte, der offene Benzinkanister explodiert wäre. Konrad tat das einzig Vernünftige: Er drückte auf den obersten Knopf.

Während die Kabine langsam nach oben glitt, füllte sich der Schacht rasch mit beißendem Rauch. Zwischen der zweitobersten und der obersten Ebene fing sie an zu bocken, ruckte ein paarmal und hing dann fest.

Konrad Lang hielt sich seinen Pullover vor den Mund und schaute in den Rauch, der rasch immer schwärzer und undurchdringlicher wurde. In Panik hebelte er an der Kabinentür, brachte sie irgendwie auf, hielt den Atem an und krabbelte die Stufen neben der Trasse hinauf. Schon nach ein paar Metern erreichte er die oberste Ebene und rettete sich hustend und keuchend ins Freie.

Die Koch-Villa auf Korfu war kurz vor dem Brand von einer holländischen Innenarchitektin völlig neu eingerichtet worden. Sie war vollgestopft mit indonesischen und marokkanischen Antiquitäten, Textilien und Ethnokitsch. Das Zeug brannte wie Zunder.

Der Wind trieb die Flammen durch den Seilbahnschacht in die Wohnräume aller Etagen und von dort in die Schlafzimmer und Nebenräume.

Als die Feuerwehr kam, hatte das Feuer bereits vom Haus abgelassen und wurde vom Sturm über die Palmen und Bougainvilleen gegen den Pinienwald gejagt. Die Männer [9] beschränkten sich darauf, ein Übergreifen der Flammen auf die Pinien und die umliegenden Oliven zu verhindern. Es hatte wenig geregnet für die Jahreszeit.

Konrad verzog sich mit einer Flasche Ouzo ins Pförtnerhaus. Erst als die Königspinie vor dem Fenster in einem Flammenbündel explodierte, torkelte er hinaus und schaute von weitem zu, wie das Feuer das weiße Häuschen mit all seinen Habseligkeiten vernichtete.

Zwei Tage später war Schöller zur Stelle. Er ließ sich von Apostolos Ioannis, dem Leiter der griechischen Tochter von »Koch Ingeneering«, durch die Brandstätte führen und stocherte da und dort mit der Schuhspitze im verkohlten Schutt. Den Notizblock steckte er bald wieder weg. Die Villa war vollständig ausgebrannt.

Schöller war der persönliche Assistent von Elvira Senn. Ein dünner, akkurater Mann Mitte Fünfzig. Er besaß keinerlei offizielle Funktion im Unternehmen, seinen Namen suchte man vergebens im Handelsregister, aber er war Elviras verlängerter Arm und als solcher bis in die Konzernspitze gefürchtet.

Bisher hatte Konrad Lang seine Angst vor Schöller damit überspielt, daß er ihn mit der Herablassung des Höhergeborenen behandelte. Obwohl Schöller derjenige war, der die Weisungen erteilte, war es Konrad gelungen, sie entgegenzunehmen, als wären sie das Resultat vorangegangener vertraulicher Konsultationen mit Elvira. Auch wenn Schöller genau wußte, daß alle Kontakte zwischen Elvira Senn und Konrad Lang über ihn liefen, die Tatsache, daß die Grande Dame der Schweizer Hochfinanz für ihn immer wieder [10] Fäden zog, ihn sein Leben lang immer wieder irgendwo in ihrem weitverzweigten Imperium und ihrem internationalen Bekanntenkreis als Gesellschafter, Verwalter oder Mädchen für alles unterbrachte, nahm er dem hochnäsigen Alten persönlich übel. Nur weil dieser einen Teil seiner Jugend mit ihrem Stiefsohn Thomas Koch verbracht hatte, fühlte sie sich verpflichtet, ihn zwar auf Distanz aber doch immer irgendwie über Wasser zu halten.

Lang war eine der lästigsten Aufgaben in seinem Pflichtenheft. Schöller hoffte, der Brand würde ausreichen, um sie endlich ein für allemal abzuhaken.

Stundenlang hatte Konrad Lang starr im Widerschein der Flammen mitten im Tumult der Löschmannschaften gestanden. Nur wenn er einen Schluck aus der Flasche brauchte, bewegte er sich, oder wenn er den Kopf einzog, weil das Löschflugzeug tief über die Pinien dröhnte, um eine weitere Ladung Wasser abzuwerfen. Irgendwann kam der Pächter mit zwei Männern, die ihn zum Vorfall befragen wollten. Als sie merkten, daß Konrad Lang nicht vernehmungsfähig war, brachten sie ihn nach Kassiopi, wo er die Nacht in einer Polizeizelle verbrachte.

Am nächsten Morgen bei der Befragung konnte er sich nicht erklären, wie das Feuer entstanden war. Das war nicht einmal gelogen.

Die Erinnerungen an die Entstehung des Brandes tauchten erst im Laufe des Tages in kleinen Portionen wieder auf. Aber da hatte er schon empört jegliche Schuld von sich gewiesen und hielt diese Aussage verzweifelt aufrecht. Vielleicht wäre er damit durchgekommen, hätte der Pächter [11] nicht ausgesagt, er habe Konrad Lang an diesem Nachmittag mit einem Kanister Benzin auf dem Weg in den untersten Gästetrakt gesehen.

Lang wurde daraufhin bis zur Abklärung des Verdachtes auf vorsätzliche Brandstiftung ins Polizeihauptquartier in Kerkira gebracht. Dort befand er sich auch noch, als Schöller in seinem Zimmer im Corfu Hilton International den Ruß abduschte, sich umzog und ein Tonic aus der Minibar nahm.

Als Konrad Lang eine Stunde später aus seiner Zelle geholt und in das kahle Büro geführt wurde, in dem ihn Elviras Assistent mit einem Beamten erwartete,...