dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Abgebrüht

Dick Francis, Felix Francis

 

Verlag Diogenes, 2012

ISBN 9783257600063 , 432 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

10,99 EUR


 

[7] 1

Ich dachte, ich sterbe. Ich hatte keine Angst zu sterben, sondern so starke Bauchschmerzen, dass ich den Tod herbeiwünschte.

Es war nicht meine erste Lebensmittelvergiftung, aber diesmal hatte es mich besonders schlimm erwischt, mit quälenden Krämpfen und anhaltendem Würgen und Erbrechen. Fast den ganzen Freitagabend kniete ich schon in meinem Bad auf dem Boden, den Kopf in der Kloschüssel, so dass ich allen Ernstes befürchtete, die heftigen Krämpfe könnten meine Magenschleimhaut zerstören.

Zweimal kam ich auf die Idee, mich zum Telefon zu schleppen und Hilfe zu holen, mit dem Erfolg, dass ich mich nur wieder unter einem neuen Würgeanfall krümmte. Begriffen meine blöden Muskeln nicht, dass mein Magen schon seit einer Ewigkeit leer war? Warum ging diese Tortur immer noch weiter, obwohl mir gar nichts mehr hochkommen konnte?

Zwischen den Anfällen saß ich schwitzend auf dem Fußboden, lehnte mich gegen die Badewanne und versuchte mir zu erklären, wie es zu dieser Misere gekommen war.

Am Freitagabend war ich auf einem Galadiner im Eclipse-Zelt auf der Rennbahn von Newmarket gewesen. Als Vorspeise hatte ich ein Trio von kalt geräuchertem Fisch in einer [8] Knoblauch-Senf-Dill-Sauce verzehrt, als Hauptgang ein mit Süßkirschen gefülltes Hühnchenbrustfilet im Pancettamantel an einer Wildpilzsauce von Pfifferlingen und Trüffeln, serviert mit gerösteten Frühkartoffeln und gedämpften Zuckererbsen, und zum Dessert eine Crème brûlée. Ich kannte die Zutaten des Menüs genau. Denn ich war nicht etwa einer der geladenen Gäste gewesen, sondern der Küchenchef.

Als im dämmernden Morgen mein schwarzes Badezimmerfenster schließlich grau wurde, begann der straffe Knoten in meinem Bauch sich zu lösen, und das feuchtkalte, klebrige Gefühl auf meiner Haut ließ langsam nach.

Aber die Feuerprobe war noch nicht vorbei, denn jetzt wurden die in meinem Verdauungstrakt verbliebenen Reste mit Macht am anderen Ende ausgestoßen.

Zur gegebenen Zeit kroch ich die Treppe meines Cottage hinauf ins Bett und legte mich völlig erschöpft hin: ausgelaugt, dehydriert, aber lebendig. Der Uhr auf dem Nachttisch nach war es zehn nach sieben in der Früh, und um acht sollte ich wieder auf der Arbeit sein. Das hatte mir gerade noch gefehlt.

Ich lag da und redete mir ein, bald werde alles in Ordnung sein und auf fünf Minuten komme es nicht an. Ich nickte halb ein, doch das Klingeln des Telefons, das neben der Uhr auf dem Nachttisch stand, brachte mich voll zur Besinnung. Zwanzig nach sieben.

Wer klingelt mich denn um zwanzig nach sieben wach?, überlegte ich. Haut ab. Lasst mich schlafen.

Das Telefon verstummte. Schon besser.

Es klingelte wieder. Verdammt. Ich drehte mich auf die andere Seite und nahm den Hörer ab.

[9] »Ja«, meldete ich mich in einem Ton, aus dem die ganze Strapaze der Nacht klang.

»Max?«, sagte eine Männerstimme. »Bist du das?«

»Ganz und gar«, erwiderte ich in etwas normalerem Ton.

»War dir auch schlecht?«, fragte der Mann. Das betonte auch gab mir zu denken.

Ich fuhr aus dem Bett auf. »Ja«, sagte ich. »Dir etwa auch?«

»Furchtbar, was? Es ging allen so, mit denen ich gesprochen habe.« Carl Walsh war offiziell mein Stellvertreter. Tatsächlich führte er die Küche neuerdings genauso oft wie ich. Während ich am Abend zuvor von Tisch zu Tisch gegangen war, um mir den Applaus abzuholen, hatte Carl im Küchenzelt die Teller fertiggemacht und das Personal herumgebrüllt. Jetzt sah es aus, als gäbe es statt Applaus nur noch Vorwürfe.

»Mit wem hast du denn gesprochen?«, fragte ich.

»Julie, Richard, Ray und Jean«, antwortete er. »Sie alle haben mich angerufen und gesagt, dass sie heute nicht kommen. Und Martin, sagt Jean, ging es so schlecht, dass sie einen Krankenwagen rufen mussten und ihn ins Krankenhaus gebracht haben.«

Ich konnte es mir vorstellen.

»Was ist mit den Gästen?«, fragte ich. Carl hatte nur von meinem Personal gesprochen.

»Das weiß ich nicht, aber Jean sagte, als sie mit Martin ins Krankenhaus kam, wussten sie dort schon von der Vergiftung, wie sie es nannten, also kann er nicht der Einzige gewesen sein.«

O Gott! Am Abend vor dem 2000 Guineas Stakes [10] zweihundertfünfzig Gönner und Förderer der Rennwelt zu vergiften war nicht gerade die beste Geschäftsidee.

Ein Meisterkoch, der seine Gäste vergiftet? Der Empfang auf der Rennbahn war eine Ausnahme gewesen. Normalerweise arbeitete ich in meinem Restaurant, dem Hay Net, in der Ashley Road am Stadtrand von Newmarket: rund sechzig Mittagessen täglich von Montag bis Freitag, und jeden Abend bis zu hundert Abendessen. Die hatten wir zumindest in der vorigen Woche, vor der Vergiftung. »Wie viele von dem anderen Personal wohl was abgekriegt haben?«, sagte Carl und holte mich damit in die Gegenwart zurück. Mein Restaurant war am Abend geschlossen gewesen, da meine elf festen Mitarbeiter das Diner auf der Rennbahn besorgt hatten, zusammen mit etwa zwanzig Küchen- und Bedienungshilfen. Und während die geladenen Gäste sich die Reden anhörten, aß die Servicebrigade das gleiche Menü wie alle anderen.

»Für das Mittagessen auf der Rennbahn heute habe ich fünf Leute vorgesehen«, sagte ich. Bei dem Gedanken, den Lunch für vierzig Sponsorengäste zubereiten zu müssen, hob sich mir gleich wieder der Magen, und Schweiß trat mir auf die Stirn. Ich sollte ein Dreigangmenü für zwei verglaste Logen auf der Haupttribüne besorgen. Delafield Industries Inc., ein multinationaler Traktorhersteller aus Wisconsin, war der neue Sponsor des ersten klassischen Rennens der Saison, und sie hatten mir so viel Geld angeboten, dass ich nicht nein sagen konnte und ihre Gäste mit gedünstetem englischen Spargel in Butter, gefolgt von traditionell englischer Steak and Kidney Pie und einem Sommerpudding als Dessert zu verwöhnen gedachte. Fish and Chips mit Erbsenbrei [11] hatte ich ihnen zum Glück ausgeredet. MaryLou Fordham, die Marketingfrau des Unternehmens, die mich engagiert hatte, wollte den Gästen aus der »Heimat« in Wisconsin unbedingt das »wahre« England zeigen. Mein Einwand, dass Gänseleberpastete mit Brioche, gefolgt von Lachs à la meunière, dem Anlass gemäßer sein könnte, fiel auf taube Ohren.

»Ich sag’s Ihnen gleich«, hatte MaryLou erklärt. »Mit dem französischen Zeug haben wir nichts am Hut. Es sollen nur englische Speisen sein.« Ich hatte sarkastisch gefragt, ob ich denn auch warmes Bier statt guter französischer Weine servieren solle, doch sie hatte meinen kleinen Scherz nicht verstanden. Schließlich einigten wir uns auf australischen Weißen und kalifornischen Roten. Langweiliger konnte ein Menü kaum sein, aber sie zahlten, und zwar sehr gut. Traktoren und Mähdrescher von Delafield waren im Mittleren Westen der USA offenbar groß in Mode, und jetzt wollte die Firma den englischen Markt erobern. Jemand hatte ihnen gesagt, Suffolk sei der Präriegürtel des Königreichs, und schon waren sie hier. Dass das »Delafield Harvester 2000 Guineas« nicht eben toll klang, kümmerte sie kein bisschen. Wie es im Moment aussah, konnten sie froh sein, wenn sie überhaupt etwas zu essen bekamen.

»Ich hör mich um und melde mich noch mal«, sagte Carl.

»Okay«, antwortete ich. Er legte auf.

Mir war klar, dass ich aufstehen und in die Gänge kommen musste. Vierzig Portionen Rindfleischpastete mit Nieren kochten sich nicht von allein.

Ich döste immer noch auf dem Bett vor mich hin, als das Telefon erneut klingelte. Es war fünf vor acht.

[12] »Hallo«, sagte ich schläfrig.

»Spreche ich mit Max Moreton?«, fragte eine Frauenstimme.

»Ja«, erwiderte ich.

»Mein Name ist Angela Milne«, sagte die Frau steif. »Ich bin vom Gesundheitsamt Cambridgeshire.«

Prompt hatte sie meine ungeteilte Aufmerksamkeit.

»Wir haben Grund zu der Annahme«, fuhr sie fort, »dass es auf einem Empfang zu einer Massenvergiftung gekommen ist, bei dem Sie als Küchenchef fungiert haben. Trifft das zu?«

»Wer ist ›wir‹?«, fragte ich.

»Die Grafschaft Cambridgeshire«, sagte sie.

»Nun«, sagte ich, »ich habe gestern Abend ein Galadiner besorgt, aber von einer Massenvergiftung ist mir nichts bekannt, und wenn eine vorliegen sollte, möchte ich doch sehr bezweifeln, dass meine Küche dafür verantwortlich ist.«

»Mr. Moreton«, sagte sie, »ich darf Ihnen versichern, dass es zu einer Massenvergiftung gekommen ist. Vierundzwanzig Personen wurden über Nacht in der Addenbrooke-Klinik auf Lebensmittelvergiftung behandelt, und sieben davon hat man wegen starker Dehydrierung dortbehalten. Sie alle waren zu dem gleichen Abendessen geladen.«

»Oh.«

»Ja, oh«, sagte Ms. Milne. »Ich möchte, dass die zur Zubereitung der Speisen für den Empfang verwendete Küche augenblicklich geschlossen und zu Untersuchungszwecken versiegelt wird. Das Küchenzubehör und sämtliche verbliebenen Speisereste sind zur Untersuchung bereitzuhalten, und das Küchen- und Bedienungspersonal hat für eine eventuelle Befragung zur Verfügung zu stehen.«

[13] Das war vielleicht nicht so einfach, wie sie es sich vorstellte.

»Wie geht es den sieben Krankenhauspatienten?«, fragte ich.

»Ich habe keine Ahnung«, sagte sie. »Wäre aber jemand zu Tode gekommen, hätte man mich informiert.«

Keine Nachricht, gute Nachricht.

»Also, Mr. Moreton«, sie hörte sich an wie eine Oberlehrerin, die einen unartigen Schüler zurechtweist, »wo genau befindet sich die...