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Schwarze Diamanten - Der dritte Fall für Bruno, Chef de police

Martin Walker

 

Verlag Diogenes, 2012

ISBN 9783257601664 , 352 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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10,99 EUR


 

[7] 1

Es kam nicht oft vor, dass Bruno Courrèges seinen Job ungern tat, aber heute war so ein Tag. Am Wetter konnte es nicht liegen. Hohe dünne Wolken trieben über den spätherbstlichen Himmel, der trotzdem hartnäckig blau blieb. Trotz der frühen Morgenstunde schien die Sonne warm auf Brunos Gesicht und ließ die wenigen verbliebenen Blätter an den alten Eichen, die das Rugbyfeld einsäumten, golden leuchten. Sie wärmte die alten Mauern der Mairie auf der anderen Flussseite und die roten Ziegeldächer der Häuser am Hügel. Es war noch so mild, dass die Frauen die Fenster und die blaugestrichenen Fensterläden geöffnet hatten. Tupfer in Blau und Weiß, gestreift und geblümt, zierten das Bild des Städtchens, wo Bettwäsche auf den Balkonen gelüftet wurde – vielleicht zum letzten Mal in diesem Jahr. Auf dem Rasen hatte schon Reif gelegen, als Bruno vorhin mit seinem Hund die übliche Runde gegangen war, und am Wochenende hatte er im Supermarkt die ersten Weihnachtslieder gehört.

Bruno richtete seinen Blick auf eine kleine Schar von Demonstranten, die sich vor dem Tor des Sägewerks versammelt hatten. Der Schornstein rauchte nicht mehr, und die Gabelstapler, die dort sonst immer mit schweren Holzlasten [8] umherfuhren, parkten in der Garage. Noch hing der würzige Geruch frisch gesägten Holzes in der Luft, der sich aber schon bald verflüchtigen würde, denn der Betrieb der Sägemühle, des größten und ältesten Arbeitgebers von Saint-Denis, sollte heute eingestellt werden.

Bruno hatte zwei Wochen zuvor im Auftrag der Präfektur einen Stilllegungsbescheid zustellen müssen, mit dem ein Urteil gegen die Scierie Pons und ihren Besitzer wegen Verstoßes gegen Umweltauflagen vollstreckt wurde. Als dem einzigen Polizeibeamten der Stadt war Bruno die unangenehme Aufgabe zugefallen, eine Kopie des Beschlusses, wetterfest in Zellophan verpackt, an das Fabriktor zu heften. Nun musste er mitansehen, wie das Gesetz seinen Lauf nahm, und natürlich war es seine Pflicht, in dem seit Jahren währenden Streit zwischen den Grünen, die jetzt triumphierten, und dem Mann zu schlichten, den sie als »Dreckschleuder von Saint-Denis« bezeichneten.

»Pons raus, Pons raus«, skandierte die Gruppe im Chor, die von einem gut aussehenden Mann mit Megaphon angeführt wurde. Er trug eine teure Lederjacke mit weißem Seidenschal und hatte seine langen blonden Haare im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst. Am Revers seiner Jacke steckte ein großer Button der Grünen Partei. Die Transparente der Demonstranten erklärten den Grund der Schließung. Verantwortlich dafür waren nicht etwa wirtschaftliche Probleme, finanzielle Engpässe oder gar eine Verknappung von Rohstoffen, die die Waldgebiete der Dordogne seit Jahrhunderten in Fülle lieferten. Es lag auch nicht an mangelnder Nachfrage nach Eichen-, Kastanien-, Kiefern- und Fichtenholz. Vielmehr war bekanntgeworden, [9] dass Boniface Pons, der Erbe des seit vielen Generationen in Familienbesitz befindlichen Sägewerks, mit seinem Unternehmen in eine andere Gemeinde umziehen wollte, an einen Ort inmitten weiter Wälder und von nur rund zweihundert Wahlberechtigten bewohnt, wo er sich sicher sein konnte, nicht von all den Demonstrationen und endlosen Gerichtsverfahren behelligt zu werden, die ihn aus Saint-Denis vertrieben hatten.

»Endlich können unsere Kinder wieder atmen«, las Bruno auf einem der Transparente und verdrehte bei dieser Übertreibung die Augen. Er hatte auf dem nahe gelegenen Sportplatz zahllose Stunden Rugby gespielt und Dutzende von Trainingseinheiten durchgeführt, während der Schornstein rauchte, war aber nie wegen schlechter Luft in Atemnot geraten.

»Umwelt 1 – Pons 0« stand auf einem anderen Transparent, was, wie Bruno fand, der Wahrheit schon ein bisschen näher kam. Das Sägewerk hatte während der zehn Jahre, in denen Bruno als Polizist der Stadt seinen Dienst versah, zwei verschiedene Rauchfilteranlagen installiert, die aber beide, obwohl jeweils auf dem neuesten technologischen Stand, schon nach wenigen Jahren überholt waren, weil die Europäische Union in Brüssel immer wieder neue, schärfere Auflagen durchsetzte. Die jüngste Direktive, die für staub- und rauchemittierende Schornsteine einen Mindestabstand zu Wohngebieten vorschrieb, hatte Boniface Pons den Rest gegeben. Es sei nicht seine Schuld, hatte er gesagt, dass die Kommune von Saint-Denis wenige Jahre zuvor beschlossen habe, eine Sozialbausiedlung zu errichten, die bis auf zweiundvierzig Meter an den Zaun seiner Fabrik heranreichte. [10] Nach der neuesten Verordnung war der geforderte Mindestabstand nun um acht Meter unterschritten.

»Ich habe die Schnauze voll von diesem grünen Unsinn«, hatte Pons während der letzten, hitzig geführten Ratsdebatte geschimpft. »Wenn ihr die Jobs, die ich bereitstelle, und meine 200 000 Euro Steuern im Jahr nicht wollt, muss ich eben dahin gehen, wo meine Arbeitsplätze willkommen sind.«

Bruno hatte gehofft, die Betriebsschließung könnte ohne weiteren Ärger vonstatten gehen: dass Pons einfach seine Fabrik abschließen und Saint-Denis erhobenen Hauptes verlassen würde, während die écolos, die Umweltaktivisten der Stadt, ihren Triumph in aller Stille auskosteten. Was aber in den Cafés und an den Marktständen zu diesem Thema zu hören gewesen war, ließ anderes befürchten. Bruno hatte mit Bürgermeister Gérard Mangin darüber diskutiert, ob es ratsam wäre, die Gendarmerie zur Verstärkung hinzuzuziehen, aber in Anbetracht der tölpelhaften Art von Capitaine Duroc Abstand von dieser Idee genommen. Der Einsatz der Gendarmen wäre als Vorsichtsmaßnahme nur dann sinnvoll gewesen, wenn nicht Duroc, sondern sein Stellvertreter, der sehr viel besonnenere Sergeant Jules, das Kommando geführt hätte. Wie nun die Dinge standen, wussten der Bürgermeister und Bruno, dass sie sich nur auf sich selbst und das über viele Jahre erworbene Vertrauen ihrer Mitbürger verlassen konnten.

Es waren mehr Menschen zusammengekommen als erwartet, aus Neugier und vielleicht auch aus dem Gefühl heraus, dass eine Epoche zu Ende ging und die Holzindustrie, die über Jahrhunderte Saint-Denis am Leben erhalten hatte, [11] nun der Vergangenheit angehörte. In Kriegszeiten und während der Revolution, in Zeiten von Aufschwung und wirtschaftlichem Rückgang hatten die Bäume dieser Gegend immer dafür gesorgt, dass es genug Fässer für Wein und Boote für ihren Transport gab. Sie lieferten das Holz für Balken, Bohlen und Möbel in unzähligen französischen Haushalten, für die Pulte in Schulräumen und das Feuer in den Kaminen. Aus Walnussbäumen wurden Öl und Nahrungsmittel gewonnen, und die jungen grünen Früchte lieferten die Grundlage für den heimischen vin de noix.

Viele Leute konnten sich auch daran erinnern, dass die Kastanienbäume in den schweren Zeiten des Vichy-Regimes und der deutschen Besatzung mit ihren Früchten das Mehl für eine Art Brot geliefert hatten.

Bei der Schließung des Sägewerks ging es für die Einwohner von Saint-Denis deshalb um sehr viel mehr als nur um Arbeitsplätze. Das konnte Bruno nachempfinden, als er die Pensionäre vom Seniorenheim in kleinen Grüppchen die Straße entlangschlurfen sah. Die Älteste, Rosalie Prarial, wurde von Pater Sentout gestützt. Sie war die einzige Einwohnerin der Stadt, die noch behaupten konnte, 1918 den Ausmarsch junger Männer zu den letzten Kämpfen des Ersten Weltkriegs gesehen zu haben. Wie viele der anderen Pensionäre hatte Rosalie ihr Leben lang im Sägewerk gearbeitet, anfangs noch unter der Leitung von Boniface’ Großvater. Montsouris, das einzige kommunistische Ratsmitglied der Stadt, hatte sich als Lokführer offenbar einen freien Tag genommen. Er war in Begleitung seiner noch viel radikaleren Frau. Ihnen folgte eine Delegation der Handelskammer. Bruno runzelte erstaunt die Stirn. Es war schon ein seltenes [12] Ereignis, dass die Linken und die städtischen Kleinunternehmer für dieselbe Sache demonstrierten.

Die halbe Stadt schien sich versammelt zu haben, und Bruno befürchtete, dass die meisten von ihnen nicht glücklich über diesen Erfolg der Grünen sein würden. Aber er wusste auch, dass seine Mitbürger recht ausgeglichen und gesetzestreu waren. Während es bei ähnlichen Veranstaltungen durchaus zu gewaltsamen Unruhen kommen konnte, hatten sich seine Leute nicht in Kampflinien aufgestellt. Vielmehr bildeten sie kleinere und größere separate Gruppen. Ein bisschen wie auf einer Beerdigung, dachte Bruno, so, als würden sich die Trauergäste aus Respekt vor der Familie im Hintergrund halten.

Der Bürgermeister stand unter den Bäumen, die das Rugbyfeld eingrenzten, und schien bewusst Abstand zur Menschenmenge und zu den Toren des Sägewerks zu halten. Neben ihm stand der Baron, der größte Landbesitzer der Gegend und Brunos Tennispartner und Freund. Albert, der Chef der städtischen Feuerwehr, war ohne Uniform erschienen und rauchte Pfeife. Um die Ecke der Sozialbausiedlung kam ein Abschleppwagen angerumpelt. Lespinasse, der Besitzer der örtlichen Kfz-Werkstatt, kletterte heraus, gefolgt von seiner Schwester vom Blumenladen und seinem Cousin, der den tabac führte. Sie alle schüttelten dem Bürgermeister und seiner Gefolgschaft die Hand und winkten Bruno zu. Bald darauf war das unverkennbare Knattern eines älteren Citroën 2 CV zu hören, mit dem sich Pamela ankündigte, die Frau, mit der Bruno öfter das Bett teilte. Von vielen wurde sie immer noch »die verrückte Engländerin« genannt, sogar in Brunos Hörweite. Weil in Frankreich mittlerweile alle [13] ausländischen...