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Wiedersehen mit Babylon

F. Scott Fitzgerald

 

Verlag Diogenes, 2012

ISBN 9783257601428 , 672 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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11,99 EUR


 

[45] Die Hochzeitsparty

I

Es kam das übliche verlogene Briefchen, das besagte: »Ich wollte, dass du es als Erster erfährst.« Für Michael war es ein doppelter Schock, denn da wurden zugleich die Verlobung und die unmittelbar bevorstehende Heirat angekündigt; und die sollte obendrein nicht in New York stattfinden, taktvoll entfernt von ihm, sondern hier in Paris, genau vor seinen Augen oder zumindest fast, nämlich in der Protestant Episcopal Church of the Holy Trinity in der Avenue George V. Der Termin war in zwei Wochen, Anfang Juni.

Zuerst wurde Michael angst, und er fühlte eine Leere im Magen. Als er an diesem Morgen das Hotel verließ, spürte die femme de chambre, die in sein gutgeschnittenes Profil und in sein munteres Wesen verliebt war, sogleich, dass ihn etwas beschäftigte und bedrückte. Er ging wie betäubt zu seiner Bank, kaufte bei Smith in der Rue de Rivoli einen Detektivroman, betrachtete eine Weile bewegt ein ausgeblichenes Panorama der Schlachtfelder im Fenster eines Reisebüros und verfluchte einen griechischen Straßenhändler, der ihn mit einem halb vorgezeigten Päckchen harmloser Postkarten verfolgte, die angeblich sehr unanständig waren.

[46] Aber das Angstgefühl blieb, und nach einer Weile erkannte er darin die Angst, dass er nie wieder glücklich sein würde. Er hatte Caroline Dandy kennengelernt, als sie siebzehn war, hatte ihr junges Herz während ihrer ganzen ersten Ballsaison in New York besessen und es dann langsam auf tragische, sinnlose Weise verloren, weil er kein Geld besaß und nicht zu Geld kommen würde; weil er bei aller Anstrengung und allem guten Willen nicht zu sich selbst finden konnte; weil Caroline, die ihn immer noch liebte, kein Vertrauen mehr hatte und ihn allmählich als mitleiderregend, unfähig und heruntergekommen empfand, ausgeschlossen von dem großen glänzenden Lebensstrom, zu dem es sie unwiderstehlich hinzog.

Da er sich einzig und allein darauf stützen konnte, dass sie ihn liebte, suchte er darin seinen Halt; die Stütze zerbrach, dennoch klammerte er sich an sie, wurde aufs Meer hinausgetrieben und an die französische Küste geschwemmt, die Bruchstücke immer noch in seinen Händen. Er schleppte sie mit sich herum in Form von Fotos und gebündelten Briefen und der Schwäche für einen rührseligen Gassenhauer, der Among My Souvenirs hieß. Er hielt sich von anderen Frauen fern, als würde Caroline das irgendwie spüren und es aus treuem Herzen vergelten. Ihr Brief aber sagte ihm, dass er sie für immer verloren hatte.

Es war ein schöner Morgen. Vor den Läden in der Rue de Castiglione standen die Ladeninhaber und ihre Kunden auf dem Bürgersteig und blickten nach oben, denn der »Graf Zeppelin«, Symbol von Rettung und Zerstörung – von Rettung notfalls durch Zerstörung – schwebte silberglänzend und prächtig am Himmel von Paris. Michael [47] hörte eine Frau auf Französisch sagen, es würde sie nicht überraschen, wenn er jetzt Bomben fallen ließe. Dann hörte er eine andere Stimme, die von einem kehligen Lachen begleitet war, und die Leere in seinem Magen erstarrte. Er fuhr herum und stand Auge in Auge mit Caroline Dandy und ihrem Verlobten.

»Nein, Michael! Wir haben uns schon überlegt, wo du wohl steckst. Ich fragte beim Guaranty Trust an und bei Morgan & Co, und dann schickte ich eine Nachricht an die National City…«

Warum wichen sie nicht zurück und verschwanden? Warum gingen sie nicht einfach rückwärts die Rue de Castiglione hinunter, über die Rue de Rivoli, durch die Tuilerien, und immer weiter rückwärts, so schnell sie konnten, bis sie undeutlicher wurden und jenseits des Flusses verschwanden?

»Das ist Hamilton Rutherford, mein Verlobter.«

»Wir haben uns schon kennengelernt.«

»Bei Pat, nicht wahr?«

»Und voriges Frühjahr in der Bar vom Ritz.«

»Michael, wo haben Sie sich denn herumgetrieben?«

»Hier in der Gegend.« Was für eine Qual! Frühere Begegnungen mit Hamilton Rutherford blitzten vor ihm auf – eine rasche Folge von Bildern, Aussprüchen. Er erinnerte sich, gehört zu haben, dass Rutherford 1920 für ein Darlehen von hundertfünfundzwanzigtausend einen Landsitz gekauft und ihn unmittelbar vor dem Fälligkeitstermin für mehr als eine halbe Million verkauft hatte. Er war nicht so gutaussehend wie Michael, aber von anziehender Vitalität, selbstsicher, gebieterisch und für Caroline gerade richtig [48] groß – Michael war immer etwas zu klein für sie gewesen, wenn sie tanzten.

Rutherford sagte gerade: »Und ich fände es sehr nett, wenn Sie zu dem Junggesellenabschied kämen. Ich habe die Ritz-Bar dafür gemietet, von neun Uhr an. Und dann gleich nach der Hochzeit gibt es einen Empfang und Frühstück im Hotel George V

»Und, Michael, George Packman gibt übermorgen eine Party im Chez Victor, und ich möchte, dass du unbedingt kommst. Und auch am Freitag zum Tee bei Jebby West; sie würde dich bestimmt dabeihaben wollen, wenn sie wüsste, dass du hier bist. Welches ist dein Hotel, damit wir dir eine Einladung schicken können? Der Grund, weißt du, warum wir es hier machen, ist, weil Mutter hier in einer Privatklinik gepflegt wird, und der ganze Clan ist in Paris. Schließlich ist auch Hamiltons Mutter gerade hier…«

Der ganze Clan! Mit Ausnahme ihrer Mutter hatten diese Leute ihn immer gehasst, hatten sein Werben stets missbilligt. Was für eine kleine Münze war er doch in diesem Spiel um Familien und Geld! Unter seinem Hut schwitzte er vor Demütigung darüber, dass er bei all seinem Unglück noch so vieler Einladungen für wert befunden wurde. Halb von Sinnen murmelte er etwas von Abreisen.

Da geschah es – Caroline sah tief in ihn hinein, und Michael spürte das. Sie sah hindurch bis auf den Grund seiner tiefen Verletztheit, und etwas regte sich in ihr und erstarb in ihren Mundwinkeln und ihren Augen. Er hatte sie angerührt. Alle unvergesslichen Regungen der ersten Liebe stiegen noch einmal in ihr auf; ihre Herzen hatten sich über [49] zwei Fußbreit dieses sonnigen Pariser Morgens hinweg berührt. Sie nahm plötzlich den Arm ihres Verlobten, als müsse sie sich dadurch wieder einen Halt geben.

Sie verabschiedeten sich. Michael entfernte sich zügigen Schrittes; nach einer Minute blieb er unter dem Vorwand, ein Schaufenster zu betrachten, stehen und sah sie weiter oben in der Straße, wie sie schnell zur Place Vendôme gingen – Leute, die viel vorhatten.

Auch er hatte etwas vor – er musste seine Wäsche abholen.

›Nichts wird je wieder, wie es war‹, sagte er zu sich. ›Sie wird in ihrer Ehe niemals glücklich sein, und ich werde überhaupt nie mehr glücklich sein.‹

Die beiden lebhaften Jahre seiner Liebe zu Caroline bewegten sich rückläufig um ihn wie Jahre in Einsteins Physik. Quälende Erinnerungen stiegen in ihm auf – an Fahrten im Mondschein auf Long Island; an eine schöne Zeit am Lake Placid, als ihre Wangen so kalt waren, aber innerlich glühten; an einen hoffnungslosen Nachmittag in einem kleinen Café in der Forty-eighth Street in den letzten traurigen Monaten, als ihre Heirat schon unmöglich erschien.

»Herein«, sagte er laut.

Es war die Concierge mit einem Telegramm. Sie war unfreundlich, weil Mr. Curlys Anzüge ziemlich abgetragen waren, weil Mr. Curly wenig Trinkgeld gab und weil er ganz offensichtlich nur ein petit client war.

Michael las das Telegramm.

»Eine Antwort?«, fragte die Concierge.

»Nein«, sagte Michael, und dann aus einem plötzlichen Impuls: »Hier, lesen Sie.«

[50] »Sehr bedauerlich«, sagte die Concierge. »Ihr Großvater ist gestorben.«

»Nicht allzu bedauerlich«, sagte Michael. »Es bedeutet, dass ich eine Viertelmillion Dollar erbe.«

Einen einzigen Monat zu spät; nach der ersten Aufregung über die Nachricht fühlte er sich unglücklicher denn je. Wach im Bett liegend, hörte er in dieser Nacht endlos die lange Karawane eines Zirkus durch die Straßen fahren, von einem Pariser Rummelplatz zum anderen.

Als der letzte Zirkuswagen außer Hörweite gerumpelt war und die Winkel des Zimmers sich mit der Morgendämmerung pastellblau lichteten, dachte er immer noch an den Ausdruck in Carolines Augen – ein Blick, der zu sagen schien: »Oh, warum hast du nicht etwas tun können? Warum konntest du dich nicht als stärker erweisen, mich dazu bringen, dich zu heiraten? Siehst du nicht, wie unglücklich ich bin?«

Michael ballte die Fäuste.

»Ich darf jetzt noch nicht aufgeben«, flüsterte er. »Ich hatte bis jetzt alles erdenkliche Pech, und vielleicht wendet sich am Ende das Blatt noch. Man nimmt, was man kriegen kann, soweit man die Kraft dazu hat, und wenn ich Caroline nicht haben kann, so wird sie wenigstens etwas von mir im Herzen tragen, wenn sie in diese Ehe geht.«

[51] II

Und so ging er zwei Tage später zu der Party im Chez Victor, oben in den kleinen Salon neben der Bar, wo man sich zum Cocktail versammeln sollte. Er war früh dran; außer ihm war nur noch ein großer magerer Mann von etwa fünfzig Jahren da. Sie kamen ins Gespräch.

»Sind Sie auch wegen George Packmans Party hier?«

»Ja. Mein Name ist Michael Curly.«

»Mein Name ist…«

Michael hatte den Namen nicht richtig mitbekommen. Sie bestellten einen Drink, und Michael gab der Vermutung Ausdruck, dass Braut und Bräutigam sich dieser Tage wohl bestens amüsierten.

»Viel zu sehr«, meinte der andere stirnrunzelnd. »Ich weiß...