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Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

John Irving

 

Verlag Diogenes, 2012

ISBN 9783257601329 , 752 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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11,99 EUR


 

[9] 1

Joghurt und jede Menge Wasser

Ihr Gynäkologe hat ihn mir empfohlen. Wie könnte es anders sein: Der beste Urologe in New York ist ein Franzose. Dr. Jean-Claude Vigneron: NUR NACH VEREINBARUNG. Also vereinbarte ich einen Termin. »Gefällt Ihnen New York besser als Paris?« fragte ich ihn.

»In Paris war es mir nicht zu gefährlich, ein Auto zu besitzen.«

»Mein Vater ist auch Urologe.«

»Dann kann er nur ein zweitklassiger sein«, antwortete Vigneron, »wenn er nicht weiß, was Ihnen fehlt.«

»Es ist unspezifisch«, erwiderte ich. Ich kannte meine Krankengeschichte sehr gut. »Manchmal ist es unspezifische Urethritis, einmal war es unspezifische Prostatitis. Einmal hatte ich Tripper – aber das ist eine andere Geschichte. Und noch ein anderes Mal war es ein einfacher Bazillus. Aber jedes Mal: unspezifisch.«

»Also mir sieht das sehr spezifisch aus«, meinte Vigneron.

»Nein«, sagte ich, »manchmal reagiert es auf Penizillin, manchmal krieg ich es mit Sulfonamid weg. Oder auch mit Furadantin.«

»Na also, da haben Sie es!« erwiderte er. »Urethritis und Prostatitis sprechen nicht auf Furadantin an.«

»Na also«, sagte ich, »da haben Sie es! Das war halt was anderes. Unspezifisch.«

»Spezifisch.« Vigneron war beharrlich. »Etwas viel Spezifischeres als den Urogenitaltrakt gibt’s doch kaum.«

Er zeigte es mir. Auf der Untersuchungsliege bemühte ich mich, ganz ruhig zu sein. Er gab mir eine vollendete Plastikbrust, eine schönere hatte ich noch nie gesehen: Farbe und Gestalt absolut naturgetreu, und eine wunderschöne, aufrechte Brustwarze.

[10] »Meine Güte…«

»Beißen Sie ruhig drauf rum«, ermunterte mich Vigneron. »Denken Sie nicht mehr an mich.«

Ich hielt diese außergewöhnliche Brust fest und sah ihr fest ins Auge. Ich bin ganz sicher, daß mein Vater keine solchen modernen Instrumente in seiner Praxis verwendet. Wenn er steht, geht das gräßliche Abstrichröhrchen etwas leichter hinein. Ich erinnere mich daran, daß ich total verkrampft war und einen Schrei unterdrückte.

»Sehr spezifisch«, meinte Jean-Claude Vigneron, und der Fuchs antwortete auf französisch, als ich ihm sagte, daß es doch zumindest etwas ungewöhnlich sei, eine Brust in der Hand halten und ohne Rücksicht auf Verluste hineinbeißen zu können.

Vignerons Diagnose wird besser verständlich, wenn man die Hintergründe meiner Krankheit kennt. Schwierigkeiten und Schmerzen beim Pinkeln habe ich schon lange.

Siebenmal habe ich in den letzten fünf Jahren unter dieser seltsamen Unpäßlichkeit gelitten. Einmal war es Tripper, aber das ist eine andere Geschichte. Normalerweise ist das Ding morgens einfach total verklebt. Mit einem vorsichtigen Zwicken bringe ich es wieder in Ordnung, oder zumindest halbwegs in Ordnung. Das Urinieren erweist sich oft als eine Herausforderung, das Gefühl ist immer wieder neu und überraschend. Und es nimmt sehr viel Zeit in Anspruch – man lebt den ganzen Tag mit dem Gedanken daran, daß man irgendwann bestimmt wieder pinkeln muß. Und was den Sex angeht, na ja… Der Orgasmus ist wirklich eine bewegende Erfahrung – die lange und wundersame Reise eines rauhen, überdimensionalen Kugellagers. Schließlich hatte ich die ganze Sache aufgegeben. Das trieb mich zum Alkohol, und davon brannte es noch mehr beim Pinkeln – ein unschöner Kreislauf.

Und immer die Diagnose: unspezifisch. Der Verdacht auf furchtbare Varianten irgendwelcher asiatischer [11] Geschlechtskrankheiten wurde nie erhärtet. »Irgendeine Infektion« wird immer vorsichtig umschrieben. Die verschiedensten Medikamente werden durchprobiert, schließlich hilft dann eines. Dem Gesundheitslexikon zufolge lassen sich vage und schreckliche Symptome von Prostatakrebs feststellen. Aber die Ärzte sagen immer, dafür sei ich zu jung. Ich stimme ihnen immer zu.

Und jetzt steckt Jean-Claude Vigneron sein Abstrichröhrchen in das Problem. Ganz spezifisch, ein Geburtsfehler. Das überrascht mich nicht – meiner Meinung nach ist es auch keineswegs der einzige.

»Ihr Urogenitaltrakt ist ein schmaler, gewundener Gang.«

Ich nahm diese Nachricht ziemlich gefaßt hin.

»Die Amerikaner sind reichlich komisch, wenn es um Sex geht«, sagte Vigneron. Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen fühlte ich mich nicht in der Lage, darüber zu diskutieren. »Ihr glaubt, man könne alles abwaschen, aber die Vagina ist und bleibt das schmutzigste Ding auf der Welt. Wußten Sie das? Jede versteckte Öffnung beherbergt Hunderte von harmlosen Bakterien, und die Vagina ist dazu geradezu prädestiniert. Ich sage ›harmlos‹, aber nicht für Sie. Bei einem normalen Penis werden sie einfach rausgespült.«

»Aber nicht aus meinem schmalen, gewundenen Gang?« Dabei dachte ich an die vielen Windungen, in denen Hunderte von Bakterien ein Leben im Dunkeln führten.

»Sehen Sie? Ist das etwa nicht spezifisch?«

»Und welche Behandlung kommt da in Frage?« Ich hielt die Plastikbrust noch immer fest. Ein Mann mit einer unverletzlichen Brustwarze kann sehr tapfer sein.

»Sie können wählen zwischen vier Möglichkeiten«, erklärte Vigneron. »Es gibt jede Menge Medikamente, und eines tut’s immer. Siebenmal in fünf Jahren ist gar keine Überraschung, bei solch einem Trakt, wie Sie ihn haben. Und so schlimm sind die Schmerzen nun auch wieder nicht, oder? Sie können doch mit [12] dieser zeitweiligen Unpäßlichkeit beim Pinkeln und Bumsen ganz gut leben, oder?«

»Ich will sowieso mein Leben ändern«, entgegnete ich. »Ich möchte ein ganz neues Leben führen.«

»Dann lassen Sie das Bumsen sein«, schlug Vigneron vor. »Wie wäre es mit Masturbieren? Ihre Hände können Sie ja waschen.«

»So sehr möchte ich mich nun auch wieder nicht verändern.«

»Erstaunlich!« rief Vigneron. Er ist ein gutaussehender Mann, groß, und verdammt selbstsicher; ich preßte den Plastikbusen fest zusammen. »Erstaunlich, wirklich erstaunlich… Sie sind jetzt mein zehnter amerikanischer Patient, der die Wahl zwischen diesen Möglichkeiten hat, und allesamt habt ihr die ersten beiden abgelehnt.«

»Und was ist daran so erstaunlich?« wollte ich wissen. »Besonders reizvoll sind sie nicht gerade.«

»Nicht für Amerikaner!« rief Vigneron aus. »Drei meiner Patienten in Paris haben sich entschieden, damit zu leben. Und einer – und der war nicht mal alt – hat das Bumsen ganz aufgegeben.«

»Sie haben mir die beiden anderen Möglichkeiten noch nicht genannt«, entgegnete ich.

»Hier mache ich immer eine kleine Pause. Ich möchte raten, wofür Sie sich entscheiden. Bei Amerikanern hab ich noch nie danebengetippt. Ihr seid ein berechenbares Volk. Immer wollt ihr euer Leben ändern. Nie akzeptiert ihr das, womit ihr geboren seid. Und bei Ihnen? Bei Ihnen kann ich es ganz deutlich spüren. Bei Ihnen kommt nur die Wassermethode in Frage!«

Der Tonfall des Arztes erschien mir beleidigend. Ich hielt immer noch den Busen fest in der Hand und war entschlossen, daß die Wassermethode für mich auf gar keinen Fall in Frage kommen würde.

»Natürlich ist auch diese Methode nicht unfehlbar«, räumte Vigneron ein. »Sie ist bestenfalls ein Kompromiß. Statt [13] siebenmal in fünf Jahren, vielleicht einmal alle drei Jahre – da haben Sie bessere Karten, mehr nicht.«

»Gefällt mir nicht.«

»Sie haben es doch noch gar nicht ausprobiert«, erwiderte er. »Es ist ganz einfach. Sie trinken jede Menge Wasser vorm Bumsen. Und Sie trinken jede Menge Wasser nach dem Bumsen. Und sachte mit dem Sprit. Bei Alkohol werden die Bakterien munter. Bei der französischen Armee hatten sie eine geniale Kontrollmethode für Tripperpatienten. Sie bekamen die normale Dosis Penizillin. Dann, wenn sie meinten, sie seien wieder gesund, drei Bier vor dem Schlafengehen. Wenn sie dann am Morgen Ausfluß hatten, mehr Penizillin. Aber Sie brauchen einfach nur Wasser, jede Menge. Bei Ihrem Urogenitaltrakt brauchen Sie soviel Spülung wie nur irgend möglich. Nach dem Verkehr müssen Sie lediglich daran denken, aufzustehen und pinkeln zu gehen.«

Der Busen in meiner Hand war nur aus Plastik. Ich sagte: »Sie meinen also, ich soll den Geschlechtsakt mit voller Blase vollziehen? Das tut doch weh.«

»Es ist schon anders«, stimmte Vigneron mir zu. »Aber Sie haben auch größere Erektionen. Wußten Sie das?«

Ich fragte nach der vierten Möglichkeit. Er lächelte.

»Eine einfache Operation«, sagte er. »Ein kleiner chirurgischerEingriff.«

Ich grub meinen Daumennagel in die Plastikbrustwarze.

»Wir werden Sie etwas begradigen«, erklärte Vigneron. »Wir erweitern den Gang. Es dauert nicht mal eine Minute. Natürlich unter Narkose.«

In meiner Hand befand sich eine absurde synthetische Brustdrüse, ganz offensichtlich eine Imitation. Ich legte sie zur Seite. »Es muß doch weh tun«, sagte ich zögernd, »ich meine, nach der Operation.«

»Etwa achtundvierzig Stunden lang.« Vigneron zuckte mit [14] den Schultern; alle Schmerzen schienen ihm gleichermaßen erträglich zu sein.

»Können Sie mich nicht achtundvierzig Stunden lang betäuben?« fragte ich ihn.

»Hundert Prozent!« brüllte Vigneron. »Das fragen sie immer!«

»Achtundvierzig Stunden?« überlegte ich. »Und wie soll ich da pinkeln?«

»So schnell Sie können«, riet er mir und drückte auf die aufrechte Brustwarze auf dem Untersuchungstisch, als sei...