dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Tim Burton - Der melancholische Magier. Mit einem Vorwort von Johnny Depp

Tim Burton, Mark Salisbury

 

Verlag Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2012

ISBN 9783838720524 , 368 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

19,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

Derzeit können über den Shop maximal 500 Exemplare bestellt werden. Benötigen Sie mehr Exemplare, nehmen Sie bitte Kontakt mit uns auf.


 

Im Winter 1989 war ich in Vancouver, British Columbia, um bei einer Fernsehserie mitzuwirken. Ich befand mich in einer äußerst schwierigen Situation: Vertraglich gebunden, rackerte ich mich wie ein Fließbandarbeiter für etwas ab, das in meinen Augen fast schon faschistoide Züge trug (Polizisten in der Schule … geht’s noch?). Meine Zukunft schien damals irgendwo zwischen CHiPs und Joanie Loves Chachi zu liegen. Mir blieb nur eine begrenzte Anzahl von Möglichkeiten: erstens die Sache bestmöglich durchzuziehen und mit einigermaßen heiler Haut davonzukommen, zweitens mich so schnell wie möglich feuern zu lassen und ein blaues Auge in Kauf zu nehmen oder drittens zu kündigen und mich verklagen zu lassen, um damit nicht nur mich selbst, sondern auch meine Kinder und Kindeskinder in den Ruin zu treiben. Wie gesagt, ein echtes Dilemma. Dank des weisen Ratschlags meines Anwalts kam Möglichkeit drei nicht in Betracht. Was Nummer zwei angeht, tja, ich hab’s versucht, aber es hat nicht geklappt. Deshalb bin ich schließlich bei Möglichkeit eins gelandet: Augen zu und durch.

Was sich als beinahe selbstmörderisches Unterfangen herausstellte. Ich war mit mir und diesem selbst auferlegten, nicht enden wollenden Freiheitsentzug (besser als die Arbeitslosigkeit, wie mir mein damaliger Agent versicherte) zutiefst unzufrieden. Ich steckte fest – als Pausenfüller zwischen Werbespots – und brabbelte zusammenhang- und gedankenlos die Worte irgendeines Drehbuchschreibers nach (weshalb ich auch gar nicht richtig mitbekam, welch ein Gift die Serie versprühte). Sprachlos und verloren wurde ich als Posterboy-Variante eines jungen Republikaners an die amerikanische Jugend zwangsverfüttert, als Fernsehheld, Teenie-Schwarm, Idol und Augenweide bewundert und als patentierte Plastik-Actionfigur an eine Packung Frühstücksflocken auf Rädern getackert, die mit dreihundert Sachen auf einen 20-Minuten-Ruhm als Brotboxverzierung zusteuerte. Ich war dabei, zu meinem eigenen Franchise-Unternehmen zu degenerieren. Über den Tisch gezogen und ausgenutzt. Ein Albtraum ohne Ende.

Und dann erhielt ich eines Tages ein Drehbuch von meiner neuen Agentin, das wie ein Geschenk des Himmels schien. Es war die Geschichte eines Jungen, der Scheren anstelle von Händen hat – ein unschuldiger Außenseiter in Suburbia. Ich habe es sofort gelesen und geheult wie ein kleines Kind. Die Vorstellung, dass sich jemand etwas so Brillantes ausdenken und filmisch umsetzen könnte, erschütterte mich zutiefst. Ich las es gleich noch einmal – und wurde sofort von einer Menge Bildern und Gefühlen bestürmt: Ich sah die Hunde wieder vor mir, die ich mal in meiner Jugend gehabt hatte, erinnerte mich an das Gefühl, begriffsstutzig und ungelenk zu sein, das mich als Kind oft geplagt hat, und an die bedingungslose Liebe, die nur Kinder und Hunde empfinden können. Ich war von der Geschichte dermaßen begeistert, dass es schon an Besessenheit grenzte … bis schließlich die Ernüchterung einsetzte. Schließlich war ich nur ein lausiger Fernsehschauspieler. Kein Regisseur, der einigermaßen bei Verstand war, würde mich für diese Rolle engagieren. In meiner bisherigen Laufbahn hatte ich mit nichts bewiesen, dass ich einer solchen Herausforderung gewachsen war. Wie konnte ich den Regisseur davon überzeugen, dass ich Edward war? Dass ich diese Figur in- und auswendig kannte? In meinen Augen standen die Chancen gleich null.

Ein Treffen wurde arrangiert. Ich sollte den Regisseur, Tim Burton, kennenlernen. Ich bereitete mich darauf vor, indem ich mir seine anderen Filme anschaute: BEETLEJUICE, BATMAN, PEE-WEES IRRE ABENTEUER. Das Talent, das dieser Mann besaß, und seine magische Bildsprache raubten mir den Atem. Umso sicherer war ich mir, dass er mich niemals für diese Rolle in Betracht ziehen würde. Es war mir richtiggehend peinlich, überhaupt bei ihm vorzusprechen. Meine Agentin (vielen Dank, Tracey!) musste mich damals zwingen, zu dem Treffen zu gehen.

Ich flog nach Los Angeles und fuhr direkt zum Café des Bel Age Hotel, wo ich Tim und seine Produzentin, Denise Di Novi, treffen sollte. Ich zündete mir die x-te Zigarette dieses Morgens an, während ich in das Café schlenderte und nervös nach dem Genie Ausschau hielt. Und dann, PENG!, sah ich ihn hinter einer Reihe Topfpflanzen in einer Nische sitzen und Kaffee trinken. Wir begrüßten uns, ich setzte mich, und dann redeten wir … na ja, jedenfalls könnte man es so nennen – das erkläre ich später noch.

Mir gegenüber saß ein blasser, zerbrechlich wirkender Mann mit traurigen Augen und Haaren, die aussahen, als seien sie nicht nur von der letzten Nacht zerwühlt. Ein Kamm mit Beinen hätte um die Haarpracht dieses Typen einen weiten Bogen gemacht. Hier eine Welle, da eine einzelne Strähne, und der Rest stand in alle Richtungen ab. »Mann, schlaf dich erst mal aus!«, waren die ersten Worte, die mir durch den Kopf gingen, aber das konnte ich natürlich nicht sagen. Und dann traf mich der Blitz der Erkenntnis. Seine Hände – wie er damit beinahe unkontrolliert herumwedelte und nervös auf die Tischplatte trommelte, seine gestelzte Art zu sprechen (eine Eigenschaft, die wir teilen), seine weit aufgerissenen, neugierig glänzenden Augen, die schon viel gesehen haben und trotzdem alles begierig in sich aufsaugen. Dieser hypersensible Verrückte ist Edward mit den Scherenhänden!

Nach drei, vier Tassen Kaffee und einem holprigen Gespräch, bei dem wir uns ständig gegenseitig in die unvollendeten Sätze fielen und uns trotzdem irgendwie verstanden, gingen wir mit einem Händedruck und einem »Nett, dich kennengelernt zu haben« auseinander. Ich verließ das Café mit einem Koffein-High und kaute auf meinem Kaffeelöffel herum wie ein tollwütiger Hund. Nach dem Treffen fühlte ich mich nur noch schlechter, weil ich zwischen uns eine echte Verbindung gespürt hatte. Wann kann man sich schon mit jemandem in solcher Ausführlichkeit über die perverse Schönheit von Milchkännchen in Kuhform, die Faszinationskraft künstlicher Weintrauben und die Komplexität eines Elvis-Gemäldes unterhalten? Ich war mir sicher, dass wir gut zusammenarbeiten würden und dass ich die Figur Edward mit den Scherenhänden so umsetzen könnte, wie er sie sich als Künstler vorstellte, wenn ich Gelegenheit dazu erhielt. Die Aussichten darauf schienen jedoch eher gering zu sein. Bekanntere Leute als ich waren nicht nur für die Rolle im Gespräch, sondern kämpften darum wie die Besessenen. Bisher hatte mir nur ein einziger Regisseur eine Chance gegeben – John Waters, ein großartiger, unabhängiger Filmemacher, dem Tim und ich große Achtung und Bewunderung entgegenbrachten. In Cry-Baby durfte ich unter seiner Regie eine Parodie auf die Rolle spielen, mit der ich mir bis dahin einen Namen gemacht hatte. Aber würde Tim etwas in mir sehen, das ihn davon überzeugen würde, ein solches Risiko einzugehen? Ich hoffte es sehr.

Wochenlang wartete ich, ohne etwas von ihm zu hören. Trotzdem bereitete ich mich weiter auf die Rolle vor. Es war nicht mehr nur so, dass ich es machen wollte, ich musste einfach! Nicht aus Gründen des Ehrgeizes, der Geldgier oder Karrieregeilheit, sondern weil mich die Geschichte komplett gefangen genommen und nicht mehr losgelassen hatte. Was sollte ich machen? Als ich mich schon beinahe damit abgefunden hatte, für immer ein lausiger Fernsehschauspieler zu bleiben, klingelte das Telefon.

Ich nahm ab. »Hallo?«

»Johnny … du bist Edward mit den Scherenhänden«, sagte eine Stimme.

»Was?«, entfuhr es mir.

»Du bist Edward mit den Scherenhänden.«

Ich legte den Hörer beiseite und sprach die Worte leise vor mich hin. Und dann erzählte ich es jedem, den ich kannte. Ich konnte es einfach nicht glauben. Er wollte das Risiko tatsächlich eingehen und mich für diese Rolle engagieren. Den Wünschen, Hoffnungen und Träumen des Studios, dass sich ein großer Star und Publikumsmagnet für den Film finden würde, hatte er eine Absage erteilt und stattdessen mich gewählt. Ich wurde augenblicklich religiös, überzeugt davon, dass hier ein göttlicher Eingriff in mein Leben stattgefunden hatte. Diese Rolle war für mich nicht nur eine Karriereentscheidung. Sie bedeutete Freiheit. Die Freiheit, kreativ zu sein, zu experimentieren, zu lernen und mit mir selbst ins Reine zu kommen. Dieser merkwürdige, brillante junge Mann, der während seiner Jugend in der Suppenschüssel von Burbank seltsame Bilder gemalt hatte und sich auch immer ein bisschen wie ein Außenseiter fühlte, hatte mich aus der konsumistischen Fernsehwelt gerettet. Ich kam mir vor wie Nelson Mandela. Wiederauferstanden nach meiner stumpfsinnigen Zeit in »Hollyweird«, während der ich die Kontrolle über mein Leben weitgehend abgegeben hatte.

Tim Burton, Johnny Depp und Sarah Jessica Parker am Set von ED WOOD

Ein Großteil des Erfolgs, der mir später vergönnt sein sollte, ging auf dieses eine seltsame, inspirierende Gespräch mit Tim zurück. Wenn er nicht gewesen wäre, hätte ich mich vielleicht doch noch irgendwann für Möglichkeit drei entschieden und meinen Job bei dieser verdammten Serie gekündigt, solange mir noch ein Quäntchen Selbstachtung verblieben war. Dass Tim an mich geglaubt hat, war sicher ausschlaggebend dafür, dass Hollywood in der Folgezeit seine Türen für mich öffnete.

Das zweite Mal habe ich mit Tim am Set von ED WOOD zusammengearbeitet. Von der Idee erzählte er mir, als wir einmal zusammen an der Bar des Formosa Cafés in Hollywood saßen. Ich war sofort Feuer und Flamme. Inzwischen ist es mir fast...