Unter der Asche - Historischer Roman

"SIEBENTER TEIL  COCKSPARRER (S. 573-574)

»Other sins only speak; murder shrieks out.The element of water moistens the earth,But blood flies upwards and bedews the heavens.«

(»Andere Sünden sprechen nur; Mord schreit auf.Das Element Wasser benetzt die Erde,aber Blut fliegt hoch und betaut den Himmel.«)

John Webster,

»The Duchess of Malfi«

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Manchmal kam sich Gerrard vor wie eine Katze, denn er hatte ebenso viele Leben. Immer wenn er glaubte, nun sei alles aus und vorbei, kam von irgendwo ein gnädiger Gott oder hinterhältiger Teufel daher und schenkte ihm ein weiteres Leben. Er war nun 56 Jahre alt und hatte in all der Zeit so viele unterschiedliche und widersprüchliche Dinge getan oder gesagt, dass ihm sein Leben wie ein wirrer Flickenteppich erschien. Ohne erkennbares Muster, ohne durchgehenden Faden.

Als Sohn eines kleinen Krämers war er in Lancashire aufgewachsen, hatte als Halbwüchsiger in London das Handwerk eines Schneiders erlernt und seine spätere Frau Susan getroffen. Schließlich hatte er ein eigenes Geschäft in der Hauptstadt eröffnet und war ein aufstrebendes Mitglied der ehrenwerten Schneidergilde geworden. Doch dann kam der Bürgerkrieg, zerstörte seine Existenz und trieb ihn in den Bankrott. Es folgten die mühseligen Jahre als Hirte in der Heide von Surrey und die göttlichen Visionen, die ihn im Traum überkamen und zu einem Digger und eifrigen Schreiber von Aufrufen und Pamphleten machten.

Er wurde zum Bruder Winstanley, wie sie ihn ehrerbietig nannten, obwohl sich die Digger sonst alle beim Vornamen nannten. Ein Jahr lang buddelten sie in der Erde und verkündeten die Wahrheit, wie berauscht von Gottes Auftrag und Liebe, dann war auch dieses Kapitel schlagartig beendet und blutig niedergeschlagen.

Der Traum vom gottgefälligen Leben war vorbei, und der Albtraum begann: der gewaltsame Tod seines ungeborenen Sohnes, die schwere Krankheit seiner Frau, die Zeit der Flucht, die Trunksucht und die Erniedrigung durch seine Feinde. Er wurde zu einem Viehhirten von Pfarrer Platts Gnaden. Nach Susans Tod wollte auch er sterben, doch nicht einmal dazu war er in der Lage. Vom Schwiegervater verstoßen und dem Branntwein verfallen, ging er zurück nach London und wurde zu einer lichtscheuen, abstoßenden Kakerlake in Menschengestalt, die nur darauf wartete, zertreten zu werden.

Doch es kam anders, und das war das Widersinnige daran. Ausgerechnet ein hinterhältiger Mord bescherte ihm einen unerwarteten Neuanfang. Ihm wurde ein weiteres Leben geschenkt, obwohl er seine Tat nicht bereute und dieses neue Leben nicht verdient hatte. Aus dem Trunkenbold und Meuchelmörder wurde Master Gerrard, der Lehrer der Armen, den alle nur den Eremiten von St. Olave nannten und für einen komischen Heiligen hielten. Die Monate und Jahre gingen dahin, die Pest kam und ließ ihn unbehelligt, kein Blitz aus dem Himmel streckte ihn nieder, weder Gott noch die Menschen schienen sich für ihn zu interessieren. Gerrard fand zunehmend Gefallen an seinem eintönigen und ereignislosen Leben, das ihm die Möglichkeit bot, seine wirren und monströsen Gedanken zu ordnen und alles schriftlich festzuhalten. Wenn auch unter dem Deckmantel eines erdichteten Schauspiels."