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Rosenwahn - Angermüllers fünfter Fall

Ella Danz

 

Verlag Gmeiner-Verlag, 2010

ISBN 9783839234822 , 323 Seiten

8. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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10,99 EUR

  • Die Bräute des Satans - Historischer Roman
    Blaues Gift - Pia Korittkis dritter Fall
    Grablichter - Pia Korittkis vierter Fall
    Todeswatt - Kriminalroman
    Odessa-Komplott - Tom Sydows zweiter Fall
    Dinotod - Tannenbergs vierter Fall
    Die Kiliansverschwörung - Historischer Roman
    Die Pforten der Hölle - Historischer Roman
  • Pilger des Zorns - Historischer Kriminalroman

     

     

     

     

     

     

     

     

 

 

Rosa alba


Dieser Duft … Brigitte lehnte sich weit über den Gartenzaun, schloss die Augen und sog die köstlichen Aromen, die zu ihr herüberströmten, langsam und konzentriert durch die Nase ein. Bilder tauchten vor ihr auf. Sie reiste auf dieser duftenden Wolke weit zurück in die Vergangenheit, in einen blühenden Garten, von Sonnenlicht durchflutet, eine Decke auf dem Rasen unter den Rosenbüschen, darauf ein junges Mädchen und ein junger Mann. Die beiden halten sich fest, sie küssen sich, sie lieben sich, umgeben von einem zartrosa Blütentraum, umfangen von einem unvergleichlichen Wohlgeruch.

»Moin, Frau Kalbe, passen Se man auf, dat Se nich noch in die Brennnesseln kippen!«

»Herr Politza!« Erschrocken fuhr Brigitte herum. »Wie oft hab ich Ihnen schon gesagt, Sie sollen klingeln, wenn Sie aufs Grundstück kommen?«

Auch wenn er ihre Gedanken sicher nicht erraten konnte, war es ihr trotzdem peinlich, ausgerechnet von Politza aus ihren romantischen Rosenträumen gerissen zu werden.

»Sie hören dat doch sowieso nich.«

Politza zuckte nur ungerührt mit den Schultern und kraulte den Hund, der freudig auf ihn zugestürzt war, mit einer Hand hinter den Ohren. Brigitte überging seine Antwort. Es hatte keinen Sinn, mit ihm zu diskutieren, das wusste sie inzwischen. Also schluckte sie ihren Ärger hinunter. Sie brauchte Politza. Von ihrer Pension, die sie für ziemlich knapp bemessen hielt, für das, was sie von diesen grässlichen Kindern in der Schule jahrelang hatte erdulden müssen, konnte sie sich keinen anderen oder besseren Helfer für Haus und Garten leisten. Also lebte sie mit Politzas Unzuverlässigkeit, seiner Unverschämtheit und der Alkoholfahne, die er hin und wieder schon am Vormittag ausatmete.

Kurz nach fünf am Nachmittag hatte Politza die Arbeit eingestellt und seinen Lohn gefordert, obwohl noch lange nicht alle Aufgaben erledigt waren, die auf Brigittes Liste notiert waren, und schon gar nicht das ganz besondere Projekt, das sie für heute geplant hatte.

»Hab ’nen wichtigen Termin«, hatte Politza entgegnet, als sie protestieren wollte. Sie konnte sich schon denken, was das für ein Termin war. Im ›Pik As Treff‹ am Bahnhof warteten sie wahrscheinlich schon auf ihn und eine erste Lokalrunde.

»Und wann kümmern Sie sich um die Rosen im Vorgarten? Da müssen die Wildtriebe geschnitten werden, und dann sollen Sie auch noch die Obstbäume mulchen und …«

»Man ganz sutsche! Dat kriegen wir alns gebacken, Frau Kalbe. Sie kennen mich doch.«

»Wie sieht’s denn aus mit nächster Woche, Herr Politza?«, hatte Brigitte fast ängstlich gefragt, die ihn nur zu gut kannte und sich über ihre hilflose Abhängigkeit von der Unterstützung dieses unerträglichen Menschen ärgerte.

»Gut sieht dat aus. Ich melde mich.«

Zur Bestätigung hatte Politza auf das Handy in seiner Hosentasche geklopft und war verschwunden.

Seufzend setzte sich Brigitte auf die Bank auf der Terrasse. Der Hund legte sich neben sie und sah sie erwartungsvoll an.

»Ach Alma. Wir sind schon zwei arme, alte Mädchen, was?«

Als Antwort wedelte Alma mit dem Schwanz. Brigitte streichelte mechanisch über den Kopf des Hundes und dachte wieder an ihr Vorhaben. Dann musste sie es eben allein machen. Wenn sie es recht bedachte, war ihr Politza als Mitwisser sowieso nicht angenehm. Wer weiß, welche Schlüsse er gezogen und was er sich dann noch alles herausgenommen hätte, bei seinem ohnehin schon reichlich respektlosen Verhalten ihr gegenüber. Sie begann zu überlegen, wie sie vorgehen wollte. Auf jeden Fall musste sie noch abwarten, bis die Helligkeit etwas nachgelassen hatte. Zwar war ihr Grundstück das vorletzte am Uferweg des kleinen Sees am Rande von Eutin, doch bei diesem Wetter waren auch spätabends häufig noch Radfahrer und Jogger unterwegs, und gesehen werden wollte sie bei ihrer Aktion auf keinen Fall. Aber sie konnte schon einmal das notwendige Gerät herrichten. Brigitte erhob sich und ging, gefolgt von Alma, über den Rasen zum Geräteschuppen. Bald darauf stand die Schubkarre bereit, darin lagen ein Spaten, ein Stück Plastikfolie, Schnur, eine Gartenschere und ein paar Arbeitshandschuhe.

»Jetzt gibt’s erst einmal Abendbrot.«

Alma schien jedes Wort ihres Frauchens zu verstehen, denn sie bellte erfreut und sprang in großen Sätzen voraus zur Treppe, die von der Terrasse hinauf in die Küche führte. Je älter er wurde, desto verfressener wurde der Hund, ganz anders als Brigitte, die das Gefühl hatte, immer weniger Nahrung zu brauchen. Die Mahlzeiten, die sie stets allein verzehrte, abends hin und wieder vor dem Fernsehgerät, wenn ein Konzert oder eine Oper, manchmal auch ein interessanter Dokumentarfilm übertragen wurden, waren auch nicht dazu angetan, ihren Appetit zu steigern.

Als sie noch berufstätig war, hatte sie mittags meist einen Imbiss mit den Kolleginnen eingenommen, hin und wieder trafen sie sich auch abends zum Essen in einem Restaurant, aber seit ihrer Pensionierung war das höchstens noch zwei, drei Mal vorgekommen. Selbst in einer Kleinstadt wie Eutin konnte man sich aus den Augen verlieren.

Wie jeden Abend gab es auch heute zwei Schnitten Graubrot. Vollkornbrot vertrug Brigitte nicht, da begannen ihre Innereien zu revoltieren. Auf einem der Brote Wurst, auf dem anderen Käse, dazu eine aufgeschnittene Tomate mit Salz und Pfeffer. Sie trug das Tablett mit ihrem Abendessen und dem Napf für Alma hinaus auf die Terrasse. In ihrem ganzen Leben hatte Brigitte nur höchst selten einmal richtig gekocht. Es war nie ihre Leidenschaft gewesen, am Herd zu stehen, und es fehlte ihr wohl auch ein Gefühl dafür. Umso anstrengender fand sie es, jetzt, wo sie nur noch zu Hause war, jeden Mittag für sich sorgen zu müssen. Aber zum Glück hatte sie die Segnungen der Mikrowelle für ihren Einpersonenhaushalt entdeckt und immer einen Vorrat Fertiggerichte im Tiefkühler.

Was für ein wunderbarer Maienabend! Die Sonne verschwand hinter dem Hügel am anderen Ufer, aber es war trotzdem noch angenehm mild. Brigitte hatte ihr Mahl beendet und schenkte sich eine dritte Tasse Kräutertee ein. Die Amsel, die wie jedes Jahr in der Hecke zum Seeweg nistete, begann in den höchsten Tönen zu singen, doch das bekannte Gefühl von Abendfrieden wollte sich heute nicht über den Garten und Brigittes Gemüt legen. Eine leise Erregung hatte sich ihrer bemächtigt. Gleich war der Zeitpunkt gekommen.

Als sie das Tablett hineingebracht hatte, verließ sie das Haus durch die Vordertür, schlenderte zum Gartentor und warf vorsichtige Blicke auf die Straße, die links von ihr vor dem Nachbargrundstück in einem Wendekreis endete. Die Straße war leer. Im Haus direkt gegenüber waren sämtliche Fensterläden geschlossen, die Bewohner waren verreist und die junge Familie daneben grillte im Garten hinter dem Haus, wie Brigitte laut herüberschallender Musik und einer würzig duftenden Rauchwolke entnahm, die rechts neben dem Dach aufstieg. Ihr direkter Nachbar auf der rechten Seite, der alte Herr Wahm, ging um die Zeit meist schon schlafen und selbst wenn nicht – er war fast blind.

Sie atmete tief durch und ging dann entschlossenen Schrittes zum Geräteschuppen. Alma, die ihr auf Schritt und Tritt folgte, sah sie gespannt an.

»Ganz ruhig! Braver Hund«, sagte Brigitte zu dem Tier und meinte sich selbst, als sie mit der Schubkarre in Richtung Zaun ging. Das Nachbargrundstück war das letzte am Seeufer gelegene, danach begann ein kleines Wäldchen. Der Hund spitzte die Ohren und schien die Pfoten noch leiser als gewöhnlich aufzusetzen. Irgendwann bei der Gartenarbeit hatte Brigitte entdeckt, dass der Zaun schadhaft war und sich an einer Stelle problemlos öffnen ließ. Da auf ihrer Seite einige Büsche direkt davor standen, das Haus nebenan ohnehin unbewohnt war und sie die Reparatur wahrscheinlich hätte bezahlen müssen, sah sie davon ab. Außerdem schätzte sie die Himbeeren und Kirschen, die dort drüben wuchsen. Obwohl der Garten zum Seeweg hin durch eine hohe Hecke vor fremden Blicken geschützt wurde, lief sie sicherheitshalber noch einmal zu der kleinen Pforte und spähte den Spazierweg hinauf und hinunter. Keine Menschenseele.

Schnell zurück zur Schubkarre und ohne noch weiter darüber nachzudenken, hinüber zu dem duftenden Objekt ihrer Begierde.

In der Dämmerung wurde das traumhafte Parfum jetzt noch intensiver. Doch das war nicht der Augenblick, sich dem Duftrausch und den Erinnerungen, die er auslöste, hinzugeben. Mit einer resoluten Bewegung zog sie die Arbeitshandschuhe an, band die über und über mit Knospen und bereits erblühten Rosen bestückten Zweige vorsichtig zusammen und legte die Folie herum, um nichts zu beschädigen. Natürlich hätte Brigitte sich die Pflanze auch kaufen können. In irgendeiner auf Rosen spezialisierten Gärtnerei wäre sie bestimmt fündig geworden, unbezahlbar war die Sorte auch nicht. Aber sie wollte gerade dieses Exemplar, das inzwischen bestimmt anderthalb Meter hoch war und jedes Jahr so üppig blühte und diesen einzigartigen Duft verströmte. So viel Schönheit in der verlassenen, verwilderten Nachbarschaft war einfach nur eine ungeheure Verschwendung. Brigitte hatte den Platz neben ihrer Terrasse schon vorbereitet: Nah bei der Gartenbank sollte der Rosenbusch stehen, sodass man sich darunter setzen, seinen Wohlgeruch aufnehmen und sich in den Blättern und Blüten verlieren konnte.

Behutsam begann sie, mit dem Spaten von außen nach innen die Erde abzutragen, um die Wurzeln freizulegen. Alma, die eine ganze Weile Brigittes Tätigkeit interessiert zugesehen hatte, schien das Buddeln ansteckend zu finden und fing plötzlich an, ebenfalls mit den Pfoten die Erde...