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Dreifach - Thriller

Ken Follett

 

Verlag Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2009

ISBN 9783838700618 , 462 Seiten

32. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

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PROLOG


NUR EIN EINZIGES Mal waren sie alle zusammengewesen, vor vielen Jahren, in ihrer Jugend, bevor all dies geschah. Aber diese Begegnung warf Schatten weit über die Jahrzehnte hinweg.

Es war der erste Sonntag im November des Jahres 1947, um genau zu sein. Jeder von ihnen lernte all die anderen kennen – ein paar Minuten lang waren sie sogar alle in einem Zimmer. Manche vergaßen sofort die Gesichter, die sie sahen, und die Namen, die bei der förmlichen Vorstellung genannt wurden. Manche vergaßen sogar jenen Tag, und als er 21 Jahre später so wichtig wurde, mußten sie so tun, als erinnerten sie sich, und »Ach ja, natürlich« murmeln.

Diese frühe Begegnung war ein Zufall, aber kein sehr verblüffender. Fast alle waren sie jung und begabt; waren dazu bestimmt, Macht zu besitzen, Entscheidungen zu fällen und Veränderungen zu bewirken – jeder auf seine Art, in seinem Land. Solche Menschen treffen sich in ihrer Jugend eben an Orten wie z. B. in der Universität Oxford. Davon abgesehen, wurden all jene, die anfangs nicht betroffen waren, in all diese Geschehnisse hineingezogen, einfach weil sie die anderen in Oxford kennengelernt hatten.

Allerdings ließ damals nichts an eine historische Begegnung denken. Es war nur eine von vielen Sherrypartys an einem Ort, an dem es zu viele Sherrypartys gab (und, wie die Studenten immer hinzufügten, nicht genug Sherry). Sie war kein Ereignis im besonderen, diese Party – jedenfalls fast.

*

Al Cortone klopfte an und wartete im Flur darauf, daß ein Toter ihm die Tür öffnete.

Der Verdacht, daß sein Freund tot sei, hatte sich in den letzten drei Jahren zu einer Überzeugung verfestigt. Zuerst hatte Cortone gehört, daß Nat Dickstein in Gefangenschaft geraten war. Gegen Ende des Krieges verbreiteten sich Geschichten über das, was mit Juden in den Nazilagern angestellt wurde. Dann, ganz am Ende, wurde die bittere Wahrheit bekannt.

Auf der anderen Seite der Tür scharrte ein Geist mit einem Stuhl über den Fußboden und tappte durch das Zimmer.

Cortone wurde plötzlich nervös. Und wenn Dickstein verkrüppelt war, entstellt? Oder vielleicht verrückt geworden? Cortone hatte nie mit Krüppeln oder Geistesgestörten umzugehen verstanden. Er und Dickstein hatten enge Freundschaft geschlossen – für ein paar Tage, damals 1943 –, aber was war inzwischen aus Dickstein geworden?

Die Tür öffnete sich, und Cortone sagte: »Hallo, Nat.« Dickstein starrte ihn an, dann verzog sich sein Gesicht zu einem breiten Grinsen, und er brachte eine seiner komischen Cockney-Phrasen hervor: »Mensch, ich kipp’ ins Kraut!«

Cortone grinste erleichtert zurück. Sie schüttelten einander die Hand, klopften sich auf den Rücken und ließen aus reiner Freude ein paar Soldatenflüche los. Dann gingen sie hinein.

Dickstein besaß ein Zimmer mit hoher Decke in einem alten Haus, das in einem vernachlässigten Teil der Stadt lag. Ein Einzelbett, säuberlich nach Kasernenart gemacht; daneben ein schwerer, alter Kleiderschrank aus dunklem Holz mit einem entsprechenden Frisiertisch; ein mit Büchern überhäufter Tisch vor einem kleinen Fenster. Auf Cortone wirkte der Raum kahl. Wenn er hier wohnen müßte, würde er einige Habseligkeiten verteilen, damit das Zimmer eine persönliche Note bekäme: Fotografien seiner Familie, Souvenirs von den Niagarafällen und Miami Beach, seinen Football-Pokal aus der Schulzeit.

»Ich möchte gern wissen, wie du mich gefunden hast«, sagte Dickstein.

»Das war keine Kleinigkeit.« Cortone zog seine Uniformjacke aus und legte sie auf das schmale Bett. »Es hat mich fast den ganzen gestrigen Tag gekostet.« Er musterte den einzigen Lehnsessel des Zimmers. Beide Armlehnen neigten sich in merkwürdigem Winkel zur Seite, eine Feder stach durch die verwaschenen Chrysanthemen des Stoffes, und ein Bein war durch ein Exemplar von PlatosTheaitetos ersetzt worden. »Können Menschen darauf sitzen?«

»Nur, wer es nicht weiter als bis zum Sergeant gebracht hat, aber ...«

»Die anderen sind sowieso keine Menschen.«

Beide lachten. Es war ein alter Witz. Dickstein zog einen Thonet-Stuhl vom Tisch heran und setzte sich rittlings darauf. Er betrachtete seinen Freund einen Moment lang von oben bis unten und sagte: »Du wirst dick.«

Cortone tätschelte die leichte Wölbung seines Bauches. »Wir leben gut in Frankfurt. Durch deine Entlassung hast du wirklich etwas verpaßt.« Er beugte sich vor und senkte die Stimme, als habe er etwas Vertrauliches mitzuteilen. »Ich habe ein Vermögen gemacht. Juwelen, Porzellan, Antiquitäten – alles für Zigaretten und Seife gekauft. Die Deutschen sind am Verhungern. Und was das beste ist, die Mädchen lassen sich für ein Paar Nylonstrümpfe auf alles ein.« Er lehnte sich zurück und wartete auf ein Lachen, doch Dickstein verzog keine Miene. Aus der Fassung gebracht, wechselte Cortone das Thema. »Du bist jedenfalls nicht dick.«

Er war zunächst so erleichtert darüber gewesen, daß Dickstein unversehrt war und immer noch so grinste wie früher, daß er ihn nicht genauer betrachtet hatte. Nun merkte er, daß sein Freund nicht nur schlank, sondern geradezu ausgemergelt war. Nat Dickstein war immer klein und schmal gewesen, aber jetzt schien er nur noch Haut und Knochen zu sein. Die totenbleiche Haut und die großen braunen Augen hinter den von Kunststoff eingefaßten Brillengläsern verstärkten den Eindruck. Zwischen seiner Socke und dem Umschlag seiner Hose zeigten sich ein paar Zentimeter seines blassen, spanartigen Schienbeins. Vier Jahre vorher war Dickstein braun und sehnig gewesen und so hart wie die Ledersohlen seiner britischen Armeestiefel. Wenn Cortone von seinem englischen Kumpel erzählte, was er oft tat, sagte er immer: »Der zäheste, gerissenste Kämpfer, der mir je mein verdammtes Leben gerettet hat – ohne Flachs.«

»Dick? Nein«, entgegnete Dickstein. »Dieses Land ist immer noch auf eiserne Rationen gesetzt, Alter. Aber wir schaffen’s schon.«

»Du hast schon Schlimmeres erlebt.«

Dickstein lächelte. »Und Schlimmeres gegessen.«

»Du bist gefangengenommen worden?«

»Bei La Molina.«

»Wie, zum Teufel, konnten sie dich bloß schnappen?«

»Kein Problem.« Dickstein zuckte die Achseln. »Eine Kugel zerschlug mir das Bein, und ich wurde bewußtlos. Als ich zu mir kam, lag ich auf einem deutschen Lastwagen.«

Cortone musterte Dicksteins Beine. »Es ist wieder gut zusammengeheilt?«

»Ich hatte Glück. Auf meinem Gefangenenzug war ein Arzt – er richtete den Knochen ein.«

Cortone nickte. »Und dann das Lager ...?« Vielleicht hätte er nicht fragen sollen, aber er wollte mehr wissen. Dickstein wandte den Blick ab. »Nichts Besonderes, bis sie herausfanden, daß ich Jude bin. Möchtest du eine Tasse Tee? Whisky kann ich mir nicht leisten.«

»Nein.« Cortone wollte, er hätte den Mund gehalten. »Morgens trinke ich sowieso keinen Whisky mehr. Das Leben kommt mir nicht mehr so kurz vor wie früher.«

Dicksteins Augen schwenkten zu Cortone zurück. »Sie beschlossen, zu prüfen, wie oft man ein Bein an derselben Stelle brechen und wieder heilen lassen kann.«

»Jesus.« Cortones Stimme hatte sich zu einem Flüstern gesenkt.

»Das war noch das Beste«, sagte Dickstein tonlos. Er blickte wieder zur Seite.

»Die Schufte.« Cortone fiel nichts anderes ein. Dicksteins Gesicht zeigte einen seltsamen Ausdruck, den Cortone noch nie an ihm gesehen hatte – etwas, was, wie er gleich darauf erkannte, an Furcht erinnerte. Merkwürdig. Schließlich war doch jetzt alles vorbei. »Tja, wenigstens haben wir gewonnen, oder?« Er knuffte Dicksteins Schulter.

Sein Freund grinste. »Stimmt. Aber was treibst du hier in England? Und wie hast du mich gefunden?«

»Ich bin auf der Rückreise nach Buffalo, konnte in London Zwischenstation machen. War beim War Office ...«

Cortone zögerte. Er war zum War Office gegangen, um sich zu erkundigen, wie und wann Dickstein gestorben war. »Man gab mir eine Adresse in Stepney«, fuhr er fort. »Als ich hinkam, stand nur noch ein einziges Haus in der ganzen Straße. Darin fand ich – unter ein paar Zentimetern Staub – einen alten Mann.«

»Tommy Coster.«

»Richtig. Nachdem ich neunzehn Tassen schwachen Tee getrunken und mir seine Lebensgeschichte angehört hatte, schickte er mich zu einem anderen Haus um die Ecke. Dort traf ich deine Mutter, trank noch mehr schwachen Tee und hörte mir ihre Lebensgeschichte an. Als ich endlich deine Adresse hatte, war es für den letzten Zug nach Oxford zu spät. Deshalb wartete ich bis heute morgen, und da bin ich. Ich habe nur wenig Zeit – mein Schiff legt morgen ab.«

»Bist du schon entlassen?«

»In drei Wochen, zwei Tagen und vierundneunzig Minuten.«

»Was willst du machen, wenn du zu Hause bist?«

»Mich um das Familiengeschäft kümmern. Ich habe in den letzten ein, zwei Jahren gemerkt, daß ich ein erstklassiger Geschäftsmann bin.«

»Womit befaßt sich deine Familie? Du hast mir nie davon erzählt.«

»Mit Transporten«, sagte Cortone kurz angebunden. »Und du? Was, um Himmels willen, willst du denn an der Universität Oxford? Was studierst du?«

»Hebräische Literatur.«

»Du machst Witze.«

»Ich konnte schon hebräisch schreiben, bevor ich zur Schule ging. Habe ich das nie erwähnt? Mein Großvater war der reinste Gelehrte. Er wohnte in einem muffigen Zimmer über einem Pastetenladen in der Mile End Road. Ich besuchte ihn...