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Die Beute des Adlers - Roman

Simon Scarrow

 

Verlag Heyne, 2012

ISBN 9783641097219 , 592 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

KAPITEL 1

Wie weit ist es noch bis zum Lager?«, fragte der Grie- che und warf erneut einen Blick über die Schulter. »Werden wir es vor Anbruch der Dunkelheit erreichen?«

Der Decurio, der die kleine berittene Eskorte anführte, spuckte einen Apfelkern aus und schluckte das saure Fruchtfleisch hinunter, bevor er antwortete.

»Das schaffen wir schon. Keine Sorge, Herr. Noch etwa fünf oder sechs Meilen, mehr nicht.«

»Geht das nicht schneller?«

Der Mann spähte schon wieder über die Schulter. Jetzt konnte auch der Decurio nicht länger der Versuchung widerstehen und sah sich ebenfalls um. Nichts. Der Weg war bis zu der Stelle, wo er zwischen dicht bewaldeten, in der Hitze flirrenden Hügeln verschwand, völlig verlassen. Seit sie gegen Mittag von dem befestigten Vorposten aufgebrochen waren, war ihnen keine Menschenseele begegnet. Der Decurio, die Eskorte aus zehn Reitern unter seinem Kommando sowie der Grieche mit seinen beiden Leibwächtern folgten der Straße, die zum gewaltigen Feldlager des Generals Plautius führte. Dort hatte man drei Legionen und zwei Dutzend Hilfstruppeneinheiten zusammengezogen sie sollten zum vernichtenden Schlag gegen Caratacus und seine Armee aus der Handvoll britischer Stämme, die noch offen gegen Rom Widerstand leisteten, ausholen.

Der Decurio interessierte sich brennend dafür, was genau der Grieche mit dem General zu schaffen hatte. Im Morgengrauen hatte ihm der Präfekt der tungerischen Reiterkohorte befohlen, zusammen mit den besten Männern aus seiner Schwadron den Griechen zum General zu eskortieren. Er hatte gehorcht, ohne Fragen zu stellen. Doch jetzt regte sich seine Neugierde, und er warf dem Griechen verstohlen einen Blick zu.

Trotz des gewöhnlichen leichten Umhangs und der einfachen roten Tunika roch der Kerl förmlich nach Reichtum und Kultiviertheit. Seine Fingernägel waren sorgfältig manikürt, wie der Decurio mit Abscheu feststellte, und aus dem schütteren dunklen Haar und dem Bart wehte ihm der Hauch einer teuren Zitronenpomade entgegen. Obwohl der Grieche keine Ringe trug, verrieten doch weiße Stellen auf der Haut seiner Finger, dass er an prunkvollen Handschmuck gewöhnt war. Mit einem verächtlichen Gesichtsausdruck kam der Decurio zu dem Schluss, dass es sich bei ihm wohl um einen jener ehemaligen griechischen Sklaven handelte, die sich ins Herz der imperialen Bürokratie geschlichen hatten. Die Tatsache, dass sich dieser Mann gerade in Britannien befand und es noch dazu sehr offensichtlich darauf anlegte, möglichst nicht aufzufallen, ließ darauf schließen, dass die Botschaft, die er dem General überbringen sollte, so delikat war, um sie nicht den offiziellen Kurieren anvertrauen zu können.

Dann wanderte der Blick des Decurio langsam zu den beiden Leibwächtern, die direkt hinter ihrem Herrn ritten. Sie waren ebenfalls einfach gekleidet. Unter ihren Umhängen trugen sie Kurzschwerter in militärischen Trageriemen. Das waren keine ehemaligen Gladiatoren, wie sie die reichsten Männer Roms gerne als Leibwächter in den Dienst nahmen. Für den Decurio waren sowohl die Schwerter als auch ihre disziplinierte Haltung ein unverkennbares Zeichen, dass es sich bei ihnen um Prätorianer handelte, die vergeblich versuchten, unerkannt zu bleiben. Ein weiterer schlagender Beweis dafür, dass der Grieche in höchstem Auftrag hier war.

Der kaiserliche Beamte sah sich noch einmal um.

»Wartest du auf jemanden?«, fragte der Decurio.

Der Grieche versuchte, seine ängstliche Miene zu verbergen, und zwang sich zu einem kleinen Lächeln. »Und ich hoffe, dass dieser jemand nicht auftaucht.«

»Jemand, der uns Ärger machen könnte?«

Der Grieche starrte ihn einen Augenblick lang an und lächelte abermals. »Nein.«

Der Decurio wartete auf eine Erklärung, doch der Grieche wandte sich wortlos von ihm ab. Schulterzuckend biss der Decurio in seinen Apfel und ließ den Blick über die Umgebung schweifen. Im Süden schlängelte sich der Oberlauf der Tamesis durch die sanft gewellte Landschaft. Die Hügel waren von uralten Wäldern gekrönt, und in den Tälern lagen die verstreuten Siedlungen und Bauernhöfe der Dobunni, eines Stammes, der sich bereits kurz nach der Landung der römischen Truppen vor einem Jahr unterworfen hatte.

Ein schönes Fleckchen, um sich niederzulassen, dachte der Decurio. Sobald er seine fünfundzwanzigjährige Dienstzeit abgeleistet und die Bürgerrechte sowie eine kleine Abfindung erhalten hatte, würde er sich am Rande einer Veteranenkolonie ein kleines Gehöft kaufen, um dort friedlich seinen Lebensabend zu verbringen. Er könnte sogar die Einheimische heiraten, die er in Camulodunum kennengelernt hatte, ein paar Kinder zeugen und sich dem Suff ergeben.

Der schöne Tagtraum wurde jäh unterbrochen, als der Grieche sein Pferd plötzlich zügelte und den Weg hinabstarrte. Die braunen Augen unter den gezupften Brauen verengten sich. Mit einem Fluch hob der Decurio den Arm, um seine Männer anzuhalten, bevor er sich seinem besorgten Schützling zuwandte.

»Was ist jetzt?«

»Dort!« Der Grieche deutete mit dem Finger. »Sieh nur!«

Der Decurio drehte sich müde im Sattel um. Das Leder knarrte unter seiner Reithose. Einen Moment lang konnte er nichts erkennen. Doch als er den Blick zu der Stelle hob, wo der Weg zwischen den Hügeln verschwand, sah er die dunklen Silhouetten von Reitern, die aus den Schatten der Bäume ins Sonnenlicht stürmten. Sie galoppierten direkt auf den Griechen und seine Eskorte zu.

»Wer zum Hades sind die denn?«, murmelte der Decurio.

»Keine Ahnung«, antwortete der Grieche. »Aber ich kann mir schon denken, wer sie geschickt hat.«

Der Decurio warf ihm einen nervösen Blick zu. »Sind sie uns feindlich gesinnt?«

»Ohne Zweifel.«

Der Decurio maß die Verfolger, die jetzt kaum mehr als eine Meile entfernt waren, mit erfahrenem Blick: acht in flatternde dunkelbraune und schwarze Umhänge gehüllte Reiter, die gebückt auf ihren Pferden hockten und diese zur Eile antrieben. Acht gegen dreizehn den Griechen nicht mitgezählt. Günstige Voraussetzungen, dachte der Centurio.

»Wir haben genug gesehen.« Der Grieche wandte sich von den Reitern in der Entfernung ab und gab dem Pferd die Fersen. »Los!«

»Vorwärts!«, befahl der Decurio, und die Eskorte galoppierte dem Griechen und seinen Leibwächtern hinterher.

Der Decurio war wütend. Es gab keinen Grund zu einer derartigen Eile. Sie waren im Vorteil und konnten ihre Pferde so lange ausruhen, bis sie die Verfolger auf ihren erschöpften Tieren erreicht hätten, um dann kurzen Prozess mit ihnen zu machen. Doch andererseits war nicht auszuschließen, dass ein Angreifer den Griechen mit einem Glückstreffer erledigte. Da war der Befehl des Präfekten eindeutig: dem Griechen durfte unter keinen Umständen etwas zustoßen. Sein Leben musste um jeden Preis geschützt werden. Angesichts dessen war es wohl vernünftiger, der Konfrontation aus dem Weg zu gehen, so unehrenhaft der Decurio dies auch finden mochte. Sie hatten eine Meile Vorsprung und würden mit Leichtigkeit das Lager des Generals erreichen, bevor der Gegner in Schlagdistanz war.

Als er sich erneut umsah, stellte der Decurio mit Schrecken fest, dass die Verfolger ordentlich aufgeholt hatten. Sie verfügten über exzellente Pferde. Sein eigenes Ross und die seiner Männer waren nicht schlechter als alle anderen der Kohorte, konnten damit aber beileibe nicht mithalten. Zudem musste es sich bei den Gegnern um erstklassige Reiter handeln, wenn sie ihre Pferde zu einer derartigen Eile antreiben konnten.

Zum ersten Mal beschlichen den Decurio Zweifel. Das waren keine einfachen Wegelagerer. Und ihrem schwarzen Haar, der dunklen Haut und den wallenden Umhängen und Tuniken nach zu urteilen wohl auch keine Einheimischen. Die keltischen Stämme, die auf dieser Insel lebten, griffen die Römer nur an, wenn sie klar in der Überzahl waren. Außerdem schien der Grieche seine Verfolger zu kennen. Sein Entsetzen war deutlich spürbar; andererseits gehörte er einem bekanntermaßen furchtsamen Volk an. Er konnte sich nur mit Mühe auf seinem Pferd halten, während seine Leibwächter zu beiden Seiten mit deutlich größerer Eleganz und höherem Selbstvertrauen ritten. Das angespannte Gesicht des Decurio verzog sich zu einem Lächeln um die zusammengebissenen Zähne. Vielleicht machte der Grieche ja bei Hof eine gute Figur. Als Reiter taugte er jedenfalls nicht viel.

Und so geschah wenig später das Unvermeidliche. Mit einem lauten Kreischen geriet der Grieche zu weit auf eine Seite, und obwohl er verzweifelt an den Zügeln zerrte, konnte er nicht verhindern, dass ihn der Schwung aus dem Sattel riss. Fluchend gelang es dem Decurio, sein eigenes Pferd im letzten Moment herumzureißen, um den Mann nicht niederzutrampeln.

»Halt!«

Ein Chor aus Flüchen und alarmiertem Wiehern ertönte, als die Eskorte einen Ring um den auf dem Rücken liegenden Griechen bildete.

»Hoffentlich lebt dieser Bastard noch«, murmelte der Decurio, als er sich aus dem Sattel schwang. Sofort waren die Leibwachen zur Stelle und beugten sich über den Mann, für dessen Wohlergehen sie verantwortlich waren.

»Ist er tot?«, fragte der eine.

»Nein. Er atmet.«

Der Grieche öffnete die Augen und schloss sie sofort wieder, da ihn die Sonne blendete. »Was was ist geschehen?« Sein Kopf fiel wieder zurück, und er wurde erneut ohnmächtig.

»Hoch mit ihm!«, bellte der...