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Der Janusmann - Ein Jack-Reacher-Roman

Lee Child

 

Verlag Blanvalet, 2010

ISBN 9783641038168 , 480 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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10,99 EUR

  • Sniper - Ein Jack-Reacher-Roman
    Judengold - Kriminalroman
    Kein Entrinnen - Roman
    Der faule Henker - Ein Lincoln-Rhyme-Thriller
    Der Insektensammler - Roman

     

     

     

     

 

 

1
Genau vier Minuten, bevor er erschossen wurde, stieg der Cop aus seinem Wagen. Er bewegte sich, als kenne er sein Schicksal bereits. Er stieß die Fahrertür gegen den Widerstand schlecht geölter Scharniere auf, rutschte auf dem abgewetzten Kunstledersitz langsam nach links und stellte beide Füße flach auf den Asphalt. Dann packte er den Türrahmen mit beiden Händen und hievte sich nach oben und aus dem Wagen. Er blieb einige Sekunden in der kalten, klaren Luft stehen, bevor er sich umdrehte und die Tür hinter sich abschloss. Verharrte noch einen Augenblick, ging nach vorn und lehnte sich in der Nähe des linken Scheinwerfers an den Kotflügel.
Der Wagen war ein sieben Jahre alter Chevy Caprice. Ein schwarzes Fahrzeug ohne Polizeikennzeichnung. Aber es verfügte über drei Antennen und hatte einfache verchromte Radkappen. Die meisten Cops, mit denen man redete, waren davon überzeugt, dass der Caprice das beste jemals gebaute Polizeifahrzeug sei. Dieser Kerl, der aussah wie ein altgedienter Kriminalbeamter, dem der gesamte Fuhrpark zur Verfügung steht, schien derselben Meinung zu sein. Ich konnte diese Art dickköpfiger Oldtimerpersönlichkeit daran erkennen, wie er sich hielt. Er war groß und massig und trug einen schlichten dunklen Anzug aus einem schweren Wollstoff. Ein alter Mann. Er bewegte den Kopf, schaute zuerst die Straße entlang und dann über die Schulter zum Collegetor. Er stand dreißig Meter von mir entfernt.
Das Collegetor selbst hatte lediglich symbolische Funktion. Zwei hohe gemauerte Klinkerpfeiler ragten einfach aus der weiten gepflegten Rasenfläche jenseits des Gehsteigs auf. Zwischen ihnen hing ein zweiflügliges Tor aus zu Fantasiegebilden gebogenen, abgewinkelten und verdrehten Eisenstangen. Das Tor glänzte schwarz, wie frisch gestrichen. Wer es nicht benutzen wollte, fuhr einfach über den Rasen. Es stand ohnehin weit offen. Hinter ihm lag eine Zufahrt mit kniehohen kleinen Eisenpollern an beiden Seiten, an denen jeweils ein Torflügel befestigt war. Die Zufahrt führte leicht abfallend zu einer etwa hundert Meter entfernten Ansammlung von Klinkergebäuden mit Moos bewachsenen Steildächern unter überhängenden Bäumen. Die Zufahrt war mit Bäumen gesäumt, ebenso der Gehsteig. Überall standen Bäume. Ihre Blätter waren noch klein, zusammengerollt und lindgrün. In einem halben Jahr würden sie groß, rot und golden sein und den Fotografen Motive für den Collegeprospekt liefern.
Zwanzig Meter jenseits des Tors parkte auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Pick-up. Er stand in fünfzig Meter Entfernung mir zugekehrt dicht am Randstein. Irgendwie passte er nicht hierher. Sein roter Lack war verblasst, und vorn hatte er einen wuchtigen Rammbügel, der aussah, als wäre er schon mehrmals verbogen und wieder ausgerichtet worden. Im Fahrerhaus saßen zwei Männer, jung, groß, blond, mit klar geschnittenen Gesichtszügen. Sie saßen völlig unbeweglich da und blickten nach vorn, ohne etwas Bestimmtes anzuvisieren.
Ich war im Süden stationiert und parkte mit einem anonymen braunen Lieferwagen vor einem Musikgeschäft – ein Laden, den man in der Nähe eines Collegetors zu finden erwartet. Draußen auf dem Gehsteig standen Tische mit gebrauchten CDs, und in den Schaufenstern dahinter hingen Poster, die für Bands warben, welche kein Mensch kannte. Ich hatte die Hecktüren des Lieferwagens geöffnet. Auf der Ladefläche waren Pappkartons gestapelt. Ich hielt einen Packen Lieferscheine in der Hand, und weil es an diesem Aprilmorgen kalt war, trug ich einen kurzen Mantel. Ich hatte auch Handschuhe an, weil an den bereits aufgerissenen Kartons im Laderaum lose Klammern hingen. Ich trug eine Waffe, weil ich das oft tat. Sie steckte hinten im Hosenbund. Die Waffe war ein Colt Anaconda: ein riesiger Revolver aus rostfreiem Stahl, der 44er-Magnum-Patronen verschoss. Er war fünfunddreißig Zentimeter lang und wog über anderthalb Kilo. Als Waffe nicht gerade meine erste Wahl. Der Colt fühlte sich hart, schwer und kalt an, und ich war mir seiner Gegenwart ständig bewusst.
Ich blieb mitten auf dem Gehsteig stehen, schaute von meinen Lieferscheinen auf und hörte den Motor des weit entfernten Pick-ups anspringen. Er fuhr jedoch nicht los, sondern blieb mit laufendem Motor stehen. Es war früh und die Straße noch menschenleer. Ich trat hinter meinen Lieferwagen und blickte die Fassade des Musikgeschäfts entlang zu den Collegegebäuden. Sah vor einem davon einen schwarzen Lincoln Town Car warten, neben dem zwei Männer standen. Sie sahen auch aus hundert Metern Entfernung nicht gerade wie Chauffeure aus. Chauffeure treten nicht paarweise auf, sind meist auch nicht jung und muskulös und wirken nicht angespannt und wachsam. Diese Kerle waren wohl eher Leibwächter.
Das Gebäude, vor dem der Lincoln parkte, schien irgendein kleines Studentenwohnheim zu sein. Über seiner massiven Holztür standen griechische Buchstaben. Während ich die Szene beobachtete, ging die schwere Tür auf, und ein hagerer Junge trat ins Freie. Er hatte langes, fettiges Haar, war mager und wie ein Obdachloser gekleidet, führte aber eine Reisetasche bei sich, deren teures Leder glänzte. Einer der Leibwächter passte auf, während der andere die Autotür aufhielt. Der Junge warf seine Reisetasche auf den Rücksitz und rutschte ebenfalls ins Wageninnere. Er schloss die Tür selbst. Der Knall, mit dem sie zufiel, kam schwach und gedämpft bei mir an. Die Leibwächter blickten sich kurz um und stiegen dann beide vorn ein. Im nächsten Augenblick fuhr der Wagen an. Dreißig Meter dahinter rollte ein Fahrzeug des College-Sicherheitsdienstes langsam hinter ihm her – nicht etwa, um eine Kolonne zu bilden, sondern nur zufällig in dieselbe Richtung unterwegs. Es war mit zwei Security-Leuten besetzt. Die beiden hockten tief in ihren Sitzen und wirkten gelangweilt.
Ich zog die Handschuhe aus, warf sie hinten in meinen Lieferwagen und trat auf die Straße hinaus, um alles besser beobachten zu können. Ich sah den Lincoln mit mäßiger Geschwindigkeit die Zufahrt entlangkommen. Er war schwarz, makellos gepflegt und verfügte über reichlich Chrom. Die Collegecops befanden sich weit dahinter. Der Wagen hielt kurz an dem mit Ornamenten geschmückten Tor, dann bog er links ab und fuhr nach Süden auf den schwarzen Caprice des Kriminalbeamten zu. Auf mich zu.
Was dann geschah, dauerte acht Sekunden, die mir jedoch nur wie ein Wimpernschlag erschienen.
Der blassrote Pick-up fuhr zwanzig Meter hinter dem Caprice an. Er beschleunigte stark, schloss zu dem Lincoln auf, zog nach links und holte ihn genau auf Höhe des schwarzen Dienstwagens ein. Dann beschleunigte er noch etwas, und sein Fahrer riss das Lenkrad so nach rechts, dass die Ecke des Rammbügels den Kotflügel des Lincoln genau in der Mitte traf. Der Fahrer des Pick-ups ließ das Lenkrad eingeschlagen und den Fuß auf dem Gaspedal und drängte den Lincoln von der Fahrbahn aufs Bankett ab. Der Lincoln wurde abrupt langsamer und knallte dann frontal an einen Baum. Metall verbog sich kreischend, Scheinwerferglas zersplitterte, und aus dem Kühler stieg eine riesige Dampfwolke auf.
Die beiden Männer stürmten aus ihrem Pick-up. Sie hatten schwarze Maschinenpistolen, mit denen sie den Lincoln unter Feuer nahmen. Ihr Hämmern war ohrenbetäubend laut, und ich sah die Messinghülsen verschossener Patronen in weitem Bogen auf den Asphalt regnen. Dann erreichten die Kerle die Türen des Lincoln. Rissen sie auf. Einer von ihnen begann den Jungen herauszuzerren. Der andere gab noch einen Feuerstoß auf die Vordersitze ab, griff anschließend mit der linken Hand in seine Tasche und holte so etwas wie eine Handgranate heraus. Warf sie in den Lincoln, knallte die Türen zu, packte seinen Kumpel und den Jungen an den Schultern, drehte sie weg und zwang sie mit sich in die Hocke. Im Wageninneren blitzte eine gleißend helle Detonation auf. Alle Fenster zersplitterten. Obwohl ich über zwanzig Meter entfernt war, nahm ich den Explosionsdruck ganz deutlich wahr. Glassplitter spritzten nach allen Seiten. Dann rappelte sich der Kerl, der die Handgranate geworfen hatte, auf und spurtete zur Beifahrertür des Pick-ups. Der andere stieß den Jungen vor sich her ins Fahrerhaus und zwängte sich hinter ihm hinein. Die Türen wurden zugeknallt, und ich sah den Jungen zwischen den Kerlen eingezwängt auf dem Mittelsitz hocken. Auf seinem Gesicht zeichnete sich Entsetzen ab. Er war vor Schock leichenblass, und trotz der schmutzigen Windschutzscheibe konnte ich erkennen, wie er den Mund zu einem stummen Schrei aufriss. Ich hörte den Motor aufheulen und die Reifen quietschen, und dann kam der Pick-up direkt auf mich zu.
Der Wagen war ein Toyota. Ich konnte das Wort TOYOTA hinter dem Rammbügel auf der Motorhaube lesen. Er war hochbeinig, und ich sah das große schwarze Differenzial in der Vorderachse. Es hatte die Größe eines Fußballs. Allradantrieb. Riesige Breitreifen. Beulen und verblasster Lack, der seit der Auslieferung nicht mehr gewaschen worden war. Er kam genau auf mich zu.
Mir blieb weniger als eine Sekunde, um mich zu entscheiden.
Ich schlug meinen Mantel zurück und zog den Colt. Zielte sehr sorgfältig und schoss ein Mal auf den Kühlergrill des Toyota. Der große...