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Rache ist sauer

George Orwell

 

Verlag Diogenes, 2012

ISBN 9783257602494 , 192 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

[10] Rückblick auf den Spanischen Krieg

I

Vor allem andern die sinnlichen Erinnerungen: die Geräusche, die Gerüche und das Äußere der Dinge.

Es ist sonderbar, daß mir lebhafter als alles, was später während des Spanischen Krieges kam, die Woche der sogenannten Ausbildung im Gedächtnis geblieben ist, die ich durchmachen mußte, bevor ich an die Front geschickt wurde; die weiträumigen Kavallerie-Baracken in Barcelona mit den zugigen Ställen und den mit Kopfsteinen gepflasterten Höfen, das eiskalte Wasser der Brunnen, in denen man sich wusch, das schlechte Essen, nur durch den Wein aus Krügen erträglich gemacht, die weiblichen Milizsoldaten in Hosen, die Brennholz machten, und der Namensaufruf frühmorgens, bei dem mein prosaischer englischer Name leicht komisch gegen die klangvollen spanischen wirkte, gegen den Manuel Gonzalez, Pedro Aguilar, Ramon Fennellosa, Roque Ballaster, Jaime Domenech, Sebastian Viltron, Ramon Nuvo Bosch. Ich erwähne diese Männer besonders, weil ich mich an das Gesicht jedes einzelnen von ihnen erinnere. Außer zweien, ziemlichen Lumpen und sicher guten Faschisten, dürften alle andern heute tot sein. Der älteste wäre jetzt etwa 25, der jüngste 16.

Eine der wesentlichen Erinnerungen an den Krieg hängt untrennbar mit dem widerwärtigen Gestank menschlichen Ursprungs zusammen. Latrinen sind ein abgedroschenes Thema der Kriegsliteratur, und ich hätte es auch nicht erwähnt, wenn die Latrinen in unseren Baracken nicht ihr Teil dazu beigetragen hätten, meine Illusionen über den Spanischen Bürgerkrieg erheblich herabzumindern. Der [11] südliche Typ der Latrine, mit der man zu kämpfen hat, ist schon schlimm genug, aber unsere waren aus einer Art von poliertem Stein, der so glatt war, daß man die größte Mühe hatte, sich auch nur auf den Füßen zu halten. Dazu kam, daß sie immer verstopft waren. Nun habe ich genug andere abstoßende Dinge in meinem Gedächtnis bewahrt, aber ich glaube, es waren diese Latrinen, die in mir zum ersten Mal den Gedanken aufkommen ließen, der später so oft wiederkehrte: »Hier sind wir, Soldaten einer revolutionären Armee, welche die Demokratie gegen den Faschismus verteidigt, und wir kämpfen in einem Krieg, in dem es offensichtlich um etwas geht, um die Umstände, unter denen wir leben, sind so ekelhaft und entwürdigend wie in einem Gefängnis, ganz zu schweigen von einer Armee der Bourgeoise.« Meine Eindrücke wurden später noch durch vieles andere verstärkt, die Langeweile zum Beispiel und der tierische Hunger im Schützengraben, die schmierigen Intrigen um ein bißchen Essen, die zermürbenden Zänkereien von Leuten, die, durch Mangel an Schlaf erschöpft, an Einbildungen litten.

Das wirklich Furchtbare am Leben in einer Armee (wer je Soldat war, weiß, was ich meine) hat im Grunde kaum etwas mit dem Wesen des Krieges zu tun, in dem man zufällig kämpft. Disziplin zum Beispiel ist schließlich in jeder Armee dieselbe. Befehle müssen befolgt und notfalls durch Strafen erzwungen werden, das Verhältnis zwischen Offizieren und Mannschaft ist das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen. Das Bild des Krieges, wie er in Büchern wie Im Westen nichts Neues* [* von Erich Maria Remarque, erschienen 1929.] geschildert wird, ist im wesentlichen richtig. Geschosse verwunden, Leichen stinken, Männer unter feindlichem Feuer sind oft so von Angst gepackt, daß sie in die Hosen machen. Richtig ist, daß der soziale Hintergrund einer Armee ihr auch sein Gepräge [12] geben wird, ihrer Ausbildung, ihrer Taktik und ihrer Schlagkraft. Und selbstverständlich kann auch das Bewußtsein, für eine gerechte Sache zu kämpfen, die Moral heben, obwohl das mehr für die Zivilbevölkerung gilt als für die Armee. (Es wird immer vergessen, daß ein Soldat irgendwo in Frontnähe viel zu hungrig, von Angst besessen, unter der Kälte leidend, vor allem viel zu müde ist, um sich Gedanken über die politischen Ursachen des Krieges zu machen.) Aber die Naturgesetze sind in einer ›Roten Armee‹ so wenig aufgehoben wie in einer weißen. Eine Laus ist eine Laus und eine Bombe ist eine Bombe, auch wenn die Sache, für die man kämpft, zufällig die gerechte ist.

Warum lohnt es sich, so eingehend über etwas zu reden, das so offensichtlich ist? Weil die Mehrzahl der englischen und amerikanischen Intellektuellen diese Dinge damals offenbar nicht zur Kenntnis nahm, genauso wenig wie heute. Unser Gedächtnis ist kurz geworden, aber man braucht nur ein wenig zurückzuschauen, die alten Nummern von New Masses und Daily Worker herauszusuchen und einen Blick auf den romantischen, kriegshetzerischen Stuß zu werfen, den unsre Linken zu jener Zeit von sich gaben. Alle die abgestandenen alten Phrasen! Und die phantasielose Hornhäutigkeit! Das ›sang froid‹, mit dem London über die Bombardierung von Madrid hinwegging! Ich will mich hier nicht mit der Gegenpropaganda der Rechten auseinandersetzen, den Lunns, Garwick et hoc genus. Das alles versteht sich von selbst. Aber: hier waren die gleichen Leute am Werk, die zwanzig Jahre lang sich nicht genug tun konnten an Spott und Verachtung für den ›Kriegsruhm‹, für Greuelgeschichten, Patriotismus, ja selbst physische Tapferkeit, und die nun einen Blödsinn auftischten, der mit der Änderung von ein paar Namen in den Daily Mail von 1918 gepaßt haben würde. Wenn es etwas gab, wozu die englische Intelligenz verpflichtet gewesen wäre, so war es die Verurteilung des Krieges, die These, daß Krieg Leichen und [13] Latrinen bedeutet und niemals zu einem guten Ende führen kann. Nun gut, die gleichen Leute, die 1933 mitleidig lächelten, wenn jemand darauf hinwies, daß er unter bestimmten Umständen für sein Land kämpfen würde, bezeichneten einen 1937 als einen trotzkistischen Faschisten, wenn man bemerkte, daß die Berichte in den New Masses über Verwundete, die nichts sehnlicher verlangten, als an die Front zurückgeschickt zu werden, vielleicht übertrieben seien. Und die linke Intelligenz vollzog ihren Umschwung von ›Der Krieg ist die Hölle‹ zu ›Der Krieg ist heldenhaft‹ nicht nur ohne jedes Gefühl für die Unlogik ihrer Haltung, sondern auch ohne jeden Übergang. Später führte der große Haufe dieser Leute ebenso gewaltsame Kehrtwendungen durch. Es muß viele von ihnen gegeben haben, so etwas wie einen harten Kern von Intellektuellen, die 1935 für die ›König und Vaterland‹-Erklärung eintraten, 1937 nach einer ›festen Haltung‹ gegenüber Deutschland schrien, 1940 die ›People’s Convention‹ unterstützten und heute eine zweite Front fordern.

Was die breite Masse der Bevölkerung betrifft, so rühren die erstaunlichen Meinungsumschwünge der heutigen Zeit und die Gefühle, die sich auf- und abdrehen lassen wie ein Wasserhahn, von der Suggestivkraft von Zeitung und Radio her. Bei den Intellektuellen, würde ich sagen, hat das mehr mit Geld und der Sorge um die persönliche Sicherheit zu tun. Je nach Lage der Dinge werden sie in einem gegebenen Augenblick ›für den Krieg‹ oder ›gegen den Krieg‹ sein, aber in beiden Fällen fehlt ihnen völlig die reale Vorstellung, was der Krieg ist. Als sie sich für den Spanischen Krieg begeisterten, wußte natürlich jeder, daß dabei Menschen fielen und daß das eine sehr unangenehme Sache war, aber sie meinten, daß das Kriegserlebnis für einen Soldaten in der Republikanischen Armee nichts Herabwürdigendes sei. Die Latrinen stanken irgendwie weniger, die Disziplin war weniger drückend. Man brauchte nur in den New [14] Statesman zu schauen, um festzustellen, daß man das wirklich glaubte. Genau der gleiche Unsinn wird in diesem Augenblick über die ›Rote Armee‹ geschrieben. Wir sind zu zivilisiert geworden, um das Augenscheinliche wahrzunehmen. Denn die Wahrheit ist einfach. Um zu überleben, muß man oft kämpfen, und um zu kämpfen, muß man sich besudeln. Der Krieg ist ein Übel, und er ist manchmal das kleinere. Wer das Schwert ergreift, wird durch das Schwert umkommen, und wer das Schwert nicht ergreift, kommt durch stinkende Krankheiten um. Die Tatsache, daß man eine derart banale Banalität niederschreiben muß, zeigt, was die Jahre des Rentier-Kapitalismus aus uns gemacht haben.

II

In Verbindung mit dem, was ich eben ausgeführt habe, noch eine Randbemerkung über Kriegsgreuel.

Ich habe nur wenig prima facie Beweise für Akte der Grausamkeit während des Spanischen Bürgerkrieges. Ich weiß, daß einige von den Republikanern begangen worden sind und sehr viel mehr von der faschistischen Seite (sie werden noch heute begangen). Aber was mich damals wie heute beeindruckt, ist der Umstand, daß Greuel geglaubt oder nicht geglaubt werden, je nach dem politischen Standpunkt. Jeder glaubt an die Grausamkeiten der Feinde und bestreitet die seiner eigenen Seite, ohne sich auch nur die geringste Mühe zu machen, Beweise zu untersuchen. Kürzlich habe ich eine Liste über Greuel zusammengestellt, die in der Zeit zwischen 1918 und heute (1942) begangen worden sind. Es gibt kein Jahr, in dem nicht irgendwo auf der Welt Grausamkeiten verübt wurden, und es gab kaum einen einzigen Fall, an den Linke und Rechte übereinstimmend glaubten. Aber noch sonderbarer – jeden Augenblick kann die Lage plötzlich umschlagen: was gestern eine restlos erwiesene [15] Greuelgeschichte war, ist über Nacht eine faustdicke Lüge geworden, nur weil sich die politische Landschaft verändert hat.

Im gegenwärtigen Krieg sind wir in der seltsamen Lage, daß unsere ›Greuel-Kampagne‹ schon lange vorher in Szene gesetzt worden ist,...