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Faule Kredite - Ein Fall für Kostas Charitos

Petros Markaris

 

Verlag Diogenes, 2012

ISBN 9783257601787 , 400 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

10,99 EUR


 

[27] 4

Mit Gerichtsmediziner Stavropoulos gehe ich in den hinteren, sanft ansteigenden Teil des Gartens. Der Leiter der Kriminaltechnik, Fakidis, der bei diesem Einsatz persönlich dabei sein wollte, führt mit Dimitriou, seinem tüchtigsten Mitarbeiter, das Team der Spurensicherung an. Zwei Motorradfahrer der mobilen Einsatztruppe, die nach dem Anruf der Hausangestellten als Erste am Tatort waren, zeigen uns den Weg.

Das terrassierte Haus erstreckt sich über zwei Etagen. Der vordere Teil des Gartens, der vom Eingangstor bis zur Mitte des Grundstücks reicht, beeindruckt durch seine üppigen Rosenbeete. Danach folgt eine Abteilung mit Tomaten und anderem Gemüse. Eine weitreichende, verzweigte Bewässerungsanlage versorgt das ganze Gelände, und zwischen den Beeten verlaufen kleine Wege. Wir betreten einen der beiden Pfade, die den Gemüsegarten einfassen.

Am Haus vorbei gelangen wir in den hinteren Teil der Anlage mit einem reichen Baumbestand, der von Zypressen über Platanen bis hin zu Apfel-, Birn- und Kirschbäumen reicht. Der Rest besteht aus einer gepflegten Rasenfläche.

»Hier haben wir ihn gefunden«, erklärt der Motorradfahrer an der Spitze des Zuges.

Auf einer kleinen Lichtung linker Hand liegt ein von Weinreben umrankter Pavillon, der grau aus dem Grün des [28] Gartens hervorsticht. Im Schatten der Weinranke stehen ein Gartentisch und zwei einfache Klappstühle. Vor dem Pavillon ist unter einem weißen Laken der Umriss eines Körpers zu erkennen.

Getrieben von professioneller Neugier, lüftet Stavropoulos als Erster das Laken: Sissimopoulos’ kopflose Leiche kommt zum Vorschein. Es würgt mich in der Kehle, doch ich kämpfe den aufsteigenden Brechreiz nieder.

Zum Todeszeitpunkt trug der füllige Sissimopoulos ein khakifarbenes Hemd und eine gleichfarbige Hose, die mit Socken bekleideten Füße stecken in Sandalen.

Stavropoulos wirft einen schnellen Blick auf die Leiche. »Zunächst einmal sehe ich keine weitere Verletzung. Das heißt, der Kopf wurde nicht nachträglich abgetrennt. Sein Tod ist durch die Enthauptung eingetreten.«

An der linken Seite des Hemdes wurde ein weißes DIN-A4-Blatt mit einem riesigen »D« angeheftet.

»Ein Computerausdruck. Das gefällt mir gar nicht.«

»Mir auch nicht.«

Uns beiden ist klar, was dieses »D« alles bedeuten kann: eine Botschaft, die Handschrift eines Serienmörders, ein persönliches Markenzeichen. Dieses »D« und die Tatsache, dass er enthauptet wurde, deuten darauf hin, dass es noch weitere Morde geben wird. Und wir haben keine Ahnung, wer das nächste Opfer sein wird.

»Habt ihr den Kopf gefunden?«, fragt Stavropoulos.

Der zweite Motorradfahrer deutet auf einen kleineren Umriss, zehn Schritte entfernt am Fuß eines Apfelbaums. Diesmal ist Dimitriou schneller und lüftet als Erster das darübergebreitete Tuch. Als ich drankomme, sehe ich den [29] Kopf eines fünfundsechzig bis siebzig Jahre alten Mannes. Er trägt einen Kinnbart, und das verbliebene Haar an den Schläfen ist schütter. Seine Augen sind weit aufgerissen und starren voller Entsetzen in den Apfelbaum hoch. Der abstoßende Anblick der zerstückelten Leiche ruft allseits betretenes Schweigen hervor.

»Seine Kleidung lässt darauf schließen, dass er bei der Gartenarbeit überrascht wurde«, sagt Fakidis nach einer Weile.

»Geh, hol mir den Gärtner, der die Leiche gefunden hat«, sage ich zu Dermitsakis. Suchend blicke ich mich um. »Doch wenn er im Garten gearbeitet hat, müssen entsprechende Geräte herumliegen. Auf den ersten Blick sehe ich aber nichts.«

Vlassopoulos rüttelt an der Tür eines nahe gelegenen Schuppens. Dass sie verschlossen ist, entkräftet erneut die Hypothese der Gartenarbeit.

»Ich gehe den Schlüssel holen.«

»Spar dir die Mühe. Den hat der Gärtner bestimmt dabei«, entgegne ich, da der junge Mann gerade in Dermitsakis’ Begleitung auf uns zukommt. Er ist in den Dreißigern, trägt einen Overall und Sportschuhe und erinnert eher an den Mitarbeiter eines Kurierdienstes als an einen Gärtner.

»Liegt Sissimopoulos noch genau so da, wie Sie ihn vorgefunden haben?«

Er heftet seinen Blick auf den Geräteschuppen, bevor er mir antwortet: »Ja, genau so.«

»Schauen Sie auch wirklich hin, damit ein Irrtum ausgeschlossen ist«, beharrt Vlassopoulos.

»Glauben Sie mir, wie er dagelegen hat, vergesse ich mein [30] Lebtag nicht mehr. Der Anblick wird mich bis in meine Träume verfolgen«, erwidert der Gärtner.

Da die Frage rein theoretischer Natur ist, bestehe ich nicht weiter darauf. Wer hätte denn ein Interesse haben können, in den Garten einzudringen und die Position der Leiche zu verändern?

»Können Sie sich an die genaue Uhrzeit erinnern?«, frage ich.

»Ich komme jeden Morgen um sieben. Es kann heute auch eine Viertelstunde früher oder später gewesen sein.«

»Werden in dem Schuppen dort Werkzeug und Geräte aufbewahrt?«

»Genau.«

»Haben Sie den Schlüssel dazu?«

»Ja, ich schließe Ihnen auf.« Und vor lauter Erleichterung, die Leiche nicht mehr sehen zu müssen, stürmt er zum Geräteschuppen.

»Schau dich dort drinnen mal um«, sage ich zu Vlassopoulos.

»Wenn ihn der Gärtner heute Morgen gegen sieben gefunden hat, ist der Mord womöglich gestern Abend geschehen«, schlussfolgert Stavropoulos.

»Nicht unbedingt. Vielleicht war er ein Frühaufsteher und machte gerne einen Morgenspaziergang.«

»Dann haben wir vielleicht Glück, und es meldet sich jemand, dem ein Auto oder Moped in der Nähe der Villa aufgefallen ist«, stellt Dermitsakis fest.

»Kann sein, aber wahrscheinlicher ist, dass er ihm nachts im Garten aufgelauert hat«, halte ich ihm entgegen. »Hier scheint es keine Alarmanlage zu geben.«

[31] »Der Gärtner meint, alles Werkzeug sei an seinem Platz«, ruft Vlassopoulos vom Geräteschuppen herüber.

»Kann ich jetzt gehen?«, fragt der Gärtner, der dem grausigen Anblick ein für alle Mal entkommen möchte.

»Einen Moment noch. Hat sich Sissimopoulos selbst um den Garten gekümmert?«

»Nahezu täglich. Besonders um die Rosenbeete, die waren seine große Leidenschaft.«

»Wenn die Werkzeuge alle im Schuppen sind, können wir jedoch davon ausgehen, dass er nicht bei der Gartenarbeit getötet wurde. Dann lassen wir jetzt am besten Stavropoulos und Fakidis ihre Arbeit tun«, sage ich zu meinen Assistenten. »Gibt es festangestelltes Hauspersonal?«, frage ich den Gärtner.

»Ja, Frau Maria, die Haushälterin, und dann ist da noch Bill.«

»Und wer ist dieser Bill?«, frage ich überrascht.

»Sein Kammerdiener. Ein Afrikaner, glaube ich. Wie heißt so jemand schnell auf Englisch?«

»Butler«, meint Fakidis, der in England eine Weiterbildung absolviert hat.

»Ja, genau.«

Ich schicke meine beiden Assistenten los, um in Koropi eventuellen Hinweisen nachzugehen. In Begleitung des Gärtners steuere ich auf die Villa zu, steige die Marmortreppe hoch und trete in die Empfangshalle.

Erst jetzt wird mir die Größenordnung des Bauwerks bewusst. Sissimopoulos muss ein Vermögen dafür hingeblättert haben. Gleich hinter dem Eingang führt eine Treppe in die obere Etage hoch, rechts davon liegt eine kleine [32] Kammer, die als Mantelgarderobe dient. Auf derselben Seite führt eine zweiflügelige Tür in das Speisezimmer. Allein der riesige Esstisch mit seinen zwölf Stühlen nimmt den halben Raum ein, während in den Zimmerecken je ein Sessel steht. Zwei Glasvitrinen mit Silber- und Kristallgeschirr stehen einander an den Wänden gegenüber.

Anliegend befindet sich ein Wohnzimmer ähnlichen Ausmaßes – mit ausladenden Polstermöbeln, Sofas, eleganten Lehnsesseln und niedrigen, gedrechselten Tischchen. Die hintere Wand ist zur Gänze von einem Bücherregal verdeckt, davor steht ein Schreibtisch mit einem Computer. Offenbar hat Sissimopoulos das Wohnzimmer auch als Arbeitszimmer genutzt.

Nebenan befindet sich ein kleiner Raum mit Fernseher, Stereoanlage und entsprechendem Zubehör. Die Villa ist so weitläufig, dass man sich vorstellen kann, wie Sissimopoulos stundenlang durch die Zimmer wanderte, um seiner Einsamkeit zu entkommen.

»Und wo liegt die Küche?«, frage ich den Gärtner, da ich die Orientierung verloren habe.

»Kommen Sie.«

Hinter dem Aufgang zur ersten Etage führt eine weitere Treppe ins Untergeschoss. Obwohl ich es kaum erwarten kann, endlich diesen Bill kennenzulernen, fange ich lieber nach alter Tradition bei der einheimischen Haushälterin an.

Sie steht in einer Küche, die auch zu einem großen Restaurant gehören könnte. Sie ist um die sechzig, einfach gekleidet, mit ergrautem Haar und einem sanften, freundlichen Gesicht. Ihre Augen sind vom Weinen geschwollen.

»Ich möchte Sie jetzt nicht mit meinen Fragen quälen«, [33] erkläre ich ihr. »Ich frage nur das Nötigste, und wenn ich noch etwas brauche, dann melde ich mich bei Ihnen. Wohnen Sie im Haus?«

»Nein, aber hier in der Nähe. Ich komme um acht und bleibe bis fünf Uhr nachmittags.«

»Erzählen Sie, was heute Morgen geschehen ist.«

»Iordanis, der Gärtner, hat am Gartentor auf mich gewartet. Er war so aufgeregt, dass er zunächst kein Wort herausgebracht hat. Als mir klar wurde, was passiert war, bin ich sofort ins Haus gelaufen und habe die Polizei gerufen.«

»Warum hat der Gärtner das nicht gleich selbst getan?«

»Weil er nicht ins Haus kann. Er hat...