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Unschuldiges Begehren - Roman

Sandra Brown

 

Verlag Blanvalet, 2012

ISBN 9783641103224 , 256 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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6,99 EUR


 

1


»Ashton«, meldete sich Hailey und drückte auf den erleuchteten Knopf der Gegensprechanlage.

»Miss Ashton, hier spricht Dawson.« Das statische Knistern und die Hintergrundgeräusche machten deutlich, dass der Wachmann in seinen Taschenpiepser sprach. »Kommen Sie bitte möglichst schnell zum Sidewinder. Hier ist die Hölle los, ohne dass irgendjemand sagen kann, was genau passiert ist.«

Ihr war sofort klar, dass dies ein Notruf war. Denn der ruhige, zuverlässige Mr Dawson klang vollkommen erschüttert. »Was ist los?« , fragte sie in professionell nüchternem Ton.

»Tja, dieser Typ hier macht ein Riesenaufhebens und schreit wie am Spieß, weil angeblich irgendwas mit seiner Tochter ist. Nach allem, was ich bisher mitbekommen habe, ist die Kleine auf die Damentoilette gerannt und hat sich dort eingesperrt. Inzwischen hat der Kerl eine ziemlich große Menschenmenge angelockt, und die Leute stellen alle möglichen Spekulationen an …«

»Bin sofort da.«

»Soll ich Ihnen einen Wagen schicken? Es ist heißer als …«

»Nein, ich komme zu Fuß«, antwortete Hailey schnell. »Versuchen Sie erst mal, alle zu beruhigen, Dawson. Vor allem den Vater.«

»Alles klar.«

Er schaltete seinen Piepser wieder aus, und Hailey rannte los und rief ihrer Assistentin über die Schulter »Charlene, halten Sie bitte hier die Stellung!« zu. Haileys rundum verglastes Büro lag direkt neben dem Haupteingang des Freizeitparks. Während sie sich einen Weg durch das Gedränge der Besucher bahnte, die, mit Kindern im Schlepptau und mit Kameras bewaffnet, durch die Drehkreuze auf das Gelände strömten, raubte die für September ungewohnte Hitze ihr die Luft.

Ein Gast hielt alle anderen in der Schlange auf, da er mit der Angestellten wegen einer ermäßigten Eintrittskarte stritt. Als Hailey an ihr vorüberstürzte, atmete die arme Frau erleichtert auf. »Miss Ashton …«

»Gibt es irgendein Problem, Sir?« , wandte sie sich dem Besucher zu, während sie gedanklich bei dem anderen Notfall war.

»Allerdings«, erklärte ihr der Mann in kämpferischem Ton. »Sie sagt, dass sie meinen Sohn nicht mit diesem Ticket reingehen lassen kann. Dabei ist er erst drei und kann sowieso nicht mit den großen Sachen fahren. Ich dachte …«

»Bitte, Sir, gehen Sie mit Ihrer Familie einfach durch. Ich bin sicher, dass die Eintrittskarte gültig ist«, versicherte ihm Hailey schnell. Diese Entscheidung war weder dem Management des Parks noch der Angestellten noch den anderen Gästen, die den vollen Eintrittspreis für ihre dreijährigen Kinder zahlten, gegenüber fair, aber sie hatte einfach keine Zeit, um näher auf die Sache einzugehen. Deshalb würde sie nachher noch einmal zu der Angestellten gehen und ihr deutlich machen, dass die Weigerung, den Kleinen kostenlos hereinzulassen, vollkommen korrekt gewesen war.

Mit einem knappen Kopfnicken, als der Mann ihr überschwänglich dankte, lief sie weiter durch das Tor in dem hohen grauen Holzzaun, der das für das Publikum gesperrte Areal des Parks umgab. An diesem Samstagnachmittag war der Serendipity-Freizeitpark ausnehmend gut besucht, und je größer die Besucherzahl, umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass es zu irgendwelchen Krisen kam. Doch als Empfangschefin war Hailey den Umgang mit entweder durch Gott oder den Menschen verursachten kleineren Notfällen gewohnt.

Ihre mit leichten Absätzen versehenen Sandalen waren zum Joggen nicht unbedingt ideal, aber sie marschierte eilig über den in der für diese Jahreszeit untypischen Hitze flimmernden Asphalt. Ihr blütenweißer Rock wehte um ihre schlanken Beine, und sie konnte spüren, wie der Schweiß durch die grüne Baumwollbluse mit dem unterhalb von ihrem Plastiknamensschild diskret platzierten Logo ihrer Arbeitsstätte drang. Ein Glück, dass sie ihr Haar heute in einem Knoten trug, denn sonst hätten sich die schulterlangen kupferroten Strähnen in der feuchten Hitze sicher wild gelockt.

In Rekordzeit überquerte sie das Areal und trat wieder durch ein Tor. Aus dem Country Roads Theater, in dem Collegestudenten sechsmal täglich eine Revue zum Besten gaben, strömten gerade die Besucher, und sie wurde von der Menschenmenge regelrecht verschluckt.

Ihrem breiten Lächeln war nicht anzusehen, dass sich ihre Gedanken überschlugen. Ein kleines Mädchen hatte sich auf der Toilette eingesperrt? Was in aller Welt war wohl mit ihm passiert? Trotz ihrer Eile bückte sie sich nach dem Zigarettenstummel, der von einem achtlosen Besucher einfach fallen gelassen worden war. Wenn sich irgendwer vom Personal dabei erwischen ließ, dass er achtlos an irgendwelchem Müll vorüberlief, wurde er umgehend an die Luft gesetzt. Hauptsächlich jedoch sorgte das Heer von Wartungskräften, die in ihren leuchtend grünen Uniformen überall auf dem Gelände anzutreffen waren, dafür, dass der gesamte Park allzeit blitzsauber war.

Hailey kam an einem der großen Souvenirläden vorbei, in dem es Poster, T-Shirts, Kaffeebecher sowie jede Menge anderer Andenken an den Nationalpark Great Smoky Mountains, den Staat Tennessee und das Örtchen Gatlinburg zu kaufen gab. Die Geschäfte gingen offenkundig gut.

Allerdings war das Gedränge in dem Shop nicht mal annähernd so groß wie die neugierige Menge, die vor der Toilette gleich neben dem Sidewinder versammelt war. Die Achterbahn war derart groß und furchteinflößend, dass Hailey noch nie damit gefahren war. Jetzt aber achtete sie kaum auf das riesige Gerüst, sondern bahnte sich mit einem höflichen »Entschuldigung, Entschuldigung« und unter gleichzeitigem Einsatz ihrer Ellenbogen einen Weg durch das Gewühl. »Entschuldigung.« Sie schob sich an einem Mann vorbei, der ein tropfendes Eis in seinen Händen hielt, bevor sie praktisch mit Dawson zusammenstieß.

»Dawson.« Sie tippte ihn vorsichtig an der Schulter an.

Er wirbelte zu ihr herum. »Miss Ashton, Gott sei Dank …«

»Ist das endlich die Frau, auf die wir eine Ewigkeit gewartet haben?«

Die Stimme klang verächtlich, ungeduldig und erbost. Ihr Klang gab Hailey deutlich zu verstehen, dass es sich wohl kaum gelohnt hatte, so lange auf sie zu warten. Sie machte auf dem Absatz kehrt und sah in ein Paar harter grauer Augen unter zornig zusammengezogenen dunklen Brauen.

»Ich bin Hailey Ashton, die …«

»… Empfangschefin«, beendete er spöttisch ihren Satz, während er ihr Dekolleté und ihr Namensschild musterte. »Ersparen Sie mir Ihre ausschweifende Rede. Ich verlange, dass nun endlich was passiert.« Erst jetzt schaute er ihr wieder ins Gesicht. Für einen kurzen Moment erlosch der Zorn in seinem Blick, und er starrte sie mit großen Augen an. Dann atmete er hörbar ein, blinzelte und stieß mit harscher Stimme aus: »Etwas ist mit meiner Tochter passiert, aber statt endlich irgendwas zu unternehmen, stehen alle nur idiotisch rum.«

»Bitte beruhigen Sie sich, Sir, und sagen Sie mir, was geschehen ist«, bat Hailey ihn in strengem Ton. »Wenn Sie die Beherrschung verlieren, helfen Sie weder Ihrer Tochter noch sich selbst.«

Wäre die Situation nicht so dringend gewesen, hätte Hailey ihn wahrscheinlich nicht so unverhohlen kritisiert. Der Mann sah nicht so aus, als ob er sich Kritik gefallen ließ. Doch durch seine Empörung und die beleidigende Art, in der er mit ihr sprach, wurde das Problem ganz sicher nicht gelöst.

Wütend starrte er in ihre kühlen grünen Augen. Ihre nüchterne Beherrschung rang mit seiner zunehmenden Wut und gewann die Oberhand. Zähneknirschend gab er sich geschlagen und fuhr etwas ruhiger fort:

»Wir standen in der Schlange für das Ding da …« Er wies auf die Achterbahn. »Plötzlich wurde meine Tochter ohne ersichtlichen Grund kreidebleich, fing an zu schreien und rannte los. Ich lief ihr hinterher, aber sie war bereits auf die Damentoilette gestürzt, und die militante Klofrau dort hat mir den Weg versperrt. Ich …«

Hailey wandte ihm den Rücken zu. »Ist sie noch immer da drin?« , erkundigte sie sich bei Dawson, der mit dem Kopf nickte.

»Wie heißt sie?« , fragte sie den Vater, dessen Frustration sich noch verdreifacht hatte, als sie ihm einfach ins Wort gefallen war.

»Wie sie heißt?« , schrie er sie an. »Um Gottes willen, was macht das für einen Unterschied? Vielleicht ist ihr etwas Schreckliches passiert, und Sie stehen hier wie ein Roboter und wollen von mir wissen …«

»Ihr Name«, wiederholte sie.

Er raufte sich das bereits wirre dunkle Haar. »Sie heißt Faith. Verdammt, ihr Name ist Faith.«

»Danke.« Hailey lief auf die Toilette zu und rief über ihre Schulter: »Dawson, bitte schicken Sie die Leute weg. Bestellen Sie einen Wagen, und sagen Sie auf der Krankenstation Bescheid, dass ich vielleicht jemanden vorbeibringe.« Sie vergewisserte sich nicht, ob er tat, wie ihm geheißen. Denn auf Dawson war Verlass. Und genauso wenig blickte sie noch einmal auf den großen, breitschultrigen Mann, der ihr, wie sie wusste, wie ein rachsüchtiger Krieger auf den Fersen war.

Als sie in das kühle Häuschen kam, brauchte sie einen Moment, um ihre Augen nach dem blendend hellen Sonnenlicht an die dämmrige Umgebung zu gewöhnen.

Die Toilettenfrau trat lächelnd auf sie zu, und noch ehe Hailey irgendetwas fragen konnte, setzte sie zu einer ausholenden Erklärung an.

»Miss Ashton, es waren ein paar Frauen hier, und ich habe gerade eines der Waschbecken geputzt, als plötzlich dieses Mädchen schreiend durch die Tür gelaufen kam. Es hat sich in der hintersten Kabine eingesperrt. Ich habe versucht, die Kleine dazu zu bringen, dass sie mir die Tür aufmacht, aber sie weigert sich. Ich habe mich sogar auf den Toilettendeckel nebenan gestellt...