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Teufelshatz - Die Chroniken des Hagen von Stein 2 - Roman

André Wiesler, Angela Kuepper

 

Verlag Heyne, 2010

ISBN 9783641044411 , 480 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

WES’ BROT ICH ESS’ … (S. 39-40)

Hagen stieß die niedrige Tür des Fachwerkbaus hinter sich zu und löschte damit seinen lang gezogenen Schatten mit der blutroten Aura aus, den ihm die Morgensonne beschert hatte. Sonnenaufgang in Prag, dachte er und verzog das Gesicht, als ihn ein entfernter Schmerz daran erinnerte, wie gern er diesen einst beobachtet hatte. Bei gutem Wetter erst ein mattes Schimmern am Horizont, dann das rote Glühen, bis sich der aufgedunsene Leib der Himmelsscheibe über den Horizont wuchtete und Prag in eitles Gleißen hüllte.

Er hatte den Sonnenaufgang seit seinem Tod so oft gesehen, dass nichts Mystisches mehr daran war. Doch war sein Tod vielmehr ein Mord gewesen … man hatte ihn ermordet für ein Verbrechen, zu dem er verleitet worden war, ihn, den stolzen und aufrechten Krieger Gottes, umgebracht und dann zu einem Leben als Knecht der Wariwulf wiedererweckt. So viele Jahre waren vergangen seit jener Nacht, in der er sich aus ungesegneter Erde gegraben hatte und nur mehr Eberwin, seinen treuen Freund, auf seiner Seite fand. Sein Gefährte war zu seinem Mentor geworden, hatte ihn in das Leben als Bletzer eingeführt, ihm die ersten, schweren Schritte erleichtert, und Hagen war ihm bis heute dankbar dafür.

Ohne ihn wäre er vielleicht nie in der Lage gewesen, seinen Stolz in sein Inneres zu verlagern und ihn dort vor all den niederen Diensten zu verbergen, die er als Knecht der Wariwulf erdulden musste. Und es war auch Eberwin gewesen, der ihm gezeigt hatte, welche Wonnen selbst das untote Leben bereithielt … Er schritt den engen Flur entlang, machte einen Bogen um die offen stehende Tür zum Keller, aus dem leises Rumoren drang, und lächelte noch immer traurig über den Sonnenaufgang. Bis in seine Erinnerung hatten sich die vergangenen zweihundert Jahre gefressen, sie nagten an den Augenblicken, die ihm einst Freude gebracht hatten, und zogen sie in den Schatten seiner untoten Existenz, wo sich Verbitterung wie Schimmel über sie legte.

»Guten Morgen, Hagen«, unterbrach Hilda in der kleinen Küche ihr fröhliches Lied und wischte sich die kurzen, dicken Finger an der noch blütenweißen Schürze ab. Über den Tag würden zahlreiche Flecken sie färben wie das Hemd eines Feldschers. Ein silbernes Tablett mit halb verzehrtem Brot und Kompott bewies, dass Stettler, der Herr des Hauses, sein Frühstück schon hinter sich hatte. Eines musste man dem Mistkerl lassen, er begann seinen Tag früh. Hagen nickte ihr zu und fragte dann: »Wo ist er?« Hilda lachte, als habe er einen gelungenen Scherz gemacht, dabei hüpfte ihr runder Bauch wie ein schwimmendes Fass auf den Wellen. »Wo soll er schon sein?« Hagen lächelte sie kurz an, aber es war nur eine einstudierte, leere Geste.

Tatsächlich bohrte sich die überbordende Lebensfreude der Köchin wie ein Stachel in sein Herz, denn sie zeigte ihm, was man ihm genommen hatte - und was er sich nur auf eine Weise zurückholen konnte. Verstohlen berührte sein Finger kurz seine Lippen, schmeckte er in Gedanken der süßen Wonne nach. Dann stieg er die knarrende Treppe hinauf. Er machte sich keine Sorgen darum, was er seinem Herrn berichten, wie er seine Verspätung von einem ganzen Tag rechtfertigen sollte.

Das Lügen war ihm so in Fleisch und Blut übergegangen, seit Eberwin ihm die ersten Geheimnisse der Bletzer offenbart hatte, dass er selbst manchmal überlegen musste, wie die Wahrheit aussah. Die schmucklose Tür des Schlafgemachs und das kleine Stadthaus unweit des mit Jesuiten vollgestopften Klementinums täuschten absichtlich über den Reichtum Egon Ludwig von Stettlers hinweg, eine List, um die Feinde, deren Zahl Legion war, über den wahren Einfluss des Intriganten hinwegzutäuschen. Hagen klopfte und trat ein. Stettler - Hagen konnte es nicht über sich bringen, diesem Feigling in Gedanken einen Ehrentitel zuzugestehen, und so starb das »von« einen kläglichen Tod - saß wie so oft voll bekleidet im Bett, die Decke trotz der Hitze über die dürren Beine gebreitet.

Da Oberdecke und Laken den gleichen blassblauen Ton hatten, wirkte es auf den ersten Blick, als habe man den Mann knapp unter dem ausladenden, prallen Bauch abgehackt. »Hagen?«, sagte er, und seine näselnde Stimme trug diesen etwas überraschten Tonfall, mit dem er sich stets zu wundern schien, wie jemand seine Anweisungen missachten konnte, ja, wie das Volk es wagen konnte, nicht nach seinen Wünschen zu fragen. Hagen verneigte sich und trat auf Stettlers Wink einige Schritte näher, bis er direkt neben dem ausladenden Bett stand.

Die Vorhänge waren an den mit Putten und Rankenkrautschnitzereien verzierten Pfosten festgebunden, doch der Geruch, in vielen Nächten und Tagen angesammelt, war noch nicht abgezogen. Es schien heutzutage die Art der feinen Leute zu sein, möglichst viel Zeit im Bett zu verbringen. Hagen war froh, dass er nur gelegentlich Atem zu holen brauchte, und er achtete darauf, diesen durch den Mund einzusaugen. »Bericht«, forderte Stettler barsch, aber der ewige Schnupfen, der sich seiner Nase bemächtigt hatte, ließ es wie Bedicht klingen. Hagen brauchte nicht darauf zu warten, dass Stettler ihn mit einem ungezwungenen Klopfen auf die Überdecke einlud, sich zu ihm aufs Bett zu setzen. Dieses Privileg war den engen Freunden des Hausherrn vorbehalten und stand dem Inventar nicht zu.

Da Hagen die kleinen, huschenden Punkte auf der Überdecke deutlich sah, die sich von dem Baldachin nicht hatten abhalten lassen, war er darüber nicht böse. Blutsauger, ging es ihm durch den Kopf, und er hätte beinahe geschmunzelt. »Wie Sie wünschten, hat die Dame Franz Bernhard in ihr Bett gelockt und dafür gesorgt, dass es bemerkt wird«, sagte er stattdessen leise. »Sie bat mich auszurichten, damit sei ihre Schuld Ihnen gegenüber abgegolten.«