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Der Mann, der glücklich sein wollte - Unterwegs auf der Reise zu sich selbst

Laurent Gounelle

 

Verlag Goldmann, 2010

ISBN 9783641037376 , 224 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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6,99 EUR


 

Ich wollte nicht von Bali abreisen, ohne ihn getroffen zu haben. Warum, weiß ich nicht. Ich war nicht krank, war sogar immer bei bester Gesundheit gewesen. Ich hatte mich über seine Honorare erkundigt, denn da mein Aufenthalt bald zu Ende ging, war mein Portemonnaie fast leer. Ich wagte nicht einmal mehr, aus der Ferne mein Konto abzufragen. Die Leute, die ihn kannten, hatten mir gesagt: »Du gibst so viel, wie du magst, und schiebst den Geldschein in die kleine Schatulle auf dem Regal.« Gut, das hatte mich beruhigt; trotzdem ängstigte mich ein wenig die Vorstellung, dem Mann, der Gerüchten zufolge den Premierminister Japans behandelt hatte, einen derart geringen Betrag zu überlassen.
Es war schwierig, sein Haus zu finden, abgelegen in einem kleinen Dorf, einige Kilometer entfernt von Ubud im Zentrum der Insel. In diesem Land gibt es aus
mir unerfindlichen Gründen praktisch keine Hinweisschilder. Man kann einen Plan zu Rate ziehen, wenn man Orientierungspunkte hat, ansonsten ist er ebenso unnütz wie ein Mobiltelefon in einer Gegend ohne Empfang. Natürlich blieb noch die einfache Lösung: Passanten nach dem Weg fragen. Das hat mir nie Probleme bereitet, auch wenn ich ein Mann bin. Bisweilen scheint es mir nämlich, dass die meisten Männer ihre Virilität zu verlieren meinen, wenn sie sich zu so etwas herablassen müssen. Sie ziehen es vor, sich hinter hartnäckigem Schweigen zu verschanzen, das zu verstehen gibt: »Ich weiß Bescheid«, und tun, als würden sie sich zurechtfinden - bis sie völlig verloren umherirren und ihre Frau ihnen vorhält: »Ich hab dir doch gleich gesagt, dass wir jemanden hätten fragen sollen.«
Das Dumme auf Bali ist nur: Die Leute sind derart freundlich, dass sie immer Ja sagen. Wirklich. Wenn man zu einem Mädchen sagt: »Ich finde Sie sehr hübsch«, schaut es einen mit schönem Lächeln an und erwidert: »Ja«. Und wenn man nach dem Weg fragt, sind sie derart bestrebt, einem zu helfen, dass ihnen das Eingeständnis, dazu nicht in der Lage zu sein, unerträglich erscheint. Also deuten sie, zweifellos aufs Geratewohl, in irgendeine Richtung.
Infolgedessen war ich ein bisschen genervt, als ich endlich vor dem Eingang des Gartens stand.
Ich hatte mir - keine Ahnung, warum - ein ziemlich luxuriöses Haus vorgestellt, wie man es manchmal auf Bali sieht, mit von Lotosblüten bedeckten Bassins, im schützenden Schatten der Frangipanis, deren große weiße Blüten einen so betörenden Duft verströmen, dass es fast schamlos wirkt. Dieses Anwesen hingegen bestand aus mehreren miteinander verbundenen Pavillons ohne Wände. Wie der Garten waren sie von großer Schlichtheit, ziemlich schmucklos, ohne deswegen ärmlich zu wirken. Eine junge Frau kam mir entgegen, eingewickelt in ihren Sarong, das schwarze Haar zu einem Knoten hochgesteckt, mit gebräuntem Teint, kleiner, ebenmäßiger Nase und ohne Schlitzaugen - Züge, die mich bei dieser im Herzen Asiens verborgenen Bevölkerung schon immer erstaunt haben.
»Guten Tag, was möchten Sie?«, fragte sie, das Gespräch in eher gebrochenem Englisch beginnend.
Meine Einsneunzig und mein blondes Haar ließen kaum einen Zweifel an meiner abendländischen Herkunft.
»Ich bin gekommen, um Herrn ... äh ... Meister ... Samtyang zu sehen.«
»Er wird eintreffen«, informierte sie mich, um dann zwischen den Sträuchern und der Reihe kleiner Säulen zu verschwinden, welche die Dächer der Pavillons abstützten.
Ich blieb ein wenig verdutzt zurück, darauf wartend, dass Seine Hoheit geruhen würde, den demütigen Besucher zu empfangen. Nach fünf Minuten, die lang genug schienen, um mich zu Überlegungen über die Richtigkeit meines Hierseins zu veranlassen, sah ich, wie ein Mann von mindestens siebzig, vielleicht sogar achtzig Jahren sich näherte. Als Erstes ging mir der Gedanke durch den Kopf, dass ich ihm, wäre er mir auf der Straße als Bettler begegnet, sicherlich fünfzig Rupien gegeben hätte. Ich neige dazu, ausschließlich den Alten etwas zu spenden. Ich sage mir, wenn sie in ihrem Alter betteln, haben sie wirklich keine andere Wahl. Der Mann, der langsam in meine Richtung schritt, trug gewiss keine Lumpen, aber seine Kleidung war von einer entwaffnenden Nüchternheit, auf ein Minimum beschränkt und zugleich zeitlos.
Ich schäme mich zu bekennen, dass ich spontan dachte, mich in der Person geirrt zu haben. Es konnte sich nicht um den Heiler handeln, dessen Ruf bis in unsere Breiten reichte. Oder seine Gabe ging einher mit mangelnder Urteilsfähigkeit, und er akzeptierte, dass der Premierminister Japans ihn mit Erdnüssen bezahlte. Er hätte auch ein Marketing-Genie sein können, indem er auf eine leichtgläubige Klientel aus dem Westen abzielte, die - gierig nach Klischees wie dem des Heilers und Asketen, vollkommen losgelöst von materiellen
Dingen lebend - am Ende der Sitzung doch zu einer großzügigen Vergütung bereit wäre.
Er begrüßte und empfing mich auf einfache Art, sprach dabei mit viel Sanftmut ein sehr gutes Englisch. Sein strahlender Blick kontrastierte mit den Falten seiner gegerbten Haut. Das rechte Ohr offenbarte eine Missbildung, als wäre ein Teil des Läppchens abgetrennt worden.
Er forderte mich auf, ihm in den ersten Pavillon zu folgen - unter ein von vier kleinen Säulen getragenes, an eine alte Mauer geschmiegtes Dach, wo sich, der Mauer entlang, das besagte Regal befand, darauf eine Schatulle aus Kampferholz und am Boden eine Matte. Die geöffnete Schatulle quoll über von Schriftstücken, darunter einige Bildtafeln, die das Innere des menschlichen Körpers zeigten und mir in anderer Umgebung Lust gemacht hätten, laut loszulachen, so sehr wichen die Darstellungen vom gegenwärtigen medizinischen Wissen ab.
Bevor ich eintrat, zog ich mir die Schuhe aus, wie es der balinesischen Tradition entspricht.
Der alte Mann fragte, woran ich leide - was mich unversehens auf den Grund meines Hierseins zurückwarf. Was suchte ich eigentlich, da ich nicht krank war? Ich würde einem Mann die Zeit stehlen, dessen Aufrichtigkeit - um nicht zu sagen Rechtschaffenheit - ich zu spüren begann, auch wenn ich noch über keinen Beweis seiner Kompetenz verfügte. Hatte ich nur den Wunsch, dass jemand sich meinem Fall widmet, sich für mich interessiert, mir etwas sagt über MICH und, wer weiß, herausfindet, dass es ein Mittel gibt, durch das es mir noch besser geht? Wenn ich nicht einer Art Intuition gefolgt war ... Schließlich hatte man mir erzählt, dass er ein großer Mann sei, und ich empfand ganz einfach das Bedürfnis, ihn zu treffen.