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Blutnacht - Die Rachel-Morgan-Serie 6 - Roman

Kim Harrison

 

Verlag Heyne, 2010

ISBN 9783641042905 , 704 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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11,99 EUR


 

1
Ich lehnte mich über den Glastresen und schielte auf den Preis der hochwertigen Rotholz-Zauberstäbe, die so sicher wie Schneewittchen in ihren luftdichten Glassärgen lagen. Die Enden meines Schals rutschten nach vorne und verdeckten mir die Sicht, und ich schob sie wieder in den Kragen meiner kurzen Lederjacke. Ich sollte eigentlich überhaupt keine Zauberstäbe anschauen. Ich hatte das Geld nicht, aber, noch wichtiger, ich war heute nicht geschäftlich unterwegs – sondern auf einem rein privaten Spaß-Shoppingtrip.
»Rachel?«, meinte meine Mom am anderen Ende des Ladens und lächelte, als sie an einer Packung organischer Kräuter herumspielte. »Wie wäre es mit Dorothy? Wenn du Jenks haarig machst, könnte er als Toto gehen.«
»Auf keinen verfickten Fall!«, rief Jenks, und ich zuckte zusammen, als der Pixie von meiner Schulter abhob, wo er in die Wärme meines Schals gekuschelt gesessen hatte. Goldener Staub rieselte von ihm herab und bildete auf dem Tresen einen kurzen Sonnenstrahl, der den düsteren Abend erhellte. »Ich werde Halloween nicht damit verbringen, als Hund Süßigkeiten zu verteilen! Und auch nicht als Wendy oder Tinkerbell. Ich gehe als Pirat!« Sein Flügelschlag verlangsamte sich, als er neben den minderwertigen Rotholzscheiben für die Anfertigung von Amuletten auf dem Tresen landete. »Aufeinander abgestimmte Kostüme sind doof.«
Normalerweise hätte ich ihm zugestimmt, doch stattdessen zog ich mich schweigend vom Tresen zurück. Ich würde niemals genug verdienen, um mir einen Zauberstab zu kaufen. Außerdem war in meinem Beruf Vielseitigkeit die Devise, und Zauberstäbe waren Ein-Zauber-Wunder. »Ich gehe als die weibliche Hauptrolle im neuesten Vampirstreifen«, erklärte ich meiner Mom. »Der, in dem sich die Vampirjägerin in den Vampir verliebt.«
»Du gehst als Vampirjägerin?«, fragte meine Mutter.
Errötend zog ich ein nicht aktiviertes Amulett zur Brustvergrößerung von einem Eitelkeitszauber-Regal. Ich hatte genug Hüften, um als die Schauspielerin durchzugehen, die ich imitieren wollte, aber mein trauriger Busen war keine Konkurrenz zu ihren durch Zauber verbesserten Bergen. Da mussten Zauber mit im Spiel sein. Wirklich großbusige Frauen laufen nicht so. »Nein, ich gehe als der Vampir«, erklärte ich peinlich berührt. Ich wusste, dass Ivy und ich Gespräche zum Verstummen bringen würden, wenn wir auf die Party kamen. Und darum ging es doch, oder? Halloween war die einzige Zeit im Jahr, in der Doppelgängerzauber legal waren – und alle Inderlander sowie ein Großteil der menschlichen Bevölkerung nutzte das aus bis ans Limit.
Die Miene meiner Mutter wurde ernst und hellte sich dann sofort wieder auf. »Oh! Die Schwarzhaarige, richtig? In den Nuttenklamotten? Guter Gott, ich weiß nicht, ob meine Nähmaschine Leder schafft.«
»Mom!«, protestierte ich, obwohl ich an ihre Wortwahl und ihren Mangel an Takt gewöhnt war. Wenn ein Gedanke in ihrem Kopf landete, kam er auch aus ihrem Mund. Ich warf einen kurzen Blick zu der Verkäuferin neben ihr, aber offensichtlich kannte die Frau meine Mutter und ließ sich darum nicht aus der Fassung bringen. Normalerweise erregte eine Frau in geschmackvollen Hosen mit Angorapulli, die fluchte wie ein Seemann, ein wenig mehr Aufmerksamkeit. Außerdem hing das Kostüm bereits in meinem Schrank.
Mit einem Stirnrunzeln fummelte meine Mutter an den Zaubern herum, welche die Haarfarbe verändern. »Komm mal hierher, Süße. Wir müssen schauen, ob wir etwas finden, was deine Locken bewältigt. Wirklich, Rachel, du suchst dir die schwersten Kostüme aus. Warum kannst du nicht mal als was Einfaches gehen, wie als Troll oder Märchenprinzessin?«
Jenks kicherte böse. »Weil das nicht nuttig genug ist«, sagte er laut genug, dass ich es hören konnte, meine Mutter aber nicht.
Ich warf ihm einen bösen Blick zu, aber er lächelte nur affektiert und schwebte rückwärts auf ein Regal mit Samen zu. Auch wenn er nur ungefähr zehn Zentimeter groß war, in seinen weichen Stiefeln und dem roten Schal, den ihm seine Frau Matalina gestrickt hatte, gab er eine attraktive Figur ab. Letzten Frühling hatte ich einen Dämonenfluch eingesetzt, um ihn auf Menschengröße wachsen zu lassen, und die Erinnerung an die athletische Figur eines Achtzehnjährigen, mit der schmalen Hüfte und den breiten, muskulösen Schultern, die durch seine Libellenflügel schön trainiert waren, stand mir noch deutlich vor Augen. Er war ein sehr verheirateter Pixie, aber Perfektion sollte trotzdem geschätzt werden.
Jenks zog eine Kurve über meinem Einkaufskorb und eine Packung Farnsamen gegen Matalinas Flügelschmerzen fiel hinein. Als er den Brustvergrößerer sah, wurde sein Gesichtsausdruck geradezu teuflisch. »Wo wir gerade bei nuttig sind …«, setzte er an.
»Gut ausgestattet ist nicht automatisch nuttig, Jenks«, erklärte ich. »Werd’ erwachsen. Es ist für das Kostüm.«
»Als ob das was helfen würde?« Sein Grinsen war zum Ausflippen, und er hatte in seiner besten Peter-Pan-Pose die Hände in die Hüften gestemmt. »Du brauchst mindestens zwei oder drei, damit überhaupt was zu sehen ist. Lächerlich.«
»Halt den Mund!«
Von der anderen Seite des Ladens fragte meine ahnungslose Mutter: »Tiefschwarz, richtig?« Ich drehte mich um und sah, wie ihre Haarfarbe sich änderte, je nachdem, welches der aktivierten Ausstellungsamulette sie gerade berührte. Ihr Haar war genau wie meines. Naja, ähnlich. Ich trug meines lang, mit krausen roten Locken, die mir bis auf die Schulter hingen, statt des Kurzhaarschnitts, den sie einsetzte, um die Locken zu bändigen. Aber unsere Augen hatten exakt dasselbe Grün, und ich hatte ihre Begabung für Erdmagie, vertieft und offiziell bestätigt durch eine Ausbildung an einem der örtlichen Colleges. Sie hatte eigentlich eine umfassendere Ausbildung als ich, aber nur wenige Möglichkeiten, sie einzusetzen. Halloween war für sie immer eine Chance gewesen, mit ihren beachtlichen Erdmagie-Fähigkeiten vor den anderen Moms anzugeben – eine bescheidene Rache -, und ich hatte das Gefühl, dass sie zu schätzen wusste, dass ich sie dieses Jahr um Hilfe gebeten hatte. In den letzten paar Monaten hatte sie sich super gehalten, und ich konnte nicht anders, als mich zu fragen, ob es ihr besser ging, weil ich mehr Zeit mit ihr verbrachte, oder ob sie einfach stabiler erschien, weil ich sie jetzt nicht nur sah, wenn sie gerade akute Probleme hatte.
Schuldgefühle stiegen in mir auf, und nach einem bösen Seitenblick zu Jenks, der gerade ein Lied über großbusige Frauen beim Schuhe zubinden sang, wanderte ich an Kräuterständen und Regalen vorbei, in denen vorgefertigte Zauber ausgestellt waren, alle mit einem gut lesbaren Sticker, wer sie angefertigt hatte. Zauber anzufertigen war immer noch eine Art Heimarbeit, trotz des großen Angebots an technischer Hilfe für die schwierigen Rezepte. Und es war eine Industrie, die streng reguliert und heftig lizensiert war. Die Besitzerin des Ladens fertigte wahrscheinlich nur ein paar der Zauber selbst an, die sie verkaufte.
Auf die Anweisung meiner Mutter hielt ich jedes Amulett, damit sie den Effekt einschätzen konnte. Die Verkäuferin ooohte und aahte und versuchte, mich zu einer Entscheidung zu drängen, aber meine Mom hatte mir schon seit Jahren nicht mehr bei meinem Kostüm geholfen, und wir würden das meiste daraus machen, inklusive einem Kaffee und etwas Süßem in einem überteuerten Café am Ende des Trips. Es war nicht so, als würde ich meine Mom ignorieren, aber mein Leben hatte eine Tendenz, mir in die Quere zu kommen. Ununterbrochen. In den letzten drei Monaten hatte ich mich bemüht, mehr Zeit mit ihr zu verbringen, während ich meine eigenen Geister ignorierte und hoffte, dass sie nicht mehr so … verletzlich war. Und so gut wie jetzt war es ihr schon eine Weile nicht mehr gegangen. Was mich davon überzeugte, dass ich eine furchtbare Tochter war.
Die richtige Haarfarbe zu finden war einfach, und ich nickte, als meine roten Locken einen Schwarzton annahmen, der so dunkel war, dass es schon fast blau wirkte. Befriedigt ließ ich ein verpacktes, nicht aktiviertes Amulett so in meinen Einkaufskorb fallen, dass der Busenvergrößerer darunter versteckt war.
»Zuhause habe ich einen Zauber, um dein Haar zu glätten«, erklärte meine Mutter fröhlich und ich drehte mich erstaunt zu ihr um. Ich hatte schon in der vierten Klasse rausgefunden, dass gekaufte Zauber auf meine Krause überhaupt keinen Einfluss hatten. Warum zum Teufel hatte sie diesen schwierig anzufertigenden Zauber noch? Ich hatte mein Haar schon seit Ewigkeiten nicht mehr geglättet.
Das Telefon des Ladens klingelte, und als die Verkäuferin sich entschuldigt hatte, kam meine Mutter ganz nah neben mich und berührte lächelnd den Zopf, den Jenks’ Kinder mir heute Morgen geflochten hatten. »Diesen Zauber zu perfektionieren hat mich fast deine gesamte Highschool-Zeit gekostet«, erklärte sie. »Glaubst du, ich übe nicht mehr?«
Jetzt machte ich mir Sorgen und warf einen schnellen Blick zu der Frau am Telefon – die meine Mutter offensichtlich kannte. »Mom!«, flüsterte ich. »Die kannst du nicht verkaufen! Du hast keine Lizenz!«
Sie presste die Lippen zusammen und griff sich den Einkaufskorb, um eingeschnappt zur Kasse abzuziehen.
Ich holte tief Luft und schaute zu Jenks, der auf einem Regal saß und nur mit den Schultern zuckte. Langsam folgte ich meiner Mutter und fragte mich, ob ich sie schlimmer vernachlässigt hatte, als ich gedacht hatte. Sie tat manchmal die irrsten Dinge. Ich würde bei einem Kaffee mit ihr darüber reden. Ehrlich, sie sollte es besser wissen.
Während wir...