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Mit der Kuh auf du... - Heitere Episoden aus dem Leben eines Landtierarztes

Hans Christ

 

Verlag Leopold Stocker Verlag, 2012

ISBN 9783853652558 , 240 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz DRM

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8,99 EUR


 

Wie alles begann…


Halb fünf in der Früh! Der Motor dröhnte im hohen Drehzahlbereich des Geländeganges, mit dem ich den Wagen durch die rutschigen Neuschneemassen die steilen, engen Serpentinen des Güterweges hinaufquälte. Trotz der neuen hohen Winterreifen fürchtete ich zeitweise, in dieser weißen Hölle steckenzubleiben. Vor der Windschutzscheibe baute sich im Licht der Scheinwerfer eine dichte Flockenwand auf, doch wußte ich von früheren Besuchen bei Tageslicht her, daß der Weg zum Ecklbauer sich entlang des Abgrundes einer tiefen Schlucht dahinschlängelte.

Das Heizungsgebläse rauschte auf vollen Touren, um zu verhindern, daß sich die Scheiben gänzlich beschlugen (dafür nahm ich meine eingefrorenen Zehen in Kauf), und das Witsch-Witsch der Scheibenwischer bildete die deprimierende Ergänzung zum Gedröhn des Motors. Irgendwie kam ich mir vor, als sei ich der einzige Mensch in dieser Wildnis, und haderte dementsprechend mit meinem Schicksal.

Ausgerechnet der Ecklbauer, dessen exponierte Hofzufahrt schon unter guten Bedingungen einigermaßen schwierig zu bewältigen war, ausgerechnet der mußte um diese nachtschlafende Zeit und bei diesem Wetter eine Kuh in Geburt haben. Am Telefon sagte er noch irgend etwas von einem Riesenkalb.

Wenn ich daran dachte, daß meine Schulkollegen als wohlbestallte Ärzte, Rechtsanwälte oder sonstige Inhaber von bürgerlichen Berufen sich daheim gerade in ihren warmen, sauberen Betten umdrehten, hätte ich mich in den Hintern beißen können.

So, die letzte Haarnadelkurve noch, dann war die Anhöhe, auf der der Hof lag, erreicht; ich sah bereits das schwache Licht der Stallfenster durch das wilde Schneegestöber schimmern, als plötzlich der Weg nicht mehr erkennbar war. Der Wind hatte ihn mit einer Wächte zugedeckt. Da war kein Durchkommen! Ich würde die restlichen zweihundert Meter zu Fuß bewältigen müssen. Fluchend kletterte ich aus dem Wagen, raffte die Geburtstasche und den Gummimantel an mich und keuchte wie ein asthmatischer Lastesel durch den Schnee, der mir bis an die Knie reichte, und gegen den Wind, der mir die nassen Flocken ins Gesicht und Bart trieb. Plötzlich rutschte ich aus und lag bäuchlings im Schnee. Das war zuviel! Aus voller Kehle schrie ich meinen Frust in die finstere Sturmnacht: „Du idealistischer Trottl, du! Ausgerechnet Landtierarzt mußt du werden! Der größte Scheißberuf der Welt!“

Als ich jenes zarte Alter erreicht hatte, in dem sich jovial gebende Tanten und Onkel bemüßigt fühlen, den heranwachsenden Knirps gönnerhaft zu fragen: „Na, was willst du denn später einmal werden?“, so als ob es nur darauf ankäme, einen Wunsch zu äußern und, schwupps, würden sie dank ihrer Allmacht jede Karriere ermöglichen – in jenem Alter also, da meine gleichgeschlechtlichen Kameraden „Astronaut“ oder „Rennfahrer“ hervorsprudelten (Lokomotivführer war schon länger aus der Mode), pflegte ich mit der Stereotypie einer hängengebliebenen Schallplatte zu antworten: „Tierarzt!“ Wieso, blieb ein Rätsel. Wir zählten weder einen Tierarzt noch ein Haustier zu unserem Bekannten- oder gar Verwandtenkreis. (Die anderen allerdings auch keine Raumfahrer!) Da mein Berufswunsch jedoch einigermaßen seriös und gewinnträchtig, jedenfalls leichter realisierbar klang als Fußballer oder Popsänger, erntete ich meist ein erstauntes, aber aufmunterndes Kopfnicken.

Eigentlich kann ich mir bis heute nicht beantworten, was wirklich diese Fixierung ausgelöst hat. Vielleicht muß man in meinem Fall tatsächlich, auch auf die Gefahr hin, kitschig zu wirken, von Berufung sprechen. Gewiß aber hat es eine Rolle gespielt, daß ich als Stadtkind meine Ferien über weite Teile auf dem Land verbracht habe. Meine Großeltern fuhren jedes Jahr nach Gmunden auf Urlaub und wohnten im Gasthof Müllerbach. Damit es ihnen nach vier Wochen nicht leid tat, wenn der Urlaub endete, nahmen sie mich immer mit.

Die offizielle Begründung lautete freilich: „Der Bub muß an die frische Luft!“

Wir reisten mit der Eisenbahn. Das Gepäck hatte mein Vater schon tags zuvor aufgegeben und war von Herrn Hohenthanner, dem Wirt, in seinem grauen VW-Käfer mit geteiltem Heckfenster bereits abgeholt und im Zimmer verstaut worden. Am nächsten Tag wurden wir selbst von Herrn Hohenthanner am Bahnhof in Empfang genommen.

Der Gasthof Müllerbach lag außerhalb der Stadt. Die Fahrt ging eine Viertelstunde über eine schmale kurvige Asphaltstraße durch Kukuruzfelder am Fuße des Grünbergs, bis wir schließlich mit quietschenden Bremsen vor dem großen Gebäude mit seinen dicken Mauern und kleinen Fenstern hielten. Wie jedes Jahr, stand Frau Hohenthanner in der weißen Schürze zur Begrüßung unter der Eingangstür, die in den großen kühlen Hausflur mit der breiten Holztreppe zu den oberen Stockwerken führte. Wie jedes Jahr, gackerten die Hühner auf dem Kiesvorplatz und muhten die Kälber im Stall. Und wie jedes Jahr rauschte die alte Kastanie, die direkt am Bach stand, und der kleine bemooste Brunnen direkt hinter dem Haus plätscherte in der Sonne, die vom blauen Himmel strahlte. Es war einfach… der Traum von Kinderferien, wie jedes Jahr.

Mein Großvater liebte es, auf der Hausbank zu sitzen, die Gesteckpfeife im Mund und einen Krug frischen Mosts vor sich. Wenn um zehn Uhr der Briefträger Lassl auf seinem gelbschwarzen Puch-Moped angeknattert kam, warf er einen neidvollen Blick auf ihn, ehe er im Hausflur verschwand, um die hohenthannersche Post abzuliefern. Beim Herauskommen aber stellte ihm mein Großvater jedesmal ein Glas Most aus seinem Krug hin und sagte: „Na, trinken S’ amal, Herr Lassl! Bei der Hitz’.“ Und der brave Beamte schob sich die verschwitzte Mütze mit dem Unterarm aus der Stirne, leckte sich in der Vorfreude die Lippen und griff begierig nach dem Glas. Während der glucksenden Schluckbewegungen bewegte sich der altgediente Adamsapfel so rasch, wie es sein Besitzer selbst noch nie im Leben getan hatte. Danach folgte ein aus tiefstem Herzen kommendes: „Aaaahhh!“ Mit demselben Unterarm wischte sich Herr Lassl die glitzernden Tropfen aus dem Schnauzbart, schob die Mütze dienstbeflissen nach vorne, salutierte kurz und seufzte: „Vielen Dank, Herr Huber, auf Wiedersehen!“ Dann schwang er sich auf das Moped und knatterte davon. Nur ein blaues Wölkchen des Zweitaktgemisches, welches sich um das an der sonnigen Hausmauer befindliche Sinalco-Schild ringelte, zeigte das Ende dieses täglichen Rituals an.

Für mich waren die Tage ergiebig und ausgefüllt. Im Stall gab es ein Stierkalb, welches ich sofort auf Michl taufte. Wenn ich die Box betrat, hüpfte Michl wie ein Geißbock lustig vor und zurück, offensichtlich froh über die Abwechslung; die Kühe waren auf der Wiese, und nur zwei Ferkel dösten in ihrer Ecke. Nun folgte eine Rangelei, während der ich Michl mit der flachen Hand auf seiner Stirn ständig von mir wegdrängte und er immer wieder gegen mich ansprang. Mit der rauhen Zunge inhalierte er meine gesamte Hand in seinen Mund und saugte unter heftigen Kopfstößen, da er, wie alle Kälber, andauernd Hunger hatte.

Die Ferkel waren inzwischen munter geworden und quiekten mit durchdringender Lautstärke, weil sie sich ebenfalls etwas zu fressen erhofften, und plötzlich tauchten die drei weißen Hofenten an der Stalltür auf und begannen ein schnatterndes Gekreische. Es war herrlich!

Hier, bei Hohenthanner, setzte ich auch meine erste helfende Tat. Beim Spielen am Bachufer war mir aufgefallen, daß eine Henne, die ständig unterwegs war und mit ihrer gelben Kükenschar den kiesgestreuten Vorplatz durchwanderte, seit einiger Zeit an der Stallecke, wo der Misthaufen seine ganze Pracht entfaltete, aufgeregt hin und her trippelte, laut gackerte und sonderbar mit dem Flügel schlug. Als ich mich neugierig näherte, wich sie mit ihrer Kinderschar einige Schritte zurück, signalisierte aber deutlich, daß irgend etwas sie an diesem Ort festhielt. Zunächst sah ich gar nichts, aber als ich die durch die Jauchenbrühe üppig gedüngten Grasbüschel auseinanderschob, entdeckte ich ein im Boden senkrecht vergrabenes Betonrohr von ca. 10 cm Durchmesser und 30 cm Tiefe. In diesen Schacht war ein Küken gefallen, das nun unter heftigem Piepsen und Flattern wie ein Gummiball hüpfte, freilich ohne die geringste Aussicht, aus eigener Kraft herauszukommen. Ich warf mich ungeachtet des von der Misthaufennähe aromatisch befeuchteten Bodens sofort auf den Bauch und versuchte, das Küken herauszufischen. Das war gar nicht so einfach. Meine Armlänge reichte kaum aus, dazu kam die ängstliche Quirligkeit des Opfers, und ich wußte nicht, wie fest ich zupacken durfte. So entwischte mir das gute Tier ein ums andere Mal, mein Arm und die Finger wurden allmählich gefühllos, denn der scharfe Betonrand schnitt ordentlich in die Armbeuge, die Sonne brannte auf den Rücken, die Fliegen absolvierten eine spontane Massenveranstaltung in meinem Gesicht, und der Schweiß tropfte mir...