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Klassiker der Erotik 1: Lady Chatterley

David H. Lawrence

 

Verlag Math. Lempertz, 2012

ISBN 9783939907763 , 326 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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1,49 EUR


 

ERSTES KAPITEL


Unser Zeitalter ist seinem Wesen nach tragisch, also weigern wir uns, es tragisch zu nehmen. Die Katastrophe ist hereingebrochen, wir stehen zwischen den Trümmern, wir fangen an, neue kleine Gewohnheiten zu bilden, neue kleine Hoffnungen zu hegen. Es ist ein hartes Stück Arbeit: Kein ebener Weg führt in die Zukunft; wir umgehen die Hindernisse jedoch oder klettern über sie hinweg. Wir müssen leben — einerlei, wie viele Himmel eingestürzt sind.

Ungefähr in dieser Situation befand sich Constance Chatterley. Der Krieg hatte das Dach über ihrem Kopf zusammenbrechen lassen, und sie hatte einsehen müssen, dass Leben: Lernen heißt! Sie heiratete Clifford Chatterley 1917, als er für vier Wochen auf Urlaub nach Hause kam. Ihre Flitterwochen dauerten einen Monat. Dann ging er wieder nach Flandern und wurde sechs Monate später mehr oder weniger zerstückelt zu Schiff nach England zurückgebracht. Constance, seine Frau, war damals dreiundzwanzig Jahre alt, er neunundzwanzig.

Sein Lebenswille war erstaunlich. Er starb nicht, und die Stücke schienen wieder zusammenzuwachsen. Zwei Jahre verbrachte er unter den Händen der Ärzte. Dann wurde er für geheilt erklärt und durfte ins Leben zurückkehren — die untere Hälfte seines Körpers, von den Hüften abwärts, für immer gelähmt.

Das war 1920. Die beiden — Clifford und Constance — kehrten in sein Elternhaus zurück, nach Wragby Hall, dem «Familiensitz». Sein Vater war gestorben. Clifford war jetzt Baronet — Sir Clifford -, und Constance war Lady Chatterley. Mit einem ziemlich unzureichenden Einkommen fingen sie an, auf dem ziemlich ungeselligen Landsitz der Chatterleys einen Haushalt und ein Eheleben zu führen. Clifford hatte eine Schwester, aber sie war fortgezogen. Sonst gab es keine näheren Verwandten. Der ältere Bruder war im Krieg gefallen. Verkrüppelt für immer, gewiss, niemals Kinder haben zu können — so kehrte Clifford heim in die rauchigen Midlands, um den Namen der Chatterleys lebendig zu halten, solange er es vermochte.

Er war eigentlich nicht niedergeschlagen. Er konnte in einem Rollstuhl fahren, und er hatte einen Krankensessel mit einem kleinen Motor, so dass er sich langsam durch den Garten steuern konnte in den schönen, melancholischen Park hinaus, auf den er so stolz war, wenn er auch tat, als mache er sich nichts aus ihm.

Er hatte so gelitten, dass seine Fähigkeit zu leiden bis zu einem gewissen Grad erstorben war. Er wirkte sonderbar heiter, fast unbekümmert, könnte man sagen; sein Gesicht zeigte eine gesunde kräftige Farbe, und die blass blauen Augen funkelten herausfordernd. Seine Schultern waren breit und stark, seine Hände kräftig. Er trug teure Anzüge und elegante Krawatten aus der Bond Street. In seinem Gesicht aber lag der lauernde, leere Ausdruck des Krüppels.

Er war dem Tod so knapp entronnen, dass das, was ihm vom Leben übrig blieb, unsäglich kostbar für ihn war. Der begierige Glanz seiner Augen ließ erkennen, wie stolz er darauf war, nach der gewaltigen Erschütterung noch am Leben zu sein. Aber er war so schwer verwundet worden, dass etwas in ihm erstorben, ein Teil seiner Empfindungen verschüttet war. Eine fühllose Leere war geblieben.

Constance, seine Frau, war ein rosiges, ländlich aussehendes Mädchen mit weichem, braunem Haar und von kräftigem Wuchs, ihre gemächlichen Bewegungen verrieten ungewöhnliche Energie. Sie hatte große, nachdenkliche Augen und eine sanfte, dunkle Stimme, und es schien, als sei sie gerade aus ihrem Heimatdorf gekommen. Das war aber durchaus nicht der Fall. Ihr Vater, der alte Sir Malcolm Reid, war ein vormals wohlbekanntes Mitglied der Königlichen Akademie. Ihre Mutter hatte in der Glanzzeit der Präraphaeliten zu den kultivierten Fabiern gehört. Constance und ihre Schwester Hilda genossen unter Künstlern und gebildeten Sozialisten eine - wie man sagen könnte — ästhetisch unkonventionelle Erziehung. Sie waren nach Paris, Florenz und Rom mitgenommen worden, um Kunst zu atmen, und man hatte sie auch in andere Bereiche geführt, nach Den Haag und Berlin, zu großen sozialistischen Versammlungen, wo Redner in allen Zungen der zivilisierten Welt sprachen und niemand sich Zwang antat.

Die beiden Mädchen ließen sich daher von frühauf weder durch die Kunst noch durch politische Ideen einschüchtern. Sie waren diese Atmosphäre gewohnt. Sie waren kosmopolitisch und zugleich provinziell und so eignete ihnen jener kosmopolitische Provinzialismus der Kunst, der Hand in Hand mit reinen sozialen Idealen geht.

Mit fünfzehn Jahren wurden sie nach Dresden geschickt, unter anderem wegen der Musik. Das war eine schöne Zeit für sie. Unbekümmert bewegten sie sich unter den Studenten, diskutierten mit den Männern philosophische, soziologische und künstlerische Fragen; sie standen den Männern dabei nicht nach, übertrafen sie vielleicht sogar, denn sie waren Frauen. Und sie durchstreiften die Wälder mit stämmigen jungen Bursdien, die auf Gitarren Lieder klimperten, tweng - tweng! Sie sangen Wandervogellieder, und sie waren frei. Frei! Das war das große Wort. Hinaus in die weite Welt, hinaus in die Wälder des Morgens mit den fröhlichen und starkkehligen Jünglingen, frei, zu tun, was das Herz begehrte und — was die Hauptsache war — zu sagen, was sie wollten! Am wichtigsten war das Gespräch, der leidenschaftliche Gedankenaustausch. Liebe war nur eine nebensächliche Begleiterscheinung.

Mit achtzehn ungefähr hatten Hilda und Constance ihre ersten tastenden Liebeleien gehabt. Den jungen Männern, mit denen sie so leidenschaftlich diskutierten, so fröhlich sangen und in solcher Freiheit unter den Bäumen kampierten, ging es natürlich um ein Liebesverhältnis. Die Mädchen zögerten, doch wurde so viel über die Sache geredet, dass sie wohl wichtig sein musste. Und die Männer waren so demütig, so voll Verlangen. Warum sollte ein Mädchen da nicht großmütig sein und sich selber zum Geschenk machen?

So hatten sie sich denn zum Geschenk gemacht, jede dem Jüngling, mit dem sie die subtilsten und intimsten Gespräche führte. Die Gespräche, die Diskussionen — das war das Große; Zärtlichkeit und körperliche Vereinigung waren eher ein Atavismus, ein Rückfall ins Primitive. Man war hinterher weniger verliebt in den Jungen, neigte sogar ein wenig dazu, ihn zu hassen - als hätte er die Grenzen der privatesten Sphäre, der inneren Freiheit missachtet, denn: man war ein Mädchen, und die ganze Würde und Bedeutung, die man im Leben gewann, hing daher vom Erringen einer absoluten, einer vollkommenen, einer reinen und edlen Freiheit ab. Was anders bedeutete das Leben eines Mädchens als die alten niedrigen Bindungen abzuschütteln?

Und wie sehr man sie auch mit Gefühlen aufladen mochte, diese geschlechtlichen Dinge gehörten zu den urältesten, niedrigsten Bindungen und Abhängigkeiten. Die Dichter, die sie verherrlichten, waren zumeist Männer. Frauen hatten immer gewusst, dass es etwas Besseres gab, etwas Höheres. Und jetzt wussten sie es entschiedener denn je. Die herrliche, reine Freiheit einer Frau war unendlich wunderbarer als jede geschlechtliche Liebe. Es war ein Jammer, dass die Männer in dieser Hinsicht so weit hinter den Frauen herhinkten. Gierig wie Hunde waren sie auf das Sexuelle aus.

Und eine Frau hatte nachzugeben. Ein Mann war in seinen Begierden wie ein Kind. Die Frau musste ihm gewähren, wonach ihn gelüstete, sollte er nicht unausstehlich werden wie ein Kind, im Trotz davonlaufen und zerstören, was doch eine sonst so erfreuliche Beziehung war. Aber eine Frau konnte sich einem Mann hingeben, ohne zugleich auch ihr inneres, freies Wesen hinzugeben. Das schienen die Dichter und alle, die über den Sexus schwatzten, nicht genügend bedacht zu haben. Eine Frau konnte einen Mann nehmen, ohne sich selber wirklich herzugeben. Sicherlich konnte sie ihn nehmen, ohne sich seiner Macht auszuliefern. Eher noch konnte sie das Geschlechtliche dazu benutzen, ihn in ihre Macht zu bekommen. Denn sie brauchte sich im geschlechtlichen Zusammensein nur zurückhalten und ihn sich ausgeben zu lassen, ohne selbst zum Höhepunkt zu gelangen: und dann konnte sie die Vereinigung hinausziehen und ihren Orgasmus und ihren Höhepunkt erreichen, während er nur ihr Werkzeug war.

Beide Schwestern hatten ihre Erfahrung in der Liebe hinter sich, als der Krieg ausbrach und sie überstürzt heimgerufen wurden. Keine von beiden verliebte sich je in einen jungen Mann, wenn sie ihm nicht im Wort sehr nahe gekommen war - das heißt, wenn das Verlangen nach dem Gespräch nicht aus der Hefe kam. Der wunderbare, tiefe, unfaßliche Schauer, mit einem wahrhaft klugen jungen Mann ein leidenschaftliches Gespräch zu führen, stundenlang, Tag für Tag den Faden wieder aufzunehmen, durch Monate hin … davon hatten sie nie etwas gewusst, bis es ihnen geschah. Die paradiesische Verheißung: Du sollst Menschen haben zum Gespräch! war nie ausgesprochen worden. Sie erfüllte sich, noch ehe sie wussten, was diese Verheißung...