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Sex-mal um den ganzen Globus - Über das Liebesleben der Völker. Ein Ethno-Bericht.

Robert Mohr

 

Verlag Gatzanis, 2011

ISBN 9783932855238 , 168 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

 

 

Keuschheit – die genommene Lust


Vielleicht wurde die Keuschheit nur erfunden, um die Wollust noch mehr anzuheizen.

 

Keuschheit, Jungfräulichkeit und sexuelle Abstinenz sind Wertvorstellungen, die wie kaum etwas anderes die westliche Kultur geprägt haben. Sie gelten als positive Verhaltensnorm. Menschen, die dieser Norm kritisch gegenüberstehen, benutzen dafür allerdings negative Begriffe wie Prüderie, Verklemmtheit oder Frigidität. Diese Ausdrücke sind sozusagen Synonyme für das Wort Keuschheit, wenn auch, wie gesagt, unter einem negativen Blickwinkel. Jedem, der sich ein wenig umsieht, fällt auf, daß zwischen Norm oder Ideal und tatsächlichem Verhalten eine enorme Lücke klafft. Das gilt für den einzelnen genauso wie für ganze Institutionen, wie zum Beispiel die katholische Kirche.

Vor allem das Christentum mit seinem Gebot „Du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen“ scheint sich beim Thema Sex geradezu ständig zu widersprechen. Wie verträgt sich zum Beispiel die Aufforderung zum „Liebet einander und mehret Euch“ auf der einen Seite mit der Aufforderung zur Keuschheit auf der anderen? Warum kritisierte Jesus die Tätigkeit Maria-Magdalenas mit keinem Wort, obwohl sie eine Prostituierte war? Offensichtlich war er nur an ihrem Glauben interessiert und nicht an ihrem Umgang mit Sex. Er hielt sie, gerade weil sie die öffentliche Moral verletzte für aufrichtiger, als jene, die offiziell keusch lebten, aber im Geheimen diese Moral verletzten. Sagte Jesus je etwas gegen die Ehe oder gegen den Geschlechtsverkehr? Nein. Es fragt sich, woher kommt dann die verbissene, dogmatische Forderung nach dem Zölibat für katholische Priester?

Wir sehen, die Berichte über Jesus und seine Aussagen sind eine Sache, das Christentum ist aber eine andere. Das Christentum ist wie die anderen großen Religionen zuerst einmal eine Ideologie. Es postuliert ein Ideal, etwas Ausgedachtes, wie das Wort ja schon sagt. Mit den natürlichen Bedürfnissen und dem natürlichen Verhalten der Menschen haben aber Idealvorstellungen oft wenig bis gar nichts zu tun. Mittlerweile wissen wir, daß der Mensch, wie seine nächsten Verwandten im Tierreich, die Primaten, weder für die Monogamie noch für die Keuschheit geschaffen ist. Gerade die uns genetisch am ähnlichsten Bonobos, eine Schimpansenart, zeigt, daß Sex vielmehr eine wichtige soziale Kommunikationsform ist und deshalb auch bei uns eine enorme, über den reinen Arterhalt hinausreichende Bedeutung hat. Sex ist also weit mehr, als nur eine Fortpflanzungstätigkeit, die darauf beschränkt, eigentlich nur einmal im Jahr oder fünfmal im Leben stattfinden müßte. Sex ist ein wichtiges soziales Bindemittel. Ohne permanente Lust wäre zum Beispiel eine gemeinsame Kinderaufzucht mit der langwierigen Einführung der Kinder in die menschliche Gesellschaft gar nicht möglich. Es ist die permanente Sexlust, die Menschen zu Paaren und damit zu Familien zusammenfinden läßt. Lust und Sex sind somit wichtig für die Erziehung und somit auch für die Entwicklung der menschlichen Fertigkeiten.

Doch die permanente Lust hat auch ihre Kehrseite. Sie bringt mit sich, daß sich der Mensch theoretisch alle zehn Monate reproduzieren könnte oder – mit anderen Worten – eine gesunde Frau im Verlauf ihres Lebens etwa 30 Kinder zur Welt bringen könnte. Selbst für die kinderfreundlichste Gesellschaft, mit den besten Umweltbedingungen, wäre das eine untragbare Wachstumsrate. Dennoch sind maximale Wachstumsraten immer wieder erwünscht gewesen. So zum Beispiel bei der Kolonisation von Neuland oder während Eroberungskriegen. Während des Zweiten Weltkriegs in Deutschland oder jüngst im iranisch-irakischen Krieg waren ähnliche Wünsche nach einer möglichst hohen Reproduktionsrate laut geworden. Die Frauen wurden zu Wurfmaschinen degradiert.

Knappe Lebensräume und begrenzte Ressourcen haben den Menschen jedoch schon in seiner frühesten Entwicklungsstufe gelehrt, seine eigene Art zu beschränken. Daraus könnte sich das Ideal der Enthaltsamkeit entwickelt haben. Die erfolgreiche Geburtenkontrolle, ohne die technischen und medikamentösen Mittel unserer Zeit, war auf einen religiösen Keuschheitsmythos angewiesen.

Im Laufe der Zeit wurde Sex immer mehr als etwas dem Menschen Unwürdiges dargestellt. Etwas, das mit einem gottesfürchtigen Leben nicht zu vereinbaren sei. So war denn auch im mittelalterlichen Abendland, durch die Fülle von kirchlichen Feiertagen oder die gesamte Fastenzeit, Sex an nahezu zwei Dritteln des Jahres untersagt. „Ora et Labora“ galten nicht nur für Mönche als erstrebenswerte Tugenden, sondern sollten das Tagwerk der gesamten Menschheit bestimmen. Dafür standen einem die Himmelspforten offen. Doch der Sexus, als im Menschen biologisch verankertem Trieb, ließ sich nicht unterdrücken oder verleugnen. Immer wieder gab es Aufweichungserscheinungen, die sogar in erotischen Himmelsvisionen von Künstlern zum Ausdruck kamen. Nackte Engel, stillende Marias und Götter wie in der Sixtinischen Kapelle des Vatikans knüpften an die erotische Vergangenheit der Griechen und Römer an. Immer wieder wurden Wege gefunden, um an das fleischliche Vergnügen lange noch vor der Ehe zu kommen. Voreheliche Kinder oder das berühmte Kuckucksei, in Form eines fremden Kindes, waren im Mittelalter durchaus keine Seltenheit. Eine Ehre waren sie jedoch nicht.

Längst nicht alle Gesellschaften teilen mit uns diese negative Einstellung. Die Eskimos z.B. sehen eine voreheliche Schwangerschaft als einen Beweis für die Fruchtbarkeit der Frau. Sie verliert dadurch keinesfalls an Ansehen, sondern erfreut sich im Gegenteil allergrößter Beliebtheit.

Es wäre nun falsch, anhand der Eskimos die Behauptung aufzustellen, daß allen Naturvölkern die Treue nichts bedeutet. Während es den Eskimos auf die Jungfräulichkeit ihrer Bräute kaum ankommt, stellt sie für die Ureinwohner von Samoa durchaus einen erstrebenswerten Wert dar. Aber auch bei ihnen fand man Mittel und Wege, dem menschlichen Bedürfnis nach ungehindertem geschlechtlichem Umgang gerecht zu werden. Die Samoaner haben sich dazu die Rolle der „Dorfjungfer“ ausgedacht. Hierbei wird einem Mädchen die Jungfräulichkeit stellvertretend für alle anderen auferlegt.

Die Jungfräulichkeit dieser sogenannten „Dorfjungfer“ wird alljährlich offiziell und vor den Augen des versammelten Dorfes geopfert. Diese Opferfeier könnte man in etwa unserem Buß- und Bettag gleichsetzen, denn (vor allem sexuelle) Vergehen werden dabei vergeben und weggewaschen.

Als Höhepunkt des Opferzeremoniells wird dann die vermeintliche Jungfrau öffentlich entjungfert. Oft stellt sich heraus, daß sie gar keine Jungfrau mehr ist. In solchen Fällen steht ein Bottich mit Hühnerblut bereit. Nachdem man das unartige Mädchen ausgeschimpft hat, wird ihre mehr oder minder jungfräuliche Scham in Hühnerblut getränkt und alle können jetzt sehen, daß die „Dorfjungfer“ doch noch eine Jungfrau ist. Hühnerblut zur Vortäuschung von Jungfräulichkeit ist nicht nur sakral, sondern auch privat bei normalen Hochzeiten hoch im Kurs. Natürlich bemüht sich das Mädchen, es den Bräutigam nicht merken zu lassen und er seinerseits heuchelt Zufriedenheit vor. Selbst dann heuchelt er noch, wenn er genau weiß, daß sie bereits beim letzten Busch-Rendezvous keine Jungfrau mehr war. Die Rüge gegenüber dem Mädchen fällt allerdings nie zu heftig aus, egal ob privat oder als offizielle Dorfjungfrau. Es sind vor allem die Frauen der Familie, die das Mädchen zurechtweisen.

Der Wert der Jungfräulichkeit hängt natürlich eng zusammen mit der gesellschaftlichen Bedeutung der ehelichen Verbindung. Je höher die gesellschaftliche Stellung der Braut, desto mehr Wert wird auf ihre Jungfräulichkeit gelegt. So waren es im mittelalterlichen Europa vor allem die Frauen und Töchter des Adels, die am strengsten in Abstinenz lebten. Einer gemeinen Frau wurde kein Keuschheitsgürtel angelegt. Das war vornehmlich ein Privileg der Edlen. Die Edelfrauen wurden gut bewacht und mußten ihren Mägden deren Sinneslust neiden. Denn bei den Dienstmädchen nützte auch das Pfaffengeplapper von „Sünde und Verderben“ nach erfolgter Fleischeslust wenig. In den Feldern und Heuschobern war viel Platz. Die Tiere im Stall machten es vor und so ließ das Herumexperimentieren mit dem anderen Geschlecht nicht lange auf sich warten. Erst mit dem Aufkeimen einer Freizeitgesellschaft ist der Sex enttabuisiert worden. Paradoxerweise ist er aber dadurch gleichzeitig fast zur Bedeutungslosigkeit degradiert worden. Zwar wurde noch nie so viel über Sexualität und ihre diversen Arten oder Abarten gesprochen, doch im gleichen Ausmaß, wie man das Thema heute breittritt, reduziert sich der praktische Umgang mit Sex. Sexualwissenschaftler sprechen davon, daß Sex mittlerweile nur noch eines der vielen Konsumgüter in unserer Konsumgesellschaft geworden ist. Der allgemeine Überdruß an immer neuen Waren und an der Werbung für diese scheint sich katastrophalerweise jetzt auch auf die Sexualität zu beziehen. Es wird heute, wie Ernest Bornemann es ausdrückte, „immer weniger gebumst“. Diejenigen, denen es die Lust noch nicht verschlagen hat weichen aber zum einen wegen AIDS, zum anderen wegen der sogenannten „Political correctness“, durch die jede Art von Sexualität auf ihre Übereinstimmung mit den Normen eines prüden Feminismus hin überprüft wird, auf die Phantasie aus. Die Prognosen für die Zukunft sehen jedenfalls nicht gerade rosig aus. Statt lustvollem und ungehindertem Sex durch alle Betten wird vermutlich mehr oder weniger steriler Cybersex aus dem Computer die Sinnesfreuden bestimmen.

Doch kommen wir noch einmal auf die samoanische „Dorfjungfer“ zurück. Sie sollte unbedingt die...