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Der 13. Brief - Lila Zieglers erster Fall

Lucie Klassen

 

Verlag Grafit Verlag, 2011

ISBN 9783894258405 , 211 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

12.

Während hinter Danner die Wohnungstür zupolterte, lief ich zurück ins Bad, ließ das Handtuch sinken und betrachtete im Spiegel meinen Rücken. Man ahnte den Bluterguss nur noch, wenn man genau hinsah.

Danner musste scharfe Augen haben.

Die Faust zuckt auf mich zu und ich weiß genau, dass ich mich nicht rechtzeitig wegdrehen kann. Es knackt, als der Schlag meine Wirbelsäule und die linke Schulter trifft. Der Schmerz rast meinen Rücken hinab, dunkle Punkte tanzen vor meinen Augen. Als ich zu Boden falle, glaube ich einen Moment lang, mir einen Querschnitt eingehandelt zu haben.

Ich schüttelte den Kopf, um die Erinnerung zu verdrängen. Erstaunlich, wie gut das funktionierte. Ich hatte die Hämatome auf meiner Schulter schon vergessen gehabt.

Dafür spürte ich noch das Kribbeln, dass Danners Berührung auf meinem Rücken hervorgerufen hatte. Ich stützte die Hände auf den Rand des Waschbeckens und starrte mein Spiegelbild an.

Beunruhigend.

Ich musste mich irgendwie ablenken.

Ich schlüpfte in meine Klamotten und schlenderte zurück ins Wohnzimmer. Auf dem Tisch lagen noch immer die Fotos, die Danner von Staschek erhalten hatte. Ich ließ mich auf das Sofa fallen und sah sie mir an.

Das erste Bild zeigte eine Schulklasse. Ungefähr dreißig Teenager hatten sich auf einer Treppe aufgestellt. Die kleineren vorn, die größeren in der zweiten Reihe eine Treppenstufe höher. Das winzige Gesicht eines dunkelhaarigen Mädchens war mit rotem Kugelschreiber eingekreist.

Das zweite Foto war ein Porträt. Das Mädchen schien schneewittchenartig schön: blasse Haut, glänzendes, dunkles Haar, hohe Wangen und Puppenmund.

Was hatte es mit ihr auf sich?

Und wie konnte ich es herausfinden?

Wo hatte Danner wohl die Akte über seinen aktuellen Fall versteckt?

Es dauerte einen Moment, bis ich das leise Surren wahrnahm, das schon die ganze Zeit über zu hören gewesen war.

Ich wandte mich nach dem Geräusch um.

Danner hatte den Computer nicht ausgeschaltet.

Den Computer, an dem er vorhin seinen Bericht getippt hatte.

Ich ging zum Schreibtisch. Der Bildschirm war schwarz, wahrscheinlich im Stand-by-Modus, aber der Rechner lief noch.

Hatte Danner wirklich vergessen, alles auszuschalten?

Eher nicht.

Im Gegenteil – dass er den PC angelassen hatte und verschwunden war, war beinahe eine Einladung!

Ich setzte mich an den Schreibtisch und schaltete den Monitor ein.

Der Absatz, den Danner getippt hatte, bevor M. hereingeplatzt war, wurde sichtbar:

Dienstag, 25.10.

9.00 Uhr, Lehrerzimmer:

Anwesend: M. Dittmer, S. Lehnert, G. Berthold, M. Morgenroth

Gespräch auf F. Ahrend gebracht:

S. Lehnert ist der Meinung, dass er noch länger beurlaubt sein wird. Ahrends Frau Christa leidet angeblich seit Längerem unter depressiven Phasen, muss jetzt möglicherweise zur stationären Behandlung in eine Psychiatrie eingewiesen werden.

M. Morgenroth mutmaßt, dass die Ehe diese Belastung nicht übersteht.

11.25 Uhr, zweite große Pause (Schulhofaufsicht):

Verdächtige Person verteilt am Fahrradständer Koks-Tütchen an mehrere Schüler (K. Bode, F. Schubert und L. nicht dabei!).

Ich stutzte.

Warum hatte L. keinen Nachnamen?

Hatte Danner ihn vergessen?

Kannte er ihn nicht?

Oder hatte er ihn in seinen sonst so kompletten Unterlagen absichtlich weggelassen?

Personenbeschreibung:
Weiß, männlich, ca. 35–40 Jahre, ca. 1,80 m, ca. 80 kg, Haar mittelbraun, schulterlang, zusammengebunden, bes. Kennzeichen: Spinnennetz-Tattoo rechte Halsseite

Schülern 60 g Kokain abgenommen.

19.00 Uhr, Schwimmtraining:
L. ignoriert mich weiterhin

Damit endete der Bericht auch schon. Schade.

Doch bevor ich das Schreibprogramm ausklickte, fiel mein Blick auf den Dateinamen in der Symbolleiste am unteren Bildschirmrand: L 15.

Der normale Bildschirmhintergrund erschien – Danners gewöhnungsbedürftigem Farbgeschmack entsprechend schwarz. Versuchsweise öffnete ich den virtuellen Aktenschrank ›Eigene Dateien‹. Die ersten elf Dateien trugen den Namen Ammer 1-11. Dann kam acht Mal Albrecht.

Dann – aha, Baumbach!

Rasch ließ ich die Namen bis L durchsausen.

Treffer!

L 1-15.

Vergnügt rieb ich mir die Hände und öffnete ohne Skrupel L 1.

Die Akte L., die bisher nur auf dem Computer zu existieren schien, war sehr viel weniger vollständig als alle Akten, in denen ich gestern geblättert hatte. Kein Name des Auftraggebers, keine Adressen, keine Telefonnummer.

Nur ein Bericht, ähnlich dem, den ich gerade schon gelesen hatte, sehr knapp.

Montag, 10.10.

Ermittlungen als Sportlehrer in der Klasse 10d am Ottilie-Baader-Gymnasium begonnen (Krankheitsvertretung für F. Ahrend).

Direktor ist informiert.

13.40–15.15 Uhr, Sport 10d:

Mit S. Steilen, K. Brinkmann, C. Montag, A. Kampe, O. Friedrich über E. Ahrend gesprochen. Keiner war näher mit ihr bekannt, keine neuen Informationen.

Alle verweisen auf E. Ahrends Clique.

Das war alles. Was blieb mir da anderes übrig als L 2?

Dienstag, 11.10.

K. Bode, F. Schubert und L. waren E. Ahrends beste Freundinnen. Sämtliche Mitschüler verweisen bei Fragen auf diese drei.

Alle drei Mädchen geben an, E. Ahrend am Dienstag, den 04.10. im Nachmittagsunterricht (Biologie bei M. Morgenroth) zuletzt gesehen zu haben.

Als die Schüler die Klasse gegen 17.00 Uhr verließen, blieb E. Ahrend im Klassenraum zurück. M. Morgenroth vermutet, dass sie auf ihren Vater wartete, um mit ihm nach Hause zu fahren.

S. Lehnert (Religion, Politik, Erdkunde), Religionslehrerin der 10d, beschreibt E. Ahrend als intelligent, freundlich, fleißig, beliebt bei Lehrern und Mitschülern, auffallend hübsch, zeitweise schüchtern, ruhig im Unterricht, aber mündlich immer noch gut, sehr sportlich, ehrgeizig, Klassen- und Jahrgangsbeste, aber trotzdem integriert, seit Jahren mit K. Bode, F. Schubert und L. gut befreundet.

Hm.

In mir entwickelte sich prompt eine Abneigung gegen E. Ahrend. Klang nach einer Streberin der übelsten Sorte. Dass die bei Lehrern und Mitschülern beliebt sein sollte, ging doch nicht mit rechten Dingen zu! War das mal wieder die komplette Fehleinschätzung einer fahrlässig inkompetenten Pädagogin?

Jedenfalls schien E. Ahrend irgendetwas zugestoßen zu sein, was ich aus Danners Formulierung zuletzt gesehen am schloss.

Wahrscheinlich war sie von einem neidischen Sitzenbleiber bei einem Amoklauf umgenietet worden. Oder sie war von allen, die auch gern mal Jahrgangsbeste sein wollten, so fies gemobbt worden, dass sie abgehauen war.

Meine Neugier ließ mich weiterlesen. Ich öffnete L 3, um herauszufinden, was mit E. Ahrend, der Streberin, passiert war.

Mittwoch, 12.10.

7.45 Uhr, Teambesprechung:

M. Dittmer (Französisch, Deutsch, Kunst) bestätigt S. Lehnerts Einschätzung von E. Ahrend.

12.25 Uhr, zweite große Pause:

K. Bode nennt die Lehrer verlogene Intriganten, Dittmer einen notgeilen Grapscher und Lehnert eine hässliche Nutte. Bisher gibt es keinerlei Anhaltspunkte für den Wahrheitsgehalt dieser Aussagen und K. Bode neigt zu ausdrucksstarken Metaphern. (Aber da sie den Papst als einen Schwulen im Karnevalskostüm bezeichnet und mich als sadistischen Sklaventreiber, muss die Behauptung unbedingt überprüft werden!)

Ich musste schmunzeln. K. Bode gefiel mir.

Donnerstag, 14.10.

M. Dittmer überprüft: keine Eintragungen in polizeilichem Führungszeugnis, keine Beschwerden, seit er am Ottilie-Baader-Gymnasium unterrichtet (11 Jahre), keine Gerüchte unter den Kollegen.

S. Lehnert überprüft: keine Vorstrafen wg. Prostitution, keine bekannten Affären mit Kollegen etc. (aber vier gescheiterte Ehen in den letzten zehn Jahren).

Bald hatte ich alle L-Dateien gelesen, aber noch immer nicht herausgefunden, wer Danners Auftraggeber war, wie L. mit Nachnamen hieß und was E. Ahrend passiert war. Immerhin wusste ich, und darin schienen sich Lehrer und Schüler ungewöhnlich einig: E. Ahrend führte ein beneidenswertes Leben! Mehr Einser als Zweier im Zeugnis, begabt, fleißig und freundlich, außerdem auffallend hübsch, beliebt und auch noch sportlich. Seit Jahren schwamm sie in der Schulstaffel.

Ihr Vater arbeitete vermutlich als Lehrer am Ottilie-Baader-Gymnasium, schlussfolgerte ich drauflos. Denn es war sicher mehr als ein Zufall, dass der auf unbestimmte Zeit beurlaubte Sportlehrer, den Danner vertrat, den gleichen Nachnamen wie das Mädchen trug.

Allein durch das Lesen von Danners knappen Berichten wurde ich schon neidisch auf E. Ahrend. Wie konnte...