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Tagebuch der arabischen Revolution

Karim El-Gawhary

 

Verlag Verlag Kremayr & Scheriau, 2011

ISBN 9783218008327 , 237 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

16,99 EUR


 

Willkommen im neuen Arabien


Auf dem Abdel-Moneim-Riad-Platz im Zentrum Kairos, nicht weit vom Tahrir-Platz entfernt, schiebt sich ein Mann langsam in seinem klapprigen, alten Rollstuhl voran. Zwischen seine Schenkel hat er einen Topf schwarzer Farbe geklemmt. In der Hand hält er einen Pinsel. Mühsam beugt er sich herunter, um den Bordstein anzustreichen. Er kommt nur langsam voran. In der nächsten halben Stunde wird er gerade mal ein paar Meter schaffen. Den Bürgersteig zu verschönern ist, einen Tag nach dem Sturz des Pharaos Hosni Mubarak, sein persönlicher Beitrag zur ägyptischen Revolution.

Noch vor wenigen Wochen hat er sich mit seinem Rollstuhl wahrscheinlich an einer der Straßenkreuzungen an den Reihen der wartenden Fahrzeuge entlanggeschoben, um bei Rot an deren Fenster zu klopfen und ein wenig Geld zu erbetteln. Doch an diesem Tag lächelt er und antwortet auf die Frage, was er denn da mache, mit einem kurzen: „Das ist jetzt mein Land.“ Dann taucht er den Pinsel wieder ein und beugt sich in Zeitlupe wieder herunter. Gibt es ein besseres Symbol dafür, wie nicht nur dieser Mann, sondern ein ganzes Land seine Würde wiedergefunden hat?

Die ganze Welt hielt in den ersten Wochen der Revolution Anfang des Jahres 2011 den Atem an. Durch ihre schiere Masse und ihre unglaubliche Sturheit, immer wieder friedlich auf die Straße zu gehen, brachten die Araber auch die repressivsten Regime ins Wanken. Die Faszination dieser Freiheitsbewegungen entstand auch dadurch, dass die reale Macht des Volkes auch im fernen Europa greifbar und erfahrbar wurde. Was da geschah, mutete wie ein modernes Politmärchen an, dessen Inspirationskraft sich kaum jemand entziehen konnte. Und es blieb nicht bei einem Land – es wurde die Zeit der Tausendundeinen Revolution.

***

Es ist ein Privileg, ein wahres Geschenk des Schicksals, als Journalist und Zeitzeuge live in Tunis, Kairo und Bengasi dabeigewesen zu sein. Vor 20 Jahren habe ich während der Operation Wüstensturm von Bush Senior aus der Region zu berichten begonnen. Ich habe zwei palästinensische Intifadas begleitet, einen weiteren Krieg im Irak, diesmal mit Bush Junior, einen im Libanon, einen im Gazastreifen. Während der Präsidentschaftswahlen im Iran musste ich das Scheitern des grünen Aufstands gegen Ahmadinedschad miterleben. Es waren allesamt besondere, meist tragische Momente, aber auch verbunden mit dem Gefühl, gerade an dem Ort zu sein, an dem etwas Wichtiges geschieht, etwas, das die Welt zum Teil wochenlang in Atem hielt. Die Geschichten aus diesen Zeiten waren meist traurige Geschichten, von Menschen, die in diesen Kriegen lebten und überlebten und nicht selten starben. Viele Bekannte und sogar enge Freunde, die bei sinnlosen Anschlägen ums Leben kamen, habe ich über die Jahre verloren. All die Kriege und Attentate hatten eines gemeinsam: Sie brachten kaum Veränderungen und wenn, dann meist zum Schlechteren.

***

Als ich Anfang Januar in Tunis am Flughafen an der Passkontrolle stand, bekam ich eine Gänsehaut, nicht vor Angst, sondern vor gespannter Erwartung. Als mich der Grenzbeamte im revolutionären Tunesien begrüßte, fragte er mich, was ich über „ihre“, die tunesische, Revolution denke. Ein arabischer Polizist sprach von „unserer Revolution“, mit mir, einem Journalisten, der ein paar Wochen zuvor für die Einreise zur Arbeit als Reporter im Polizeistaat Tunesien kein Visum bekommen hätte. Jetzt stempelte er die Einreiseerlaubnis beiläufig während des Gesprächs in meinen Pass und wünschte mir einen angenehmen revolutionären Aufenthalt. Bei der Annahme des Gepäcks drehte ich mich mehrmals ungläubig zu dem Beamten um. „Willkommen im neuen Arabien“, dachte ich mir und hatte keine Ahnung, welcher weitere Wirbelwind meiner Region bevorstand.

Die bekam ich erst, als die Tunesier immer wieder fragten, wann es bei uns in Ägypten losgehe. „Sobald ich zurück zu Hause bin“, witzelte ich, und hatte wieder keine Ahnung, wie schnell dieser Scherz Wirklichkeit werden würde. Ich war gerade zurück in Kairo, da hatten die ägyptischen Jugendlichen via Facebook für ihre eigenen Tage des Zorns mobilisiert. Meine revolutionäre journalistische Achterbahnfahrt wollte nicht aufhören.

Gut, dachte ich mir, wenn die Umwälzung in Ägypten klappt, dem bevölkerungsreichsten arabischen Staat, dem Herzstück der arabischen Welt, der Umm El-Dunia, der Mutter der Welt, wie die Ägypter ihr Land nennen, dann, da war ich mir sicher, steht der gesamten arabischen Welt ein revolutionärer Tsunami bevor. Dabei war ich überzeugt, dass der Wandel Länder wie Libyen zuletzt erreichen würde. Gaddafis Reich war für mich das Bollwerk der unterdrückerischen Regime in der Region, eine Art arabisches Nordkorea. Auch dort würde die Geschichte nicht vorüberziehen, dachte ich mir. Aber die Revolution würde dort zuletzt ausbrechen.

Ich hatte mich wieder getäuscht. Es dauerte nicht lange, und ich packte in Kairo meine Koffer, um mich in die Hochburg der libyschen Rebellen, ins befreite Bengasi, aufzumachen.

***

Die Revolutionen begannen überall auf ähnliche Weise: Den Anfang machten meist Jugendliche, die zuvor mit der alten, stets stagnierenden Politik der arabischen Welt nichts am Hut hatten. Sie entwickelten neue Methoden, mit modernen Medientechnologien wie Blogs, Facebook und Twitter die Regime einfach zu überrumpeln. Sie taten es ohne jegliche charismatische Führung, als revolutionäres Kollektiv, dem kein Sicherheitsapparat beikommen kann.

Die Revolutionen hatten ein wichtiges gemeinsames Merkmal: Die Menschen hatten über Nacht ihre Angst verloren. So las ich auf Twitter folgenden Eintrag: „Als wir furchtlos auf die Polizeiketten zugestürmt sind und die Polizisten auch noch vor uns davonliefen, dachte ich das erste Mal: Das ist eine Revolution.“ Erst war es eine kleine Gruppe, die sich nicht mehr einschüchtern ließ. Dann eine große Masse, die die Sicherheitsapparate mit einer Mischung aus Polizei, Staatssicherheit und angeheuerten Schlägern nicht mehr kontrollieren konnten.

Aber es war mehr als das: Menschen aus allen Gesellschaftsschichten hatten sich der Revolution angeschlossen – Studenten, Anwälte, Ärzte, Lehrer, Bauern, Beamte, Arbeitslose, und Beduinen, was sich in Kairo einmal in einer äußerst brenzligen Situation als sehr hilfreich erwies: Als Mubaraks Schläger auf Kamelen und Pferden den Tahrir-Platz attackierten, rutschte dort zunächst allen das Herz in die Hose. Doch auf dem Platz bei den Demonstranten waren auch ein paar Beduinenjungs, die wussten, wie man ein Pferd in den Schwitzkasten nimmt und mit einem gekonnten Seitenschwung zu Boden zwingt, und dieses Wissen gaben sie den anderen weiter. Da nützten den Reitern auch ihre Knüppel nichts mehr: Am Ende hatte Mubarak die ganze Gesellschaft mit ihrem geballten Wissen gegen sich. Dagegen konnte er nichts mehr ausrichten. Drei Jahrzehnte Willkür, Korruption und Misswirtschaft hatten einen Volksaufstand im wahren Sinne des Wortes provoziert.

Dieser zog sich durch alle Generationen. Eine Anwältin in Kairo erzählte mir die Geschichte ihrer 16-jährigen Tochter, die Tag und Nacht auf dem Tahrir-Platz war. Eines Morgens erhielt die Anwältin einen panischen Anruf einer Bekannten, die ihr erzählte, dass sie unter ihrem Fenster gerade Karawanen mit Pferden und Kamelen sehe, auf denen mit Knüppeln bewaffnete Reiter säßen, die auf dem Weg zum Tahrir-Platz seien und sicherlich nichts Gutes im Sinn hätten. Die Anwältin ließ in ihrer Kanzlei im Zentrum Kairos alles liegen und stehen und lief zum Tahrir-Platz, um ihr einziges Kind dort heil herauszuholen. Als sie ankam und ihre Tochter schließlich fand, während gleichzeitig die Schläger über den Platz herfielen, schrie sie sie an, was sie denn hier noch mache und warum sie sich nicht in Sicherheit gebracht habe. Die Tochter sah ihre Mutter nur entgeistert an und schrie zurück, was sie hier zu suchen habe, jetzt müsse sie nicht nur den Tahrir, sondern auch noch ihre Mama vor den Schlägern schützen. Am Ende hatten beide den Platz erfolgreich verteidigt.

***

Gerade einmal ein halbes Jahr vor der Revolution hatte ich als Journalist selbst begonnen, mit den neuen Medien zu experimentieren. Zunächst, indem ich meinen eigenen Blog mit dem Namen „Arabesken“ (blogs.taz.de/arabesken) begann und dort auch über die Willkür der arabischen Regime meine Einträge schrieb. Dann, indem ich meine eigene Facebookseite facebook.com/Karims.Arabesken und mein Twitter-Konto twitter.com/gawhary eröffnete. Das war zu einer Zeit, als uns die ersten Statistiken überraschten, die besagten, dass es in Ägypten bereits mehr Facebook-Nutzer als Tageszeitungs-Leser gäbe. Das war an sich schon bemerkenswert. Dass ausgerechnet Blogs, Facebook und Twitter die neuen Instrumente werden sollten, mit denen zum Aufstand mobilisiert wurde, das hatten sich selbst die Internet-Aktivisten in ihren kühnsten Träumen nicht vorstellen können.

Was liegt da näher, als die Ereignisse selbst mit Blog-Einträgen, Facebook-Postings und Twitter-Tweets wiederzugeben? Indem es diese mit Zeitungsreportagen und Live-Gesprächen für Radio und Fernsehen mischt, versucht dieses Buch etwas Neues: mit aus dem Moment geschriebenen und gesprochenen Beiträgen eine Unmittelbarkeit herzustellen und den Leser auf eine ungestüme, ungewöhnliche revolutionäre Abenteuerreise mitzunehmen. Das Buch ist ein Rückblick, ein Zeitdokument, das die Leser direkt zu den Orten und Zeiten bringt, an denen die Revolution stattgefunden hat. Nach dem...