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Schulfach Glück - Wie ein neues Fach die Schule verändert

Ernst Fritz-Schubert

 

Verlag Verlag Herder GmbH, 2010

ISBN 9783451333231 , 192 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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6,99 EUR

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Teil II
Lernziel Glück


7. Glück ist erlernbar


Diese Erkenntnis zwingt uns zum Nachdenken über unsere heutige Schule und zum Verlassen ausgetretener pädagogischer Pfade. „Schule neu denken“ formulierte von Hentig und beschrieb in seinem gleichnamigen Buch konkrete Hinweise zur Ausgestaltung der Schullandschaft. Der Begriff Glück scheint in seinen pädagogischen Spätbetrachtungen eine immer größere Bedeutung zu bekommen. Das verwundert, denn in der pädagogischen Literatur wurde Glück immer im großen Bogen umgangen. Das liegt vielleicht daran, dass das „Glück“ als Lernziel aus mehreren Gründen problematisch erscheint:



1. Wegen seiner Doppeldeutigkeit im Sinne des positiven Zufalls (ich habe Glück gehabt) und des im Glück sein (Hans im Glück) oder besser glücklich sein entsteht für die Pädagogik das Problem der Abgrenzung beider Bedeutungen und damit auch die Schwierigkeit der ernsthaften Lernzielbestimmung. Im Englischen wird diese Unterscheidung deutlicher, „luck“ als Zufallsglück und „happiness“ als glücklich sein.



2. Aus psychologischer Sicht beschreibt Glück eine außerordentliche Hochstimmung, die mit dem Gefühl enormer innerer und äußerer Energie verbunden ist und den heftigen Wunsch nach Nähe zu anderen beinhaltet. Diese Hochstimmung ist zeitlich begrenzt und klingt früher oder später wieder ab. Es erscheint also fragwürdig, ob die Schule ihre Schüler in solche Hochstimmungen versetzen soll oder kann.



3. Glücklichsein oder, anders ausgedrückt, Glückseligkeit beschreibt einen Zustand, der dem Wunsch und Willen entspricht, aber durch den bloßen Willen nicht erreicht werden kann. Der Wunsch kann sich zwar auf das Unmögliche richten, aber die Entscheidung, willentlich zu handeln, muss auf das gerichtet sein, wozu ich mich bestimmen kann. Die Aussage „Ich wünsche mir, glücklich zu sein“, ist zulässig, aber „Ich will glücklich sein“, ist vermessen. Da Wunsch und Wille beim Glück zwangsläufig auseinander fallen, gibt es bei der Bestimmung von Lernzielen Schwierigkeiten. Es können nur solche Ziele angestrebt werden, die realisierbar sind. Wünsche oder Träume sind eher fremd in der schulischen Wirklichkeit.



Die Lösung dieser Probleme ergibt sich durch eine saubere Trennung der Begriffe und durch die Einbeziehung der Zeit: Glück empfinden wir als Hochgefühl im Glücksmoment, also während einer kurzen Zeitdauer als augenblickliches Glück in der momentanen Stimmung, z. B. bei der Verkündung der bestandenen Prüfung, dem sportlichen Sieg oder bei einem schönen sexuellen Erlebnis. Glück empfinden kann aber auch ein dauerhaftes Gefühl des Wohlbefindens sein. In diesem Zusammenhang sprechen wir dann von „Lebensglück“. Bei rationaler, kognitiver Betrachtung ergibt sich daraus „Lebenszufriedenheit“.



Wenn die Schule nicht nur der Lebenszufriedenheit, also der kognitiven, rationalen Betrachtung Raum gibt, sondern wegen seiner besonderen Bedeutung auch den affektiven Bereich des längerfristigen Wohlbefindens Lebensglück einbezieht, nähern wir uns dem Fach „Glück“ in der Schule. Es beschreibt dann die Unterstützung des einzelnen und der Gemeinschaft beim Streben nach Glück. Übrigens, das Streben nach Glück findet sich als unveräußerliches Recht in der amerikanischen Verfassung vom 4. Juli 1776 wieder: „…people are endowed with certain unalienable rights, among these are life, liberty and the pursuit of happiness.“ Glück erhält damit als Lebens-, aber auch als Lernziel seine Daseinsberechtigung.



Was aber ist Lebensglück und Lebenszufriedenheit? Hier gehen die Meinungen sicherlich weit auseinander. Ruut Veenhoven, Soziologe und Professor an der Erasmus-Universität in Rotterdam, verfügt über das größte Archiv zur Lebenszufriedenheit. In seiner „world data base of happiness“ befinden sich die weltweit durchgeführten 3.000 Umfragen und 10.000 Studien zum Thema Glück. Er ist damit in der Lage, durch Befragung von Testpersonen die Lebensfreude zu ermitteln. Auf einer Skala von 1 bis 10 wird der jeweilige Grad der Zufriedenheit festgehalten. Laut seiner Statistik ist die Weltbevölkerung durchschnittlich 67,5% ihrer verfügbaren Zeit glücklich. Nach seiner Erkenntnis leben die Nordeuropäer, genauer gesagt die Dänen mit 82% am glücklichsten, während die Afrikaner mit 33% überwiegend unglücklich sind. Deutschland befindet sich mit 72% ebenso wie die USA mit 74% im oberen Bereich. Wie jede Statistik, so kann man natürlich auch die Glücksstatistik anzweifeln, aber die Neurobiologen bestätigen die Richtigkeit dieser Erhebungsform, weil mit der Magnetresonanztomographie – bildgebende Verfahren von Gehirnaktivitäten – verdeutlicht werden kann, dass bei angenehmen Gefühlen bestimmte Regionen des Gehirns aktiver sind und dies wiederum mit den angegeben Werten auf der „Glückskala“ übereinstimmt.

Veenhovens Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass wachsender Wohlstand nur in der Anfangsphase und auch nur in geringem Maße für die Zufriedenheit verantwortlich ist. Zu den gleichen Ergebnissen kam schon 1974 Richard Easterlin. Er fand heraus, dass sich die Zufriedenheit der Amerikaner in den Jahren nach dem 2. Weltkrieg kaum erhöhte, obwohl das nationale Einkommen sich fast verdoppelte. Das sogenannte Easterlin-Paradoxon gilt immer noch. In den Jahren von 1975 bis 1995 ist das reale Pro-Kopf-Einkommen der Amerikaner noch einmal um fast 40% gestiegen, aber die Menschen sind trotz aller weiterer materieller Möglichkeiten nicht glücklicher geworden. Psychologen bestätigen, dass nach enormen Einkommenszuwächsen, wie z. B. Lotteriegewinnen, nach kurzer Zeit der Zugewinn an Lebensglück aufgebraucht ist und in vielen Fällen sogar die Glücksbilanz umschlägt und negative Gefühle entstehen können.



In Walt Disneys „Entenhausen“ konnte ich diese Erkenntnis in der tragischen Figur des „Onkel Dagobert“, der immer im Geld baden musste, um endlich glücklich zu sein, schon in meiner frühesten Kindheit nachlesen. Aber warum bloß erzählen die Ökonomen ihren Schülern und Studenten immer die gleiche uralte ökonomische Regel, dass, wenn jeder seinen Nutzen maximiert, letztlich das optimum optimorum als absoluter Wonnepunkt für uns alle herausspringt. Die Idee des für das Gemeinwohl „nützlichen Eigeninteresses“ stammt von Jeremy Bentham, dem Begründer des Utilitarismus. Als Sohn eines Londoner Anwalts trat er für mehr Gerechtigkeit bei der Verteilung des Wohlstandes ein. Sein „Prinzip der Nützlichkeit“ basiert auf dem hedonistischen Menschenbild, nachdem uns genetisch auferlegt wurde, das Leid zu vermeiden und die Lust zu vermehren. Nützlich sind demnach alle Handlungen, die Gutes, Freude oder Glück hervorbringen und die das Unheil, das Böse und das Leid verhindern. Ihm war es übrigens egal, ob dies im Interesse der Gemeinschaft war oder nur des Einzelnen. Denn am Ende würde durch Zusammenfassung der Nutzeneinheiten ohnehin alles in der Bilanz des Wohlbefindens summiert. Die hedonistische Denkweise war auch schon damals nicht ganz neu, denn in der griechischen Antike galt unter den Sophisten die Parole „Wer richtig leben will, muss seine Begierden so groß werden lassen als möglich und darf sie nicht einzwängen.“

Das antike Modell, das ebenso unerklärlich und untauglich war wie das von Bentham, wurde schon von Sokrates ad absurdum geführt. Schluss mit dem Lustprinzip und ran an die Tugend. Schließlich sind Menschen vernunftbegabte Wesen. Das dachte dann auch John Stuart Mill Anfang des 19. Jahrhunderts, als er in die Fußstapfen von Bentham, des Freundes seiner Eltern, trat und den Utilitarismus weiter entwickelte, aber vor der Befriedigung bloßer sinnlicher Bedürfnisse warnte, schließlich müsste auch an die Folgen für sich und andere gedacht werden. „Es ist besser, ein unzufriedener Mensch zu sein als ein zufrieden gestelltes Schwein; besser ein unzufriedener Sokrates als ein zufriedener Narr.“ Seine Appelle, fortan die Interessen der anderen ebenso wie die eigenen zu berücksichtigen und das Glück aller Betroffenen im Auge zu behalten, sind im Maschinenlärm des Frühkapitalismus leider überhört worden. Nicht so die Nutzenmaximierung, die sich durch den Übervater aller Ökonomen, Adam Smith, im Produktionsprozess als äußerst tauglich erwies. Nutzen, der für den einzelnen und die Allgemeinheit direkt nicht messbar war, konnte nun an Produktionskennzahlen und an satten Gewinnen abgelesen werden. Natürlich müssen die Produkte auch an den Mann oder die Frau gebracht werden. Kein Problem, denn John Locke hatte schon ein Jahrhundert zuvor sowohl das Recht auf Kapitalismus (liberty, live and the right of property) postuliert als auch die menschlichen Handlungsmotive mit dem Wunsch auf Beseitigung eines Unbehagens oder Mangels umschrieben. Der Beginn des Konsumzeitalters und der Anfang einer tragischen Verkettung von Missverständnissen oder Fehlleitungen im Hinblick auf das Verständnis von Mangel, Bedürfnis und Glück war eingeleitet. Kein geringerer als Karl Marx hat sich mit der Endlosschleife der immer nachwachsenden Bedürfnisse und denjenigen, die dafür verantwortlich sind, den Kapitalisten, heftig auseinandergesetzt. Seine Theorie, dass sich die Bedürfnisse historisch mit den Möglichkeiten ihrer Befriedigung vermehren, sich also immer mit der Befriedigung eines Bedürfnisses ein...