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Perry Rhodan-Paket 15: Aphilie (Teil 1) - Perry Rhodan-Heftromane 700 bis 749

Perry Rhodan Redaktion

 

Verlag Perry Rhodan digital, 2011

ISBN 9783845329543 , 3000 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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59,99 EUR


 

Bangkok 3580


 

»Dem nächsten, der dich anschaut, schlage ich ins Gesicht!«, knurrte Sergio.

»Pass nur auf deine Augen auf!«, antwortete Sylvia warnend. »Sie werden dich sonst für einen Wahnsinnigen halten.«

Sie trieben auf der langsamsten Sektion des Rollsteigs durch die Fußgängerzone der Innenstadt von Bangkok, einer Stadt, die sich im Laufe der Jahrhunderte zum Zentrum Südostasiens entwickelt hatte. Um Sergio und Sylvia herum drängte sich dichter Verkehr. Auf dem breiten Laufband standen sie in Tuchfühlung mit Menschen in den üblichen lichtgrauen Standardmonturen, Menschen, die meist starren Blicks geradeaus schauten, ohne jegliche Regung in ihren Gesichtern. Nur hin und wieder sah einer auf – ein Mann gewöhnlich, der eine Frau erblickt hatte, die sein Interesse erregte. Für die kurzen Augenblicke des Vorbeigleitens leuchteten seine Augen in unverhüllter Begierde. Das war es, was Sergio Percellar störte: Sylvia war ein Geschöpf, dessen Anblick die Gier vieler Männer erregte. Sie starrten von dem in entgegengesetzter Richtung laufenden Band herüber, und in ihren Blicken lag soviel obszöne Offenheit, dass Sergio seine Wut kaum mehr zu bezähmen wusste.

Sylvia spürte seine Erregung. Verstohlen legte sie ihm die Hand auf den Arm, eine Geste, die sie sofort verraten hätte, wenn sie von jemand bemerkt worden wäre.

»Nur Ruhe!«, murmelte sie. »Wir sind gleich da. Vergiss nicht, was wir uns vorgenommen haben!«

»Ich wusste nicht, dass es so schwer sein würde«, knirschte er.

»Wiederhole unseren Vorsatz!«, forderte sie ihn auf.

»Jetzt? Hier?«, protestierte er.

»Du kannst ebenso leise sprechen wie ich«, redete sie auf ihn ein, »und niemand außer mir wird dich hören. Also ...?«

Er wusste genau: wenn sie in diesem Ton zu ihm sprach, gab es kein Ausweichen. Stockend begann er: »Ich will fortan die Nächstenliebe als das höchste Gut betrachten, das dem Menschen je zuteil werde. Ich will fortan nicht vergessen, dass eine Laune der Natur und nicht ihr eigenes Wollen den Menschen die Möglichkeit genommen hat, Nächstenliebe zu empfinden. Ich will fortan meine Mitmenschen als Kranke betrachten, die meine Nachsicht verdienen. Ich will mich gegen ihre Nachstellungen wehren, soweit sie mir gefährlich werden können; aber ich will meine Mitmenschen für ihre Handlungen, die aus Mangel an Nächstenliebe geboren sind, nicht verantwortlich machen.«

Sie ließ die Hand von Sergios Arm gleiten.

»Das hast du gut gesagt«, lobte sie ihn halblaut und hatte ihr Gesicht dabei so in der Gewalt, dass es denselben starren Ausdruck zeigte wie das der Menschen, zwischen denen sie eingekeilt waren. »Und du fühlst dich jetzt auch schon viel weniger aufgeregt, nicht wahr?«

»Ja!«, grinste er und fing an zu lachen.

Als er den warnenden Blitz ihrer Augen sah, war es schon zu spät. Einer der Umstehenden fuhr herum und fragte mit drohender Stimme: »Wer hat da gelacht?«

Ein kleines, altes Männchen, das unmittelbar neben Sergio stand, war mit der Antwort gleich bei der Hand. Es streckte den Arm aus und deutete auf Sergios hochgewachsene, hagere Gestalt. Mit schriller Stimme verkündete es: »Der da war es! Ich habe es deutlich gehört!«

Der Frager, ein grobschlächtiger Asiate, drängte die Umstehenden beiseite und kam auf Sergio zu.

»Du hast gelacht? Und warum, Bruder?«

Sergio hatte, als ihm die Gefahr offenbar wurde, in der er schwebte, die Miene aufgesetzt, die Sylvia und er in ihrem privaten Sprachgebrauch »das Standardgesicht« nannten: ernst und ausdruckslos.

»Selbst wenn ich gelacht hätte«, antwortete er mit flacher Stimme, »ginge es dich nichts an, Bruder. Die Wahrheit ist jedoch, dass ich nicht gelacht habe. Ich habe mich verschluckt und gehustet. Und nun, Bruder, lass mich in Ruhe!«

War es die korrekte Antwort, war es Sergio Percellars zwingender Blick – kurzum, der Bullige wandte sich ab. Noch eine halbe Minute verging, dann flüsterte Sylvia: »Hier müssen wir absteigen!«

Sie verließen das Band und mischten sich unter die Menge, die sich abseits der Rollbandstraßen über den Gehsteig schob.

 

*

 

Die Straßen und Gassen der Fußgängerzone waren voll von Menschen. Es war, als triebe die Aphilie die Menschen aus ihren Wohnungen, damit sie einander ständig nahe seien, obwohl sie sich nichts zu sagen hatten. Es war ein buntes Völkergemisch, das Sergio und Sylvia umgab, Menschen von allen Zonen der Erde, Marsgeborene und Siedler von den Kolonialwelten des ehemaligen Solaren Imperiums. Was sie alle in Bangkok zu suchen hatten, war Sergio schleierhaft. Sie alle starrten mit teilnahmslosem Blick geradeaus – auch dann, wenn sie sich miteinander unterhielten, was stets mit ruhiger Stimme geschah. Er hasste den leeren Ausdruck ihrer Gesichter, und es kostete ihn Mühe, seinen Abscheu nicht deutlich zu zeigen.

Und noch eine Gruppe von Wesen gab es inmitten des Gedränges, das die Innenstadt von Bangkok erfüllte: gelbbraun Uniformierte, die sich durch die Menschenmenge schoben und ihre Augen überall hatten. Die Gelbbraunen waren Roboter, die Aufpasser der neuen Machthaber. Sie hatten darauf zu achten, dass das Gesetz nicht verletzt wurde. Und wenn sie eine Verletzung beobachteten, dann hatten sie dafür zu sorgen, dass der Schuldige sofort bestraft wurde.

Die Menschen nannten sie nach ihrer Typenbezeichnung: K-2. Ka-zwo, das war ein gefürchtetes Wort, denn die Ka-zwos waren erbarmungslos. Jede noch so kleine Verfehlung wurde scharf geahndet, und es gab keine geringere Strafe als einen Schlag auf die Schulter, mit einer Energie von zwanzig Newtonmeter. Das aber war eine Strafe, unter der schon manches Schlüsselbein den Dienst aufgesagt hatte. Um Ka-zwos machten die Menschen einen Bogen.

Für Sergio Percellar aber – und ebenso für Sylvia Demmister – waren die Ka-zwos die Personifikation der Hässlichkeit dieser Welt. Sergio hasste die Roboter mit einer Inbrunst, die fast schon nicht mehr menschlich war. Sollte ihn jemals einer nach der Leistung fragen, auf die er am stolzesten war, dann hätte er ohne Zweifel darauf geantwortet, er habe bereits zweiundzwanzig Ka-zwos »beiseitegeschafft«.

Er folgte Sylvia in eine schmale Seitengasse, die von schmalen, alten Fassaden begrenzt wurde. Sylvia liebte diesen Teil der Stadt, und in einem der Häuser kannte sie ein kleines Esslokal, von dem sie Sergio schon lange vorgeschwärmt hatte, noch bevor sie nach Bangkok gekommen waren. Es bestand aus einem einzigen langen, schmalen Raum, auf dem man so viele Tische und Stühle wie möglich zusammengepfercht hatte. Das Restaurant war etwa zu drei Vierteln besetzt, als Sylvia und Sergio eintraten. An der rückwärtigen Wand gab es eine Reihe glitzernder Speise- und Getränkeautomaten. Eine Schlange von Menschen hatte sich davor gebildet, und die Schlange bewegte sich nur langsam, da die Automaten eine erstaunlich große Auswahl boten und die Leute Mühe hatten, sich zu entscheiden. Über der Reihe der Automaten und noch einmal über dem Eingang hing je ein kleines Aufnahmegerät, das die Vorgänge im Restaurant aufzeichnete. Denn das war das hervorstechendste Merkmal der aphilen Gesellschaft: dass sie ihre Mitglieder dauernd bewachte.

Sylvia und Sergio stellten sich an. Sergio zog ein paar Münzplaketten aus der Tasche und überlegte, wieviel sie sich heute leisten konnten. Bei einem Leben wie dem ihren war Geld immer knapp, und bis nach Borneo waren es immerhin noch gute zweitausend Kilometer.

Sie waren bis auf drei oder vier Leute, die noch vor ihnen standen, an den ersten Automaten herangekommen, als es geschah – plötzlich, unerwartet und ohne Anlass. An einer der weiter vorne stehenden Maschinen hatte sich einer der Kunden nach der Ansicht des Mannes, der hinter ihm stand, zuviel Zeit genommen. Der Ungeduldige, ein mittelgroßer, grobknochiger Mann unbestimmten Alters, drängte sich mit einem knurrenden Laut nach vorne, rammte dem Saumseligen den Ellbogen in die Seite und begann nun, selber seine Wahl zu treffen.

Unwillkürlich wurde es still in dem langgestreckten Raum. Instinktiv spannten sich Sergios Muskeln. Er wusste, was nun kommen würde, und die andern, die den Zwischenfall beobachtet hatten, wussten es auch.

Eine schrille, quäkende Pfeife begann zu plärren. Das war das Signal. Das Gesetz über den Umgang der Menschen miteinander, Absatz drei: im Alltag, Paragraph vierzehn: bei Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen, war verletzt worden. Eines der Aufnahmegeräte hatte den Verstoß bemerkt und gemeldet.

 

*

 

Der Mann, der sich auf so rüde Weise zu seinem vermeintlichen Recht verholfen hatte, stutzte zunächst, als er die Pfeife quäken hörte. Er wandte sich ein wenig von der Maschine ab, aus der er seine Mahlzeit hatte beziehen wollen, und drehte sich so, dass Sergio sein Gesicht sehen konnte. Es war ein hageres Gesicht mit ungesunder, gelblicher Haut und unangenehmen Zügen.

Plötzlich wurde er blass. Die Bedeutung des Pfeifengequäkes schien ihm aufgegangen zu sein. Aus weit aufgerissenen Augen starrte er in Richtung des Eingangs. Ein gurgelnder Schrei brach ihm über die Lippen.

»Nein!«

Dann sprang er. Er durchbrach die Reihe derer, die sich vor den Maschinen angestellt hatten, mit wild schwingenden Armen trieb er die Leute auseinander. Mit weiten Sätzen hetzte er auf den Ausgang zu.

Draußen – das konnte Sergio durch die offene Tür sehen – zögerte er eine halbe Sekunde, unschlüssig, nach welcher Seite er sich wenden solle. Und mit einemmal ließ er die Arme hängen und senkte den Kopf. Er bot ein Bild der absoluten Mutlosigkeit, und wenige Augenblicke später konnte man...