dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Die Kalte Sofie - Ein München-Krimi

Felicitas Gruber

 

Verlag Diana Verlag, 2013

ISBN 9783641087456 , 320 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

9,99 EUR


 

5

Und aus die Maus …

Der Blick auf die Stadt traf sie wie ein Schlag.

Wie hatte sie all das vermisst!

Die ersten Strahlen der Frühlingssonne tauchten die Silhouette Münchens in ein gleißendes Licht. Zwischen den zahllosen Kirchen und Kirchlein ragten selbstbewusst die beiden wuchtigen Türme des Doms empor, die die Konkurrenz mit den wenigen protzigen Hochhäusern nicht zu scheuen brauchten. Als ob sie wüssten, dass in der Münchner Innenstadt immer noch die Frauenkirche den Ton angab und die zulässige Bauhöhe diktierte. Sogar die sonst so hässliche steinern-graue Anlage des Sendlinger Heizkraftwerks im Süden leuchtete heute wie einsilbern schimmerndes Zauberschloss verheißungsvoll über der Isar auf und sandte aus ihrem riesigen Kamin ein paar dunstige Rauchwölkchen als zarten Willkommensgruß …

Magisch.

Sofie blinzelte glückselig, atmete tief durch und brachte das Fahrrad kurz zum Stehen.

»Ja, bist jetzt du narrisch, oder was? Als obs keine Augen im Kopf hätt, die Trutschn, die damische!«

Eine bärbeißige Männerstimme holte Sofie unsanft in die Wirklichkeit zurück. Entschuldigend drehte sie sich zu dem Schnauzbart um, der sich mit verschränkten Armen hinter ihr aufbaute.

»Einen so schönen Morgen muss man doch einfach genießen. Oder?«

Säuerlich murmelte der Mann etwas von »sentimentalen Weibsbildern«, als auch ihn einer dieser orangegoldenen Strahlen traf. Blinzelnd warf er einen erstaunten Blick auf das überwältigend schöne Panorama zu seinen Füßen. Verlegen kratzte er sich am Kopf.

»Geh, rutsch mir doch den Buckel runter!«

Dann machte er sich, nun vergnügt pfeifend, davon, ohne Sofie eines weiteren Blickes zu würdigen.

Die sah ihm amüsiert nach. Die Giesinger halt. Meister im Granteln. Stolz. Und inwendig dann doch weicher, als ihnen lieb war.

Grinsend schwang auch sie sich wieder auf ihr altes Herrenrad.

Wer behauptete, München sei flach wie ein Brotzeitbrett, war garantiert noch nie das Isarhochufer entlanggegangen. An der Heilig-Kreuz-Kirche in Obergiesing begann nämlich die Traumstrecke eines jeden Radlfahrers – allerdings nur für den, der sich bergab auf den Weg in die Innenstadt machte. Den Giesinger Berg in aller Früh hinunterzusausen, ohne ein einziges Mal in die Pedale steigen zu müssen, war für Sofie schon immer ein Hochgenuss gewesen. Mit etwas Glück konnte man sich bis weit in die Humboldtstraße tragen lassen.

Punktgenau landete Sofie mit geröteten Wangen und blitzenden Augen vor ihrem altvertrauten Stehbäcker. Nachdem auch ihre Espressomaschine in den Untiefen irgendeines Umzugskartons ruhte – vermutlich in direkter Nachbarschaft zu ihren Hosen –, wollte sie sich noch schnell einen Milchkaffee gönnen wie in alten Zeiten.

Stirnrunzelnd musterte sie das junge, erschreckend bleiche Mädchen im hochgezogenen dunklen Hoodie, das vor ihr in der Reihe mit verhaltener Stimme einen Latte zum Mitnehmen bestellte.

Was war denn mit der los?

Als ob sie dem Leibhaftigen persönlich begegnet wäre!

»Da schau her, die Sofie Rosenhuth! Dass man dich auch amal wieder sieht!«

Die familiäre Begrüßung durch die alte Sengmeierin ließ Sofie die seltsame Begegnung schnell vergessen.

»Bist jetzt wieder bei uns in der Gendarmerie an der Chiemgaustraß, oder was treibst allawei?«

Mit dem Gedächtnis der alten Frau ging es offensichtlich bergab. Wie oft hatte Sofie noch vor ihrer Abreise nach Berlin versucht, der verrunzelten Bäckerin klarzumachen, dass sie die Uniform einer Streifenpolizistin längst gegen einen Medizinerkittel ausgetauscht hatte. Aber keine Chance. Seit Sofie vor acht Jahren den Einbruch in der Bäckerei aufgeklärt hatte, war sie eine Heldin in Froschgrün – zumindest in der kleinen Welt von Genoveva Sengmeier.

Auch in anderer Hinsicht schien die Zeit für die alte Dame stehen geblieben zu sein.

»Und wie gehts dahoam? Was macht die Vroni? Und der Joe?«

Sofie schluckte. Ob es ihr passte oder nicht, die Begegnung mit Letzterem würde ihr sowieso demnächst ins Haus stehen. Aber heute wollte sie von diesem Namen – und dessen Träger – bitte erst mal verschont bleiben.

Hastig legte sie ein paar Münzen auf die Theke und griff nach dem Pappbecher mit frisch gebrühtem Milchkaffee, auch wenn sie sich dabei fast die Finger verbrannte. Hauptsache: weg!

»Alles bestens. Danke, Frau Sengmeier.«

»Dann grüß recht schön! Und lass dich wieder blicken, hörst?«

»Mach ich! Pfiat Eahna!«

Sofie drückte einen Plastikdeckel auf den Pappbecher, verstaute ihn in ihrem Fahrradkorb und sah zu, dass sie davonkam. Wenn sie sich ranhielt, konnte sie es vielleicht gerade noch schaffen, sich wenigstens für ein paar Minuten an die Isar zu setzen und in Ruhe ihren Kaffee zu trinken.

Doch manchmal meint das Schicksal es eben anders …

Kurz vor der Wittelsbacherbrücke wechselte Sofie den Gang – und trat plötzlich ins Leere.

Na, servus. Mal wieder. Wie in alten Zeiten.

Sofie schnaubte. Von einer rausgesprungenen Fahrradkette würde sie sich ihre gute Laune nicht verderben lassen.

Oder doch?

Und warum sonst musste sie ausgerechnet jetzt und heute beim Absteigen auch noch in einen würzig dampfenden Hundehaufen steigen?

Leicht verdrossen schob Sofie ihr Fahrrad zu dem verwaisten Spielplatz in der Nähe, setzte sich auf eine Bank und kramte den Pappbecher hervor. Sie nahm einen Schluck und versuchte, ihre Schuhe notdürftig im Gras zu reinigen. Dann begutachtete sie stirnrunzelnd ihr Rad.

Ein Papiertaschentuch wäre jetzt nicht schlecht gewesen. Tante Vroni lag ihr damit ja immer in den Ohren, ohne Rücksicht auf die Tatsache, dass ihre süße kleine Nichte inzwischen stramm auf die vierzig zuging.

Egal. Jetzt musste es eben ohne gehen.

Ächzend stellte Sofie das Fahrrad auf den Kopf und fädelte die ölverschmierte Kette geschickt wieder ein. Na bitte. Ging doch! Und ganz ohne männliche Hilfe. Joe hätte Augen gemacht.

Sofie stutzte und verzog grinsend das Gesicht. Höchste Zeit, diesen lästigen Floh, den die Sengmeierin ihr ohne böse Absicht ins Ohr gesetzt hatte, schleunigst wieder loszuwerden! Nachdenklich leerte sie den Becher und ließ dabei den Blick über den Spielplatz schweifen: Hier hatten Manu und sie sich früher am Nachmittag immer getroffen. Erst waren es Sandschaufeln und Eimerchen gewesen, die sie miteinander austauschten, später Barbiepuppen, irgendwann dann lebenswichtige Mädelsgeheimnisse. Hier hatten sie ihre erste Zigarette geraucht und schleunigst wieder die Finger davon gelassen. Hier hatte Manu ihr die Liebesbriefchen ihres Bruders Joe übergeben – und Jahre später bittere Vorwürfe gemacht, als Sofie unter die Ehe mit ihm einen Schlussstrich zog.

Joe, Joe, Joe. Auf Schritt und Tritt!

Als ob sie nichts Besseres zu tun hatte, als ausgerechnet jetzt nach dem Debakel in Berlin an diesen elenden Hallodri zu denken. Männer konnten ihr fürs Erste so was von gestohlen bleiben!

Entschlossen machte sie sich auf den Weg zum Mülleimer, um den Pappbecher zu entsorgen und dann endgültig Richtung Nußbaumstraße aufzubrechen. Da entdeckte sie ein kleines, dunkles Etwas unter der Bank neben dem Sandkasten.

Ein Mauskadaver. Und noch äußerst frisch, wie Sofies geschultes Auge auf den ersten Blick erkannte. Was hatte so was auf einem Kinderspielplatz verloren? Suchend blickte Sofie sich um. Ab sofort würde sie nie mehr ohne Taschentücher aus dem Haus gehen, das versprach sie sich im Stillen. Doch für jetzt musste eine andere Lösung her.

Sie blickte auf den leeren Becher in ihrer Hand. Natürlich! Vorsichtig schaufelte sie den reglosen Körper in den Becher, um ihn zu entsorgen. Dabei musterte sie ihn genauer.

Irgendwas stimmte da ganz und gar nicht!

Sofie wurde hellwach – was sicher nicht am Milchkaffee lag. Keine Spuren von Gewalteinwirkung, dafür dieser eigenartig verkrümmte Körper und der rosa Schaum vor dem Maul – typische Anzeichen für …

Grinsend schüttelte sie den Kopf über sich selbst und setzte erneut ihren Weg Richtung Mülleimer fort. So ein Schmarrn! Das hier war eine tote Maus. Nichts weiter. Wahrscheinlich vergiftet.

Und aus die Maus.

Aber eben das machte Sofie stutzig. Was hatte ein vergiftetes Kleintier auf einem Spielplatz zu suchen? Sie drehte um, stellte den Becher ab und begutachtete die Stelle, an der sie die Maus gefunden hatte. Regel Nummer eins: sorgfältige Sicherung des Tatorts und Sichtung auf Spuren.

In diesem Fall allerdings Fehlanzeige. Nur etwas weiter entfernt entdeckte sie neben einer rosa Sandschaufel und einem achtlos weggeworfenen, metallisch glänzenden Bonbonpapier die Abdrücke von Turnschuhen, vermutlich Größe 38.

Damenschuhe also.

Sofie presste die Lippen zusammen. Na super, Frau Dr. Rosenhuth. Was auch sonst würde man denn auf einem Spielplatz erwarten? Außer Spielzeug, dem üblichen Müll einer nachlässigen Wegwerfgesellschaft, Abdrücken von Kinderschuhen – und den Schuhen der dazugehörigen Mamis? Oder war dir die Bemerkung der alten Sengmeierin derart unter die Haut gegangen, dass dein früheres Polizistinnen-Ich mit einem Mal wieder...