dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Lektüreschlüssel. Johann Wolfgang Goethe: Faust II - Reclam Lektüreschlüssel

Johann Wolfgang Goethe, Walter Schafarschik

 

Verlag Reclam Verlag, 2013

ISBN 9783159601960 , 96 Seiten

Format ePUB, PDF, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

3,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

Derzeit können über den Shop maximal 500 Exemplare bestellt werden. Benötigen Sie mehr Exemplare, nehmen Sie bitte Kontakt mit uns auf.


 

3. Personen – Personenkonstellationen


Trotz der kaum überschaubaren Fülle von Personen in Faust II sind im Grunde genommen nur einige davon wirklich bestimmend für die Handlung, alle anderen sind ihretwegen da. Ja sie existieren, wie Mephisto, Homunculus und Helena, nur durch und in Faust.

Faust. Faust behält zwar seinen Namen, er ist aber im Schein der aufgehenden Sonne zu Beginn des I. Aktes ein ganz anderer, ein Neugeborener. Seine Begegnungen und Erlebnisse sind mit denen aus Faust I nicht ohne weiteres vergleichbar.

Was sich in den fünf Akten ereignet, erscheint als eine Folge von Stufen seiner sich entfaltenden Individualität, seiner Entelechie, mit allen in ihr angelegten Fähigkeiten und den damit verbundenen Möglichkeiten der Abirrung. Er ist damit, noch stärker als in Faust I, auch Repräsentant des modernen Menschen.

Nach seinen vorhergegangenen Aufschwüngen in geistige (Gang zu den Müttern) und innerseelische Bereiche (»Klassische Walpurgisnacht«, Verbindung mit Helena) wird er in den letzten beiden Akten mit Hilfe Mephistos und dessen Helfershelfern zum Repräsentanten des modernen Technokraten und seiner Verstrickungen in Macht und Besitz. Aus dem Erkenntnis- und Schönheitssucher wird der Kriegsherr, der Ingenieur, der Unternehmer und Kolonisator, der ohne moralische Skrupel seine hochgesteckten Ziele verfolgt und dabei auch vor Gewaltanwendung und Ausbeutung von Menschen und irdischen Ressourcen nicht zurückschreckt. Das alles tut er, indem er in sich den Gedanken pflegt, er handle für das Wohl zukünftiger Generationen.

Faust ist auf der einen Seite Vasall des Kaisers, der ihm gestattet dem Meer Land abzugewinnen, paradoxerweise ist er aber zugleich Vasall seines Dieners Mephisto, mit dessen Hilfe und Helfern er allein diese Pläne verwirklichen kann. Hier tut Goethe einen hellsichtigen Blick in die Zukunft. Er sieht das Handeln des modernen Technokraten, des globalen Unternehmers, der von Mensch und Erde entfremdet ist und in seinem Tun ein Höchstmaß an Egoismus entwickelt – den er sich aber nicht eingestehen mag. So erscheint die Befriedigung des Egoismus als Nährboden jeden Zivilisationsfortschritts. Mephisto freilich sieht all das Erreichte und Erworbene als dem Untergang geweiht an. Im Gespräch mit der Sorge blitzt in Faust dann so etwas wie kritische Selbsterkenntnis auf. Er zieht eine Lebensbilanz, in der er auch von seinem Vasallenstatus gegenüber Mephisto spricht.

Fausts Taten im IV. und V. Akt zeigen erneut einen Menschen, dessen Schuldkonto groß ist.

Da klingen die bitteren Worte des Meergottes Nereus über die Menschen nach:

8096

Gebilde, strebsam, Götter zu erreichen,

Und doch verdammt, sich immer selbst zu gleichen.

In allem Streben bleibt das Schuldig-Werden die immer gleiche Grundbedingung des Menschseins.

Von Einsicht in die Schuldhaftigkeit kann bei Faust freilich kaum die Rede sein. Bis zum letzten Atemzug hält er an seinen Allmachtsplänen fest und feiert sich in ihnen selbst – auf Kosten derjenigen, die diese Pläne realisieren müssen. Daran ändert letztlich auch die Klage gegenüber der Sorge nichts:

11404

Könnt ich Magie von meinem Pfad entfernen,

Die Zaubersprüche ganz und gar verlernen,

Stünd ich, Natur! vor dir ein Mann allein,

Da wär’s der Mühe wert, ein Mensch zu sein.

Dennoch sind das Streben – der zentrale Begriff der Faust-Dichtung – und die darin enthaltenen hohen Möglichkeiten Aufgabe des Menschen. Das ist Goethes tiefe Überzeugung. So bekennt Faust nach seinem Erwachen aus dem Heilschlaf:

4684

Du regst und rührst ein kräftiges Beschließen,

Zum höchsten Dasein immerfort zu streben. –

Nicht umsonst spricht Mephisto nach seinem Verlust von Fausts Unsterblichem von diesem als von »hoher Seele« (11830). Das bezieht sich auf den Strebenden. Und die Engel sprechen davon, dass sie den vom Bösen erlösen können, der »immer strebend sich bemüht« (11936).

Theodor W. Adorno stellt die wichtige Frage: »Wird nicht Faust darum gerettet, weil er überhaupt nicht mehr der ist, der den Pakt unterschrieb; [...]? [...] Nur durchs Vergessen hindurch, nicht unverwandelt überlebt irgend etwas.«7

In der Szene »Bergschluchten« ist von Faust anfangs gar nicht die Rede, aber die Läuterungsschritte seiner Entelechie werden in den Erlebnissen der frommen Patres sichtbar. Als die letzten Erdenreste, die irdischen Flocken, von seiner Entelechie abgelöst sind, kann er von Gretchen zu »höhern Sphären« geführt werden.

Mephisto. Mephistos Aufforderung an Faust: »Her zu mir!« am Schluss von Faust I deutet darauf hin, dass die beiden verbunden bleiben. Dennoch ist Mephistos Rolle als Begleiter Fausts jetzt eine andere. Er bleibt zwar der wache Beobachter, widerredend, spottend, fördernd, hemmend, arrangierend, kommentierend. Doch ist er weniger der Versucher und Gegenspieler. Die beiden Vertragspartner arbeiten häufig zusammen. Dabei wirkt Mephisto in seinen ironischen Kommentaren immer erfrischend, vor allem dann, wenn er Wahrheit und Lüge geschickt vermischt und sich selbst kritisch betrachtet.

Zu den geistigen Bereichen, zum Beispiel zum Reich der Mütter oder zu den Läuterungsphasen von Fausts Entelechie in der letzten Szene, hat er keinen Zugang. Hier ist er im Gegensatz zum »Prolog im Himmel« nicht mehr Partner der himmlischen Mächte.

An die Vorgänge in Fausts Inneren, zum Beispiel in der »Klassischen Walpurgisnacht« im II. Akt, muss er sich anpassen, und er tut dies nicht immer sehr souverän im Vergleich zur Walpurgisnacht in Faust I. Nach einer gewissen Eingewöhnungsphase in die ihm zunächst fremde Welt ist er dann jedoch präsent und aktiv.

Im III. Akt macht er eine merkwürdige Verwandlung durch. Zwar ist er als Phorkyas das hässliche und geifernde Gegenbild zu Helena und lässt sie durch seine Vorwürfe an ihrer Identität zweifeln, dennoch wird er von der Chorführerin später als »Ur-Urälteste« angesprochen, die ihr »erfahren, weise, [...] gut gesinnt« (8951) erscheint. Und der Chor nennt sie, nach all dem aufgeregten Geschrei zuvor, »Ehrenwürdigste der Parzen, weiseste Sibylle« (8957). Diese Verwandlung der Einschätzung gipfelt dann in der Szene »Innerer Burghof«, als Helena sie gar als »Pythonissa« (9135), als Priesterin und Seherin des Apollon Pythios, anspricht und ihr für die Rettung vor Menelaos dankt.

Auch später noch zeigt Phorkyas in diesem Akt Züge, die trotz all ihrer Störungsversuche eher positiv zu werten sind. So wenn sie sich lobend über Euphorions Gesang äußert oder wenn sie Faust eindringlich rät, Helenas Kleid und Schleier festzuhalten, denn »göttlich ist’s. Bediene dich der hohen, / Unschätzbarn Gunst und hebe dich empor: / Es trägt dich über alles Gemeine rasch / Am Äther hin, so lange du dauern kannst« (9550–53).

Um all seine Aufgaben als kritischer Begleiter und Beistand des Weltenwanderers und Weltenveränderers Faust erfüllen zu können, ist Mephisto in den verschiedenen Situationen Narr, Finanzierungsbetrüger, Geiz, Universitätsprofessor, Verwalterin (Phorkyas), siegessicherer Feldherr und Organisator, Manager für Import-Export und Logistik, Säuberungs-Scherge und Sklaven-Aufseher. Er ist aber auch, vor allem in den beiden letzten Akten, »der in allen Künsten [...] der Verharmlosung und Beschwichtigung Geübte«8.

In der Abfolge dieser Funktionen wechselt seine Erfolgsbilanz zwischen Sieg und Rückzug, am eindrücklichsten schließlich in der Spiegelung der Pakt-Szene im V. Akt, wo er als »ausgepichter Teufel« (11839) den ›Gewinn‹ seiner Wette an die Engel verliert:

11829

Mir ist ein großer, einziger Schatz entwendet:

Die hohe Seele, die sich mir verpfändet,

Die haben sie mir pfiffig weggepascht.

Dass sein Verlust selbstverschuldet ist, sieht er ein. Das Bemerkenswerte ist: Er erscheint hier noch einmal, wie im »Prolog im Himmel« zu Anfang des ersten Teiles, als eingebunden in den großen Schöpfungsplan des Herrn: »Ich habe deinesgleichen nie gehasst (337).« So ist selbst er, der Böse, wenn auch auf der untersten Stufe der Sinnlichkeit, der allumfassenden Liebe ausgesetzt: dem Rosenregen der Büßerinnen, der die Teufel vertreibt; unter diesen Büßerinnen befindet sich auch Gretchen. Mephisto hat dem nichts entgegenzusetzen und gibt sich geschlagen.

Nach dieser Niederlage verschwindet er aus der verbleibenden Handlung.

Homunculus....