dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Jäger der Nacht

Nalini Singh

 

Verlag LYX, 2011

ISBN 9783802587641 , 384 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

9,99 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet und Intranet (ab 2 Exemplaren) freigegeben

Derzeit können über den Shop maximal 500 Exemplare bestellt werden. Benötigen Sie mehr Exemplare, nehmen Sie bitte Kontakt mit uns auf.


 

1

Faith NightStar aus dem NightStar-Clan wusste, dass sie als mächtigste V-Mediale ihrer Generation galt. Sie war erst vierundzwanzig, hatte aber schon mehr verdient als die meisten Medialen in ihrem ganzen Leben. Allerdings arbeitete sie auch schon seit ihrem dritten Lebensjahr, seit sie den ersten verständlichen Satz von sich gegeben hatte. Erwartungsgemäß hatte es bei ihr länger gedauert als bei anderen Kindern sie war schließlich eine kardinale V-Mediale mit außergewöhnlichen Fähigkeiten. Niemand wäre erstaunt gewesen, wenn sie nie gesprochen hätte.

Der Grund, warum V-Mediale immer zu einem Clan gehörten, der ihnen alles abnahm, wofür sie nicht selbst sorgen konnten – von der Anlage ihres Vermögens bis hin zur medizinischen Überwachung, damit sie nicht verhungerten –, war, dass V-Mediale in praktischen Dingen nicht besonders gut waren. Sie vergaßen sie einfach. Obwohl sie seit über hundert Jahren keine Morde oder Unfälle, Katastrophen oder Kriege mehr vorhersagten, sondern nur noch Branchenentwicklungen, vergaßen sie manches Praktisches Betreffende immer noch.

In letzter Zeit hatte Faith vieles vergessen. Gerade hatte sie drei Tage hintereinander nichts gegessen. Deshalb hatten sich Angestellte von NightStar eingeschaltet, die das T3-Computersystem des Hauses benachrichtigt hatte. Drei Tage waren erlaubt – manchmal versetzten sich V-Mediale in einen Trancezustand. In diesem Fall hätte man sie nur an einen Tropf angeschlossen und in Ruhe gelassen.

„Danke“, sagte sie zu dem leitenden M-Medialen. „Es geht mir wieder gut.“

Xi Yun nickte. „Sie sollten alles aufessen. In dieser Mahlzeit sind alle Kalorien enthalten, die Sie benötigen.“

„Selbstverständlich.“

Xi Yun ging mit seinem Team zur Tür. Faith wusste, dass der schmale Arztkoffer in seiner Hand die notwendigen Medikamente enthielt, um sie entweder aus einer katatonen Starre zu reißen oder einen manischen Zustand zu dämpfen. Heute war nichts davon nötig gewesen. Sie hatte nur einfach vergessen zu essen.

Nach dem Verzehr aller Energieriegel und isotonischen Getränke, die der M-Mediale dagelassen hatte, lehnte Faith sich in dem großen Liegesessel zurück, auf dem sie die meiste Zeit verbrachte. Er war doppelt so breit wie ein Bett und versorgte das T3-System konstant mit allen lebenswichtigen Daten ihres Körpers. Zu jeder Tages- und Nachtzeit stand ein M-Medialer bereit, der eingreifen würde, falls eine Behandlung notwendig wäre. Selbst bei V-Medialen war das nicht die Regel, aber Faith war eben keine normale V-Mediale. Sie war die Beste.

Alle Vorhersagen, die sie je gemacht hatte, waren eingetroffen, es sei denn, man hatte vorher Gegenmaßnahmen ergriffen. Deshalb war sie Millionen wert, vielleicht sogar Milliarden. Bei NightStar galt sie als der wertvollste Aktivposten. Wie alle anderen wurde sie in bester Verfassung gehalten, damit sie optimal funktionierte. Und wie alle anderen würde man sie, falls sie einen Defekt zeigte, sofort gründlich überprüfen und in Teilen weiterverwerten.

Als sich dieser Gedanke einschlich, riss Faith die Augen auf. Sie starrte auf das blasse Grün der Decke und versuchte, ihren rasenden Herzschlag unter Kontrolle zu bekommen. Wenn es ihr nicht gelang, würden die M-Medialen vielleicht noch einmal vorbeischauen, und sie wollte nicht, dass jemand sie in diesem Zustand sah. Womöglich würden ihre Augen sie verraten. Manchmal zeigten sich selbst in den nachtschwarzen Augen einer Kardinalmedialen Dinge, die besser im Verborgenen blieben.

„In Teilen“, flüsterte sie. Natürlich würde auch das aufgezeichnet werden. V-Mediale machten manchmal Vorhersagen während ihrer Trancezustände; daher wollte man keines ihrer Worte verpassen. Vielleicht zogen es deshalb einige vor, möglichst zu schweigen.

In Teilen weiterverwerten.

Zunächst schien das unlogisch zu sein, aber je mehr sie darüber nachdachte, desto klarer wurde ihr, dass ihre Fähigkeiten ihr wieder einmal eine Zukunft gezeigt hatten, die sie sich nie hätte vorstellen können. Meist wurden defekte Mediale Rehabilitationsmaßnahmen unterzogen; eine Gehirnwäsche löschte ihren Verstand aus, sodass sie nur noch niedere Arbeiten durchführen konnten. Anders bei den V-Medialen. Sie waren zu selten, zu wertvoll und zu einzigartig.

Wenn ein V-Medialer über ein akzeptables Maß hinaus verrückt wurde, wenn er keine Vorhersagen mehr machen konnte, arrangierten die M-Medialen einen Unfall, bei dem das Gehirn des V-Medialen unverletzt blieb. Dann benutzten sie das fehlerhafte Gehirn für ihre Experimente, untersuchten die Strukturen. Alle wollten wissen, wie die V-Medialen funktionierten. Sie waren die am wenigsten erforschte Spezies der Medialen, man tappte noch völlig im Dunkeln – da sie gerade mal ein Prozent der Bevölkerung ausmachten, war es schwer, geeignete Objekte für Untersuchungen zu finden.

Faith grub ihre Finger in die dicken roten Polster des Sessels, ihr Atem kam stoßweise. Ihre körperliche Reaktion hatte aber noch nicht solche Ausmaße erreicht, dass ein medizinisches Eingreifen notwendig gewesen wäre, da V-Mediale während ihrer Visionen oft ungewöhnliche Verhaltensweisen zeigten. Aber Faith konnte auch nicht zulassen, dass die Überlastungsreaktion zu einer Serie von Kurzschlüssen in ihrem Gehirn führte.

Selbst als sie sich körperlich beruhigt hatte, schossen ihr noch immer Bilder durch den Kopf, in denen ihr Gehirn an wissenschaftlichen Geräten angeschlossen war und kalte Medialaugen es von allen Seiten betrachteten. Sie wusste, dass das unsinnig war. Nie würde so etwas in einem der Labors passieren. Ihr Verstand versuchte nur, in etwas Unsinnigem einen Sinn zu entdecken. So wie in den Träumen, die sie seit zwei Wochen im Schlaf verfolgten.

Zuerst war es nur eine vage Vorahnung gewesen, Dunkelheit, die sich plötzlich in ihrem Verstand ausbreitete. Sie hatte gedacht, es wäre vielleicht die Ankündigung einer Vision – der Zusammenbruch eines Marktes oder ein geschäftlicher Misserfolg –, aber die Dunkelheit hatte von Tag zu Tag zugenommen, hatte sie immer mehr niedergedrückt, ohne irgendetwas Konkretes zu enthüllen. Und sie hatte etwas gefühlt. Obwohl sie nie zuvor Gefühle gehabt hatte, waren diese Träume von Furcht durchtränkt gewesen, hatte Angst sie dabei fast erstickt.

Nur gut, dass sie schon vor langer Zeit darum gebeten hatte, im Schlafzimmer nicht überwacht zu werden. Irgendetwas in ihr hatte gewusst, was ihr bevorstand. Irgendetwas in ihr wusste immer Bescheid. Aber diesmal konnte sie sich keinen Reim machen auf diese schreckliche Wut, die ihr fast den Atem nahm. In den ersten Träumen hatte es sich so angefühlt, als würde sie jemand würgen, ihr den Hals zudrücken, bis sie nur noch ein Bündel Angst war.

Letzte Nacht war es anders gewesen. Sie war nicht aufgewacht, als sich die Hände um ihren Hals legten. So sehr sie es auch versucht hatte, sie hatte den Schrecken nicht abschütteln können, hatte nicht in die Wirklichkeit zurückgefunden. Letzte Nacht war sie gestorben.

Vaughn D’Angelo sprang von dem Ast, auf dem er entlanggelaufen war, und landete elegant auf dem Waldboden. Sein orangeschwarzes Fell hätte im Silberlicht des Mondes wie unter einem Scheinwerfer aufleuchten sollen, aber der Jaguar war unsichtbar, nutzte die Schatten der Nacht, um sich zu verbergen. Vaughn war nur zu sehen, wenn er es wollte.

Durch das dichte Blätterdach konnte man die helle Scheibe des Mondes sehen. Lange starrte Vaughn durch das dunkle Gespinst der Äste in den Himmel, die glitzernde Schönheit zog Mann und Tier in ihm gleichermaßen in den Bann, obwohl keiner von beiden den Grund dafür kannte. Das spielte auch keine Rolle. Heute Abend hatte der Jaguar die Führung übernommen, und der kam nicht in Versuchung, sich über irgendetwas Gedanken zu machen.

Der Wind trug die Andeutung einer Witterung zu ihm herüber, und Vaughn hob schnuppernd den Kopf. Jemand aus dem Rudel. Er kannte den Geruch: Es war Clay, ein anderer Wächter.

Dann verschwand der andere, ein Leopard, als hätte er Vaughns höheren Rang bemerkt. Vaughn öffnete das Maul, knurrte leise und streckte seinen mächtigen Katzenkörper. Die tödlich scharfen Fangzähne glitzerten im Mondlicht, aber er war nicht auf Beute aus. Heute wollte er nicht mit einem einzigen Biss den schnellen Tod bringen, heute Abend wollte er nur laufen.

Mit seinen federnden Sprüngen konnte er große Entfernungen überbrücken und in der Regel lief er tief in die Wälder hinein, die den größten Teil Kaliforniens bedeckten. Doch heute war die Stadt am Lake Tahoe sein Ziel. Selbst als Katze konnte er sich dort leicht unter die Menschen und Medialen mischen. Er war schließlich nicht umsonst ein Wächter – er konnte auch in eine schwer bewachte Festung eindringen, ohne sich zu verraten.

Doch diesmal kam er gar nicht erst in die Stadt hinein; unerwartet zog kurz davor etwas seine Aufmerksamkeit auf sich. Nur ein paar Meter vom dunklen Grün des Waldes entfernt umgab ein elektrischer Zaun ein kleines Gelände, das unter anderem durch Kameras mit Bewegungsmeldern schwer bewacht wurde. Er wusste, dass dort drinnen ein Haus war, auch wenn die üppige Vegetation und vielleicht noch ein weiterer Zaun es verbargen. Überrascht witterte er überall den metallisch-scharfen Geruch der Medialen. Wie interessant!

Normalerweise zogen es die Medialen vor, in der Stadt zu leben; inmitten von Wolkenkratzern wohnte jeder Erwachsene dort in seinem eigenen kleinen Kasten. Aber auf diesem Gelände lebte ein Medialer, und wer immer es war, er...