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Zeit für mich und Zeit für dich

Fabio Volo

 

Verlag Diogenes, 2013

ISBN 9783257602982 , 272 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

[27] Eine schonend beigebrachte Neuigkeit

Wenn einer mich fragt, was ich beruflich mache, bin ich immer unsicher, ob ich »Copywriter« sagen soll oder einfach: »Ich schreibe Werbetexte.« Manchmal schätze ich es falsch ein, sage »Copywriter« und werde dann gefragt, was das denn sei. Ich antworte dann gewöhnlich: »Ich werde dafür bezahlt, dummes Zeug auszuspucken«, oder, um die Sache abzukürzen: »Freiberufler.« Das ist zwar die Antwort, die ich am allerwenigsten mag, aber damit ist die Frage am schnellsten vom Tisch.

Wenn gerade eine von mir getextete Werbung erfolgreich läuft, sage ich: »Kennst du den Spot mit dem Slogan xy? Der ist von mir.«

Wie alle Copywriter arbeite ich mit einem Art Director zusammen, in meinem Fall ist das Nicola. In unserem Job ist Kreativität gefragt, und wenn man im Kopf blockiert ist, kann man’s vergessen. Deshalb wartete Nicola, bis wir die aktuelle Kampagne abgeschlossen hatten, um mir die Neuigkeit zu eröffnen, die mich dann auch prompt aus der Bahn warf. Ich selbst hätte vorher nicht gedacht, dass es mich so umhauen würde. Vielleicht hätte ich damit rechnen müssen, aber irgendwie hatte ich es trotzdem nicht erwartet.

[28] Wenigstens habe ich es von ihm erfahren und nicht von jemand anders.

Nicola und Giulia, meine Nachbarin, sind die Freunde, die ich zurzeit am häufigsten sehe. So oft, dass wir am Telefon oder an der Gegensprechanlage nie unseren Namen sagen, sondern nur: »Ich bin’s.«

Mit Giulia bin ich noch nicht so lange befreundet wie mit Nicola, aber in bestimmten Stimmungslagen harmoniere ich mit ihr besser. Manchmal brauche ich so etwas wie ein zweites Instrument, auf das ich mich einstimme, und das geht nur mit Frauen. Oft suche ich die richtige Stimmung allein, in der Stille meiner Wohnung, wie ein Musiker eben, aber manchmal brauche ich einen anderen, der mir einen Ton vorgibt. Giulia gelingt es immer, mir den richtigen Ton vorzugeben. Dafür besitzt Nicola die Gabe, durch einen dummen Spruch alles zu entdramatisieren und mich mit einem Satz oder einer Geste wiederaufzurichten. Darin ist er unvergleichlich. Ich bin froh, solche Freunde zu haben.

Giulia kommt abends oft zu mir rüber. Ich rufe sie an, und wenn sie noch nicht gegessen hat, lade ich sie zu mir ein. Es ist zwar auch schön, für sich selbst zu kochen, aber richtig Spaß macht es nur, wenn man für andere kocht. Außerdem sind Rezepte für zwei nicht nur leckerer, ich kann sie mir auch besser merken. Manchmal lädt sie mich auch zu sich ein. Dann bekomme ich auf der Arbeit eine Nachricht aufs Handy: Heute Abend Reis und Gemüse bei mir?

Wir sind einfach nur Freunde, zwischen uns läuft gar nichts. Das mag daran liegen, dass meine Sie mich gerade [29] erst verlassen hatte, als wir uns kennenlernten, und Giulia gerade dabei war, sich von ihrem Mann zu trennen. Es war kein Platz in unserem Leben… höchstens für eine schnelle Nummer, aber bestimmt nicht mit der Nachbarin. Die Versuchung ging also an uns vorüber. Außerdem kann man sehr wohl bei einem Menschen eine gewisse Anziehung, auch sexueller Art, wahrnehmen, ohne unbedingt gleich zur Tat zu schreiten.

Als ich Giulia das erste Mal zum Essen einlud, ging ich zu ihr rüber und klopfte an ihre Tür. »Ich geleite dich zu mir. Ich bin altmodisch, musst du wissen.«

Sie lachte, und weil sie noch nicht fertig war, bat sie mich herein. Ich schaute mich um: eine echte Frauenwohnung, sauber und aufgeräumt.

Später am Abend begleitete ich sie in ihre Wohnung zurück. »Um die Uhrzeit solltest du wirklich nicht allein nach Hause gehen.«

Keinen Monat nach unserem ersten gemeinsamen Abendessen hatte ich bereits den Schlüssel zu ihrer Wohnung und sie den zu meiner. An einen der ersten Abende mit Giulia erinnere ich mich noch, als wäre es gestern gewesen, weil ich mir vorkam wie in einem Tarantino-Film.

Ich hatte ihr tagsüber eine SMS geschickt: Fisch? Nach wenigen Sekunden kam die Antwort:

Okay, muss aber frisch sein, vertrag ich sonst nicht, erklär ich dir später.

Lieber Fischstäbchen? Im Ernst, soll ich was anderes kochen?

Nein, Fisch ist okay. Muss nur frisch sein.

Werde auf dem Nachhauseweg einen angeln gehen.

[30] Okay, dann Fisch um neun. Nach der Arbeit dusch ich kurz und komm dann rüber.

Ich hol dich ab, wie immer. Bis später.

Gegen halb neun hörte ich sie nach Hause kommen und ging dann um neun rüber, um sie abzuholen. In der Küche war soweit schon alles fertig: Salat, Basmatireis und im Ofen eine Dorade mit Kartoffeln und Cherrytomaten.

Wir entkorkten den Wein. Es gab zwar Fisch, doch wir wollten Rotwein trinken, also machte ich eine Flasche Montecucco auf.

»Ich muss dir was sagen, aber erschrick nicht«, sagte sie und holte ein kleines, gelbes Röhrchen mit einer Nadel obendrauf hervor, eine Art Spritze. »Wenn wir den Fisch essen und dir auffällt, dass ich irgendwie komisch oder undeutlich rede, oder wenn du merkst, dass es mir nicht gutgeht, musst du diese Kappe abmachen und mir das hier spritzen. Ist Adrenalin drin.«

»Spinnst du? Das soll wohl ein Witz sein!«

»Gar nicht. Es ist nur so, dass ich eine Histaminintoleranz habe, und Fisch, der nicht ganz frisch ist, enthält davon jede Menge. Macht aber nichts, falls es mir wirklich schlechtgehen sollte, brauchst du mir nur das hier zu spritzen.«

»Warum hast du das denn nicht eher gesagt? Dann hätte ich Pasta gemacht oder Hühnerbrust…«

»Weil ich gern ab und zu Fisch esse. Sogar Sushi esse ich manchmal. Ich sag’s dir nur vorsichtshalber jetzt schon, weil ich später vielleicht nicht mehr deutlich genug sprechen kann, bevor ich bewusstlos werde.«

[31] »Du bist ja verrückt! Das halt ich nicht aus. Ich koch dir eine Pasta. Meinst du, ich würde dich jetzt in aller Seelenruhe den Fisch essen lassen, damit du dich im nächsten Augenblick am Boden wälzt und ich dir eine Spritze ins Herz jagen muss wie in Pulp Fiction? Ich bin doch nicht John Travolta. Allein bei dem Gedanken zittern mir die Knie.«

»Du musst mir keine Spritze ins Herz jagen, der Oberschenkel reicht.«

»Das ist doch dasselbe. Es macht mich schon nervös, mir die Fingernägel zu schneiden, und da denkst du, ich könnte dir mir nichts, dir nichts eine Adrenalinspritze ins Bein jagen, während du auf dem Boden liegst und irgendwas vor dich hin brabbelst?«

»Es ist doch bis jetzt erst einmal passiert, damals in Amerika. Deshalb haben sie mir ja dieses Ding hier gegeben. Na los, erst letzte Woche hab ich noch Sushi gegessen. Ich sag’s dir ja nur vorsichtshalber, eigentlich ist es ausgeschlossen. Der Fisch ist doch frisch, oder?«

»Ja, der ist frisch. Aber vielleicht nicht frisch genug, ich weiß es nicht, jetzt hab ich voll die Panik. Die Augen sahen gut aus, wie bei frischem Fisch, er hat mir sogar zugezwinkert und ›Iss mich‹ gesagt. Auf dem Nachhauseweg lag er zwanzig Minuten im Auto, danach hab ich ihn gleich in den Ofen getan.«

»Dann ist alles in Ordnung.«

»Sagst du…«

Wir aßen den Fisch.

Alle dreißig Sekunden fragte ich: »Wie fühlst du dich? Wie geht es dir? Alles okay?«

[32] »Ich hätte es längst gemerkt, wenn er nicht frisch wäre. Also entspann dich. Es wird nichts passieren.«

»Du schreckst echt vor nichts zurück. Dass du überhaupt noch Fisch isst!«

»Ich mag Fisch.«

Ich gab ihr das gelbe Röhrchen zurück. »Hat’s dir geschmeckt?«

»Ja.«

»Sonst noch irgendwelche Unverträglichkeiten? Wenn ich nächstes Mal zum Beispiel Truthahn mache, was muss ich da tun? Dir ein Zäpfchen reinjagen?«

»Morgen gebe ich dir eine Liste mit allem, was ich besser nicht essen sollte: Konserven, lang gereifter Käse, Tomaten… Dann weißt du, was du mir vorsetzen kannst. Ist lästig für dich, ich weiß.«

»Für mich überhaupt nicht. Aber für dich!«

Nach ein paar Monaten lud ich Giulia zum Abendessen ein, um ihr Nicola vorzustellen. Der war sowieso schon neugierig, weil ich ständig von ihr erzählte und sie zu einer Art Mythos geworden war. Inzwischen sind die beiden befreundet, und ich verbringe die meiste Zeit mit ihnen.

Nur eins an meiner Freundschaft mit Giulia begreife ich nicht. Obwohl wir einander wirklich gut verstehen und sie mich sehr gut kennt, liegt sie immer daneben, was meinen Frauengeschmack betrifft. Wie oft hat sie schon gesagt: »Ich muss dir unbedingt eine Freundin vorstellen. Sie sieht gut aus und gefällt dir bestimmt.« Dann bringt sie ihre Freundin mit, und ich denke: ›Die kann sie doch unmöglich gemeint haben.‹ Einmal sagte [33] sie sogar, ihre Freundin sei nicht nur hübsch, sondern würde obendrein auch gut zu mir passen. Nachdem ich fünf Minuten mit der Freundin geredet hatte, dachte ich bei mir: ›Mann, Giulia, du hast wirklich gar nichts von mir kapiert.‹ Ich kann mir nicht erklären, wie sie auch nur einen Augenblick lang glauben konnte, die Frau würde mir gefallen.

Mit Nicola gibt es dieses Problem nicht, er würde nie sagen: »Ich möchte dir eine Freundin vorstellen, die bestimmt gut zu dir passt.« Er würde allenfalls sagen: »Ich möchte dir eine Frau vorstellen, die würde bestimmt gern mit dir ins Bett gehen.«

Nicola eröffnete mir die Neuigkeit bei einem Abendessen bei mir zu Hause. Eigentlich wollte er mit Sara ausgehen, aber sie hatte nachmittags angerufen und gesagt, sie fühle sich nicht wohl. Also lud ich ihn zum Essen ein. Er verbringt öfter mal einen...